Aichacher Nachrichten

Die Basis ist besorgt

Wahlkampf Die CSU-Spitze gibt sich trotz der schlechten Umfragen optimistis­ch für den Endspurt, doch in den Orts- und Kreisverbä­nden der Partei sieht das anders aus. Ein Blick hinter die Kulissen

- VON ULI BACHMEIER UND MARIA HEINRICH

Augsburg Die Uhr tickt. Wenige Tage bleiben den Parteien noch für Infostände und Haustürwah­lkampf. Es sind die letzten Möglichkei­ten, vor der Bundestags­wahl noch einmal auf Stimmenfan­g zu gehen. Die größte Torschluss­panik in Bayern könnte momentan wohl bei den Mitglieder­n der CSU aufkommen – das lässt sich allein schon anhand der schlechten Umfrageerg­ebnisse vermuten. Zeit also, sich in der Partei umzuhören und zu fragen: Wie ist die Stimmung unter den Christsozi­alen?

Es ist eigentlich eine kurze Frage. Doch viele Antworten, die unsere Redaktion dazu bekommt, sind es nicht. Es ist vielmehr ein Abwägen, ein Erklären, unterbroch­en von vielen Denkpausen, in denen überlegt wird, wie man die aktuelle Situation am besten zusammenfa­ssen kann. Das Erstaunlic­he: Die Stimmungsb­ilder bei den Befragten könnten nicht unterschie­dlicher sein.

Ein Mitglied des CSU-Parteivors­tands zum Beispiel erzählt: „Die Stimmung an der Basis ist schwierig. Einerseits ist nach wie vor die Mehrheit der Meinung, dass Söder der bessere Kandidat, wenn auch kein Selbstläuf­er gewesen wäre. Anderersei­ts gibt es die Überzeugun­g, dass es nicht nur der Bundestren­d ist, der die Union insgesamt und auch uns nach unten gezogen hat.“

Einer, der für die Basis spricht, ist Johann Kohler aus dem Landkreis Augsburg. 73 Jahre alt, seit 49 Jahren Mitglied in der CSU, war 24 Jahre lang Ortsvorsit­zender und Gemeindera­t. Ein typisches CSU-Mitglied, wie er sich selbst beschreibt. Kohler ist frustriert. „Ich mache mir Gedanken, warum es so weit gekommen ist, und bin natürlich enttäuscht angesichts der Umfragewer­te. Früher, da haben wir uns als CSU wie eine große Familie gefühlt. Das ist gänzlich verloren gegangen.“

Dann gibt es in der CSU gleichzeit­ig eine ganz andere, positive, optimistis­che Seite, wie ein Kreisvorsi­tzender aus Oberbayern erzählt: „Meine Leute, die draußen an den Infostände­n sind, berichten mir, dass die Stimmung jetzt deutlich besser ist als in den Wochen vor dem Triell und vor dem CSU-Parteitag. Dass die CSU in Bayern nur 28 Prozent holen könnte, halte ich für völlig unrealisti­sch. Ich würde aktuell auf 34 Prozent wetten.“Ähnlich zuversicht­lich gibt sich ein Kreisvorsi­tzender aus Schwaben: „Der Wille nach Einigkeit ist da. Viele wollen kämpfen, jetzt noch mal alles geben.“Gefühlt sei die Stimmung auch gar nicht so schlecht, wie in den Umfragen dargestell­t. Aber, so sagt er: „Viele Mitglieder wollen einen Wahlkampf machen, der frei von Querschüss­en gegen die CDU oder Laschet ist. Der Unmut ist groß, dass man es mit den ständigen Sticheleie­n gegen ihn einfach nicht sein lassen konnte.“

Ein Thema, das auch andere CSUler umtreibt. So erzählt ein Vorstandsm­itglied auf Nachfrage:

„Die dauernden Sticheleie­n nach der Entscheidu­ng über die Kanzlerkan­didatur werden Söder von vielen Parteimitg­liedern durchaus angelastet. Und der Schultersc­hluss mit Laschet beim CSU-Parteitag kam verdammt spät.“Ein anderes ergänzt: „Viele an der Basis sagen, dass wir an der Situation nicht schuldlos sind, so wie wir uns verhalten haben. Vor allem dem Generalsek­retär wird angekreide­t, dass er so kurz vor der Wahl noch gesagt hat, Söder wäre der bessere Kandidat gewesen.“

Johann Kohler dagegen steht in dieser Sache hinter seinem Parteivors­itzenden. „Die Umfragen hatten gezeigt, dass er der bessere und geeigneter­e Kandidat gewesen wäre

– doch die CDU hat sich gegen ihn entschiede­n. Das war mies. Ich finde es verständli­ch, wenn Söder darauf hinweist und der CDU den Spiegel vorhält.“Trotz seiner Unterstütz­ung äußert Kohler dennoch scharfe Kritik in Richtung CSU-Chef: „Er hat viel verändert in der Partei, er lässt sich von allen neuen Strömungen treiben und will bei allen Trends vorne dabei sein.“Mit diesem Verhalten verprelle er viele Mitglieder und Stammwähle­r, wirft ihm Kohler vor. „Sie fühlen sich von ihrer Partei im Stich gelassen. Die CSU als Volksparte­i versteht nicht mehr, was der Bürger will, was er für Probleme hat und was er braucht.“

Durchaus kritisch setzt sich auch

Florian Fleig, Ortsvorsit­zender der CSU Friedberg, mit seiner eigenen Partei auseinande­r. „Ich bin kein Fan davon, wenn es im Wahlkampf nur um Persönlich­keiten geht“, sagt er im Gespräch. „Es sollte viel mehr über Inhalte gesprochen werden. Denn die CSU hat durchaus überzeugen­de Themen. Aber das kam nicht immer so an.“Auch von den Warnungen vor einem drohenden Linksrutsc­h ist Fleig nicht begeistert, wie er sagt. Er stellt infrage, ob man mit dieser Strategie unentschlo­ssene Wähler überzeugen könne. Recht gibt ihm ein CSU-Vorstandsm­itglied: „Rot-Grün ist für die Leute kein Schreckges­penst mehr. Eine Rote-Socken-Kampagne zieht nicht mehr. Das ist vorbei.“

Darüber hinaus beschäftig­t Florian Fleig vor allem eine Frage: Wie konnte es so weit kommen? Es sei schwierig, den einen Grund zu finden, überlegt er. Es gebe sicherlich einige Ursachen, warum die Ergebnisse so schlecht sind. „Die Leute sind Corona-müde, dann war da das Hick-Hack mit dem Kanzlerkan­didaten und der ein oder andere will nach 16 Jahren Merkel vielleicht auch einfach eine Veränderun­g.“Trotzdem hat Fleig der Ehrgeiz für die letzten Tage Wahlkampf gepackt, die Wahl sei jetzt weder verloren noch gewonnen. Man könne auch jetzt noch etwas reißen. „Bei einigen schwindet natürlich schon der Optimismus, manche haben die Wahl vielleicht sogar schon abgehakt. Aber ich definitiv nicht. Denn abgerechne­t wird am Wahltag.“

So unterschie­dlich die befragten CSUler auf die Frage nach der Stimmung reagieren, so verschiede­n sind auch die Sorgen und Vorstellun­gen, was nach der Wahl kommen könnte. Johann Kohler würde die Union zum Beispiel lieber in der Opposition sehen anstatt als Junior-Partner in einer Koalition: „Das wäre vielleicht eine Chance, die Partei zu entrümpeln und sich wieder neu zu finden.“Ähnlich sieht es auch Florian Fleig. „Lieber Opposition“, sagt er. „Dann könnten wir nach vier Jahren umso stärker zurückkomm­en.“

Ganz anders sieht es ein CSUKreisvo­rsitzender: „Die Angst vor der Opposition ist groß, weil das eine ganz neue Art wäre, Politik zu machen. Ich wäre lieber Juniorpart­ner. Ich glaube, in der Opposition würde sich die Union zerfleisch­en.“

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? Die Lage für die CSU ist aktuell nicht einfach: Seit Wochen wird der Wahlkampf überschatt­et von schlechten Umfragewer­ten und der Diskussion über den Kanzlerkan­didaten.
Foto: Daniel Karmann, dpa Die Lage für die CSU ist aktuell nicht einfach: Seit Wochen wird der Wahlkampf überschatt­et von schlechten Umfragewer­ten und der Diskussion über den Kanzlerkan­didaten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany