Die Basis ist besorgt
Wahlkampf Die CSU-Spitze gibt sich trotz der schlechten Umfragen optimistisch für den Endspurt, doch in den Orts- und Kreisverbänden der Partei sieht das anders aus. Ein Blick hinter die Kulissen
Augsburg Die Uhr tickt. Wenige Tage bleiben den Parteien noch für Infostände und Haustürwahlkampf. Es sind die letzten Möglichkeiten, vor der Bundestagswahl noch einmal auf Stimmenfang zu gehen. Die größte Torschlusspanik in Bayern könnte momentan wohl bei den Mitgliedern der CSU aufkommen – das lässt sich allein schon anhand der schlechten Umfrageergebnisse vermuten. Zeit also, sich in der Partei umzuhören und zu fragen: Wie ist die Stimmung unter den Christsozialen?
Es ist eigentlich eine kurze Frage. Doch viele Antworten, die unsere Redaktion dazu bekommt, sind es nicht. Es ist vielmehr ein Abwägen, ein Erklären, unterbrochen von vielen Denkpausen, in denen überlegt wird, wie man die aktuelle Situation am besten zusammenfassen kann. Das Erstaunliche: Die Stimmungsbilder bei den Befragten könnten nicht unterschiedlicher sein.
Ein Mitglied des CSU-Parteivorstands zum Beispiel erzählt: „Die Stimmung an der Basis ist schwierig. Einerseits ist nach wie vor die Mehrheit der Meinung, dass Söder der bessere Kandidat, wenn auch kein Selbstläufer gewesen wäre. Andererseits gibt es die Überzeugung, dass es nicht nur der Bundestrend ist, der die Union insgesamt und auch uns nach unten gezogen hat.“
Einer, der für die Basis spricht, ist Johann Kohler aus dem Landkreis Augsburg. 73 Jahre alt, seit 49 Jahren Mitglied in der CSU, war 24 Jahre lang Ortsvorsitzender und Gemeinderat. Ein typisches CSU-Mitglied, wie er sich selbst beschreibt. Kohler ist frustriert. „Ich mache mir Gedanken, warum es so weit gekommen ist, und bin natürlich enttäuscht angesichts der Umfragewerte. Früher, da haben wir uns als CSU wie eine große Familie gefühlt. Das ist gänzlich verloren gegangen.“
Dann gibt es in der CSU gleichzeitig eine ganz andere, positive, optimistische Seite, wie ein Kreisvorsitzender aus Oberbayern erzählt: „Meine Leute, die draußen an den Infoständen sind, berichten mir, dass die Stimmung jetzt deutlich besser ist als in den Wochen vor dem Triell und vor dem CSU-Parteitag. Dass die CSU in Bayern nur 28 Prozent holen könnte, halte ich für völlig unrealistisch. Ich würde aktuell auf 34 Prozent wetten.“Ähnlich zuversichtlich gibt sich ein Kreisvorsitzender aus Schwaben: „Der Wille nach Einigkeit ist da. Viele wollen kämpfen, jetzt noch mal alles geben.“Gefühlt sei die Stimmung auch gar nicht so schlecht, wie in den Umfragen dargestellt. Aber, so sagt er: „Viele Mitglieder wollen einen Wahlkampf machen, der frei von Querschüssen gegen die CDU oder Laschet ist. Der Unmut ist groß, dass man es mit den ständigen Sticheleien gegen ihn einfach nicht sein lassen konnte.“
Ein Thema, das auch andere CSUler umtreibt. So erzählt ein Vorstandsmitglied auf Nachfrage:
„Die dauernden Sticheleien nach der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur werden Söder von vielen Parteimitgliedern durchaus angelastet. Und der Schulterschluss mit Laschet beim CSU-Parteitag kam verdammt spät.“Ein anderes ergänzt: „Viele an der Basis sagen, dass wir an der Situation nicht schuldlos sind, so wie wir uns verhalten haben. Vor allem dem Generalsekretär wird angekreidet, dass er so kurz vor der Wahl noch gesagt hat, Söder wäre der bessere Kandidat gewesen.“
Johann Kohler dagegen steht in dieser Sache hinter seinem Parteivorsitzenden. „Die Umfragen hatten gezeigt, dass er der bessere und geeignetere Kandidat gewesen wäre
– doch die CDU hat sich gegen ihn entschieden. Das war mies. Ich finde es verständlich, wenn Söder darauf hinweist und der CDU den Spiegel vorhält.“Trotz seiner Unterstützung äußert Kohler dennoch scharfe Kritik in Richtung CSU-Chef: „Er hat viel verändert in der Partei, er lässt sich von allen neuen Strömungen treiben und will bei allen Trends vorne dabei sein.“Mit diesem Verhalten verprelle er viele Mitglieder und Stammwähler, wirft ihm Kohler vor. „Sie fühlen sich von ihrer Partei im Stich gelassen. Die CSU als Volkspartei versteht nicht mehr, was der Bürger will, was er für Probleme hat und was er braucht.“
Durchaus kritisch setzt sich auch
Florian Fleig, Ortsvorsitzender der CSU Friedberg, mit seiner eigenen Partei auseinander. „Ich bin kein Fan davon, wenn es im Wahlkampf nur um Persönlichkeiten geht“, sagt er im Gespräch. „Es sollte viel mehr über Inhalte gesprochen werden. Denn die CSU hat durchaus überzeugende Themen. Aber das kam nicht immer so an.“Auch von den Warnungen vor einem drohenden Linksrutsch ist Fleig nicht begeistert, wie er sagt. Er stellt infrage, ob man mit dieser Strategie unentschlossene Wähler überzeugen könne. Recht gibt ihm ein CSU-Vorstandsmitglied: „Rot-Grün ist für die Leute kein Schreckgespenst mehr. Eine Rote-Socken-Kampagne zieht nicht mehr. Das ist vorbei.“
Darüber hinaus beschäftigt Florian Fleig vor allem eine Frage: Wie konnte es so weit kommen? Es sei schwierig, den einen Grund zu finden, überlegt er. Es gebe sicherlich einige Ursachen, warum die Ergebnisse so schlecht sind. „Die Leute sind Corona-müde, dann war da das Hick-Hack mit dem Kanzlerkandidaten und der ein oder andere will nach 16 Jahren Merkel vielleicht auch einfach eine Veränderung.“Trotzdem hat Fleig der Ehrgeiz für die letzten Tage Wahlkampf gepackt, die Wahl sei jetzt weder verloren noch gewonnen. Man könne auch jetzt noch etwas reißen. „Bei einigen schwindet natürlich schon der Optimismus, manche haben die Wahl vielleicht sogar schon abgehakt. Aber ich definitiv nicht. Denn abgerechnet wird am Wahltag.“
So unterschiedlich die befragten CSUler auf die Frage nach der Stimmung reagieren, so verschieden sind auch die Sorgen und Vorstellungen, was nach der Wahl kommen könnte. Johann Kohler würde die Union zum Beispiel lieber in der Opposition sehen anstatt als Junior-Partner in einer Koalition: „Das wäre vielleicht eine Chance, die Partei zu entrümpeln und sich wieder neu zu finden.“Ähnlich sieht es auch Florian Fleig. „Lieber Opposition“, sagt er. „Dann könnten wir nach vier Jahren umso stärker zurückkommen.“
Ganz anders sieht es ein CSUKreisvorsitzender: „Die Angst vor der Opposition ist groß, weil das eine ganz neue Art wäre, Politik zu machen. Ich wäre lieber Juniorpartner. Ich glaube, in der Opposition würde sich die Union zerfleischen.“