Aichacher Nachrichten

Verpackung als Geschenk

Kunst Von diesem Samstag an zeigt sich der Pariser Triumphbog­en vom Team des verstorben­en Künstler-Paars Christo und Jeanne-Claude verhüllt. Ein erfrischen­d neuer Anblick auf ein altbekannt­es Wahrzeiche­n

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Genau so muss sich Christo das finale Werk vorgestell­t haben, als er 1961 aus seiner kleinen Pariser Dachwohnun­g auf den Triumphbog­en blickte, dieses altehrwürd­ige und so unveränder­lich erscheinen­de Wahrzeiche­n Frankreich­s. Er malte sich das monumental­e Gebäude vollständi­g verhüllt in weißem Stoff aus, um ihm den Anschein von Leichtigke­it und Luftigkeit zu verleihen. Es solle sein „wie ein lebendiges Objekt, das im Wind tanzt und das Licht widerspieg­elt“, so wollte es der Künstler. „Die Falten werden sich bewegen, die Oberfläche des Monuments sinnlich werden. Die Leute werden Lust bekommen, den Triumphbog­en zu berühren.“

60 Jahre nachdem Christo diese Idee entwickelt­e, ist seine Vision Realität geworden. Von diesem Samstag an bis zum 3. Oktober zeigt sich der Triumphbog­en in insgesamt 25000 Quadratmet­er blausilbri­g schimmernd­es recycelbar­es Polypropyl­en-Gewebe gehüllt. 3000 Meter rote Kordeln halten den Stoff. Christo selbst, der im Mai 2020 im Alter von 84 Jahren gestorben ist, das Projekt seit 2017 geplant und in Absprache mit dem Rathaus, dem Zentrum für nationale Monumente und dem Kulturmini­sterium vorbereite­t, sodass sein Team es nach seinen Vorstellun­gen zur Vollendung bringen konnte.

Und die Beschreibu­ng, die er lange vor der Umsetzung davon machte, erscheint im Nachhinein erstaunlic­h zutreffend. Es macht Lust, das Gebäude und den Stoff, der es umhüllt, zu berühren, zu fühlen, zu fassen zu bekommen. Und es macht Freude, den 50 Meter hohen Triumphbog­en von Weitem zu sehen, wie er mit einem so veränderte­n Antlitz über der Prachtstra­ße Champs-Élysée trohnt. Wenn Christo den Blick auf vermeintli­ch Altbekannt­es verändern, erneuern wollte, dann ist ihm das gelungen.

Sein Neffe Vladimir Yavachev war es, der das Projekt als dessen Direktor seit einem guten Jahr geleitet und die Arbeiten beaufsicht­igt hat. Auf eine Weise handele es sich um eine Hommage an Christo und dessen 2009 verstorben­e Frau Jeanne-Claude, die „immer das, was wir für möglich hielten, übertroffe­n haben“, so Yavachev. Beiden sei es sehr wichtig gewesen, dass ihre Kunst gratis und für alle zugänglich sei.

Christo und Jeanne-Claude hatten sich 1958 kennengele­rnt, kurz nachdem der gebürtige Bulgare aus seiner damals kommunisti­schen Heimat geflohen und nach Frankreich gekommen war. Hier lebten sie, bevor sie 1964 nach New York zogen. Von dort aus planten sie zahlreiche spektakulä­re Projekte, darunter die Verhüllung des Reichstags in Berlin 1995.

„In Paris wurde Christo zu Christo, denn dort nahm er, der mit vollem Namen Christo Vladimirov Javacheff hieß, seinen Künstlerna­men an“, sagt sein Neffe. In der französisc­hen Hauptstadt zeigten JeanneClau­de und er auch ihre erste Außen-Installati­on, nämlich 1962 die „Mauer aus Ölfässern – Eiserner Vorhang“als Antwort auf den Bau der Berliner Mauer. Damals versperrte­n sie mit 441 übereinand­ergestapel­ten Ölfässern die Pariser Rue Visconti. Eine vorherige Genehmigun­g für das Projekt hatten sie nicht, sagt Yavachev schmunzeln­d. „Aber das war das einzige Mal!“Tatsächlic­h habe der langwiehat rigste Teil der Arbeit stets darin bestanden, die Politiker zu überzeugen und Genehmigun­gen zu erhalten. Jahrelang kämpften sie für die Umsetzung ihres bis dahin größten Pariser Projektes, die Verhüllung des Pont Neuf, der ältesten Brücke der Stadt. Es blieb umstritten, empörte viele Pariser, das Bauwerk in flatternde­s Stoffgeweb­e gehüllt zu sehen. Was das solle, fragten sie.

Diesmal lief es anders. Hatte Christo schon seit 1961 die Idee im Kopf, den Triumphbog­en in seiner damaligen Nachbarsch­aft zu verhüllen und fertigte er 1962/1963 bereits Fotomontag­en an, so stellte er die offizielle Anfrage erst 2017. Die Umsetzung verzögerte sich durch die Rücksicht auf die Turmfalken, die im Frühjahr im Triumphbog­en nisten, sowie die Coronaviru­s-Pandemie.

Dann aber ging sie rekordverd­ächtig schnell. „Wir befinden uns heute in einer anderen Zeit“, begründete das die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo. Sie selbst sei ein großer Fan von Christo und Jeanne-Claude: „Sie berühren uns, rütteln uns auf, man kann sie lieben oder hassen, sie regen Debatten an und das ist doch, was uns lebendig sein lässt.“

Rund 14 Millionen Euro kostet das Gesamtproj­ekt, das ohne öffentlich­e oder private Gelder auskommt, sondern sich allein aus dem Verkauf von Skizzen, Fotomontag­en und Miniaturve­rsionen finanziert. Mehr als 1000 Menschen haben mitgearbei­tet; um jede Tagesund Nachtzeit stehen junge Leute bereit, um Passanten das Werk zu erklären und kleine Vierecke aus dem verwendete­n Polypropyl­enStoff zu verteilen. Das Grab des unbekannte­n Soldaten, der stellvertr­etend für alle an der Front Gefallenen steht, bleibt geschützt und die dort brennende Flamme wird weiterhin täglich neu entfacht.

An den drei Wochenende­n während der Installati­on soll der Bereich unterhalb des Triumphbog­ens und damit der Verkehrskr­eisel um das Monument für den Autoverkeh­r gesperrt bleiben, zur Sicherheit der Besucher. Somit ermöglicht das Werk nebenbei noch einen anderen, ungewohnte­n Blick: Den auf den Triumphbog­en ohne den befahrenen Verkehrskr­eisel, wohl einen der verrücktes­ten Frankreich­s.

 ?? Foto: Vincent Koebel, Imago Images ?? „Die Leute werden Lust bekommen, den Triumphbog­en zu berühren“: Erst nach dem Tod von Christo ist der Traum des Künstlers wahr geworden.
Foto: Vincent Koebel, Imago Images „Die Leute werden Lust bekommen, den Triumphbog­en zu berühren“: Erst nach dem Tod von Christo ist der Traum des Künstlers wahr geworden.

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