Mister 100 Prozent kommt rein und liefert
Florian Niederlechner war gegen Borussia Mönchengladbach nicht die erste Wahl. Doch Trainer Markus Weinzierl gelang es, keinen Frust bei seinem Torjäger aufkommen zu lassen. Der dankte es ihm mit dem Siegtreffer
So leicht konnte sich Florian Niederlechner dann doch nicht in den verdienten Feierabend verabschieden. Als der Stürmer des FC Augsburg mit Frau Melanie und Sohn Felix am frühen Samstagabend die WWK-Arena verließ, da warteten noch ein paar Dutzend Fans auf ihn. Hier noch ein Selfie, da noch eine Unterschrift auf eine AutogrammKarte oder auf ein Trikot. Geduldig und immer mit einem Lächeln erfüllte Niederlechner die Wünsche. Es dauert eben, wenn man an diesem Tag der Held der Fans ist, wenn man mit seinem Tor dem FCA den 1:0 (0:0)-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach gesichert hat, wenn man mit einem Schuss die Angst vor einem kapitalen Fehlstart in die Saison weggewischt hat.
„Es ist ein unheimlich schönes Gefühl, nicht nur, weil ich dieses Tor geschossen habe, sondern weil es für die Mannschaft und den Verein ganz wichtig war, dass wir den ersten Dreier geholt haben“, erzählt Niederlechner aufgeräumt auf dem Parkplatz vor dem Stadion.
Dabei musste Niederlechner über eine Stunde auf der Bank ausharren. Doch damit konnte der 30-Jährige diesmal leben. Denn Markus Weinzierl hatte ihn am Freitagabend im Mannschaftshotel zur Seite genommen, war mit ihm in eine ruhige
Ecke im Hotel-Foyer gegangen und hatte ihn in seinen Plan eingeweiht, mit Neuzugang Andi Zeqiri zu beginnen. Eigentlich eine saubere Watschn für Niederlechner, doch Weinzierl hatte durchaus Gründe für den Personalwechsel in der Offensive und er erklärte sie ihm.
Seit Wochen plagt sich Niederlechner mit Adduktorenproblemen, hat Schmerzen beim Schießen und Grätschen, wird täglich behandelt. „Gegen Union war es besonders schlimm“, verriet Niederlechner am
Samstag nach dem Sieg. Erst im Laufe der Woche konnte er vor dem Gladbachspiel wieder voll ins Mannschaftstraining einsteigen.
Zudem wollte Weinzierl mit frischem Wind die Flaute in der Offensive beenden. Nur ein Tor in vier Spielen schrie nach Veränderung. Eine halbe Stunde diskutierten die beiden. „Ich habe sofort gesagt, ich kann es verstehen, vor allem wenn man selbst nicht bei 100 Prozent ist. Dafür war das Spiel viel zu wichtig“, erzählt Niederlechner, der von
Weinzierls Vorgehensweise begeistert war. „Er hat mich ins Boot geholt und wir haben es gemeinsam entschieden. Dann hat er gesagt: Du kommst dann rein, machst das Tor und dann hat sich die Sache erledigt.“Weinzierl selbst schlief noch eine Nacht darüber, bevor er seinen Plan in die Tat umsetzte. Das Gemeinwohl vor das Einzelwohl setzte: „Natürlich hätte Flo auch spielen können. Es war eine Bauchentscheidung. Dass es so aufgeht, hatte ich mir auch nicht ausgemalt.“
Zumal Zeqiri die Erwartungen von Weinzierl nicht erfüllen konnte. Der 22-jährige Schweizer mühte sich bei seinem Startelf-Debüt zwar, Akzente setzte er aber keine. Als er dann nach 66 Minuten einen verheißungsvollen Konter versemmelte, brachte Weinzierl seinen Joker.
Und Niederlechner lieferte zuverlässig. Ob er ihn mit dem Bankplatz gekitzelt habe, wurde Weinzierl später in der virtuellen Pressekonferenz gefragt. Wisse er nicht. „Aber er war im richtigen Moment da. So muss ein Torjäger auf jeden Fall agieren.“Jeffrey Gouweleeuw hatte einen weiten Pass aus der Abwehr geschlagen, der Gladbacher Nico Elvedi patzte, Ruben Vargas enteilte und traf in dieser Situation, anders als in einigen Szenen davor, die richtige Entscheidung. Er nahm den Kopf hoch und sah Niederlechner im Rücken der Abwehr. Der schoß mit links ins kurze Eck: 1:0. Die zugelassenen 12500 Zuschauer in der ausverkauften WWK-Arena machten Lärm wie 30 660.
Zwei Tore hat der FCA jetzt geschossen, beide Florian Niederlechner. Als er mit „Mister 100 Prozent“angesprochen wird, muss er schmunzeln: „Ich wäre froh, wenn ein anderer auch mal ein Tor schießen würde.“
Niederlechner hat eine schwierige Saison hinter sich. Der damalige Trainer Heiko Herrlich kam mit der offenen Art von Niederlechner gar nicht klar und der kam am Ende kaum noch zum Einsatz, bis Markus Weinzierl Herrlich ablöste.
Dass Niederlechner diesmal mit seinem temporären Teilzeitjob gut umgehen konnte, hat viel mit der Art und Weise der Weinzierl’schen Kommunikation zu tun: „Als Spieler gibt es nichts Schöneres, wenn man so ein Vertrauen bekommt vom Trainer und das habe ich absolut zurückbezahlt.“Trotzdem soll das die Ausnahme bleiben. Niederlechner: „Zum Glück haben wir es so gemacht, es war genau die richtige Entscheidung. Aber das heißt nicht, dass ich nächste Woche wieder auf der Bank sitzen will.“
Denn dann spielt der FCA am Sonntag (17.30 Uhr) beim SC Freiburg. Seinem Ex-Verein. Es ist das letzte Spiel im Dreisamstadion vor dem Umzug in die neue Arena.