Ein Stadttor als pures Luxusprojekt
Stadtentwicklung Alte Häuser fielen 1908 für die Straßenbahn. Eine Neubaustraße verlängerte die Frauentorstraße stadtauswärts. Doch bei dem Torbogen in Richtung Senkelbach handelt es sich nicht um das historische Fischertor
„Am Fischertor“heißt die Verlängerung der Frauentorstraße stadtauswärts. Dass hier die Straßenbahn und Autos durch Häuserzeilen fahren, ist für uns heute selbstverständlich. Wir meinen, das war wohl schon immer so. Der weite Torbogen, den der Verkehr in Richtung Senkelbach und Oberhausen passiert, gilt als historisch. Der Straßenname ist schließlich „Am Fischertor“. Doch es ist nicht das historische Fischertor. Die Trambahngleise führen durch einen noch nicht mal 100 Jahre alten Ersatzbau. Das hält die Inschrifttafel über dem Torbogen fest. Darauf ist zu lesen, dass die „gegenwärtige Bauanlage“1924/25 errichtet wurde.
Diese Durchfahrt entstand als „Luxus-Bauprojekt“. Nur der Optik wegen wurde sie errichtet. Heutzutage würde es vermutlich der Bund der Steuerzahler auf die schwarze Liste verschwendeter öffentlicher Mittel setzen. Solch ein Bauwerk würde sich Augsburg heutzutage aus Steuermitteln kaum mehr leisten. Die Investition war auch damals wohl überlegt: Zehn Jahre vergingen von der Idee bis zur Verwirklichung.
1914 war die Durchbruchstraße „Am Fischertor“vollendet. Sie bildet seither das Nordende der SüdNord-Straßentrasse mitten durch Augsburg. Sie beginnt vor den Ulrichskirchen als Ulrichsplatz, setzt sich als Maximilianstraße und als Karolinenstraße fort, verläuft als Hoher Weg zum Dom und als Frauentorstraße nordwärts. Diese Stadtachse endete vor 1914 an den Einmündungen von Pfärrle und Georgenstraße. Die geradlinige Weiterfahrt war mit Häusern verbaut. Um sie herum führten jahrhundertelang das schmale Fischergäßchen und die Herrengasse zum Fischertor.
Die Reste des historischen Fischertors wurden um 1870 abgebrochen, um 1880 wurde der Stadtgraben davor verfüllt. Darauf verläuft die Thommstraße. Als problematisch erwies sich die schwierige Verkehrssituation im Jahr 1881, als die Pferdebahn in Augsburg Einzug hielt. Der Schienenstrang in Richtung Oberhausen bog von der Frauentorstraße in die Georgenstraße ab. Die Trambahn fuhr durch die Georgenstraße zum Wertachbrucker Tor, umfuhr den Torturm und bog danach in die Wertachstraße ab.
1898 wurde die Pferdebahn elektrifiziert. An der komplizierten Streckenführung hatte sich nichts geändert. Doch eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme wurde dringlicher: Die Frauentorstraße musste geradlinig zur Thommstraße verlängert werden. Das Problem: Die geplante Trasse war eng mit historischen Gebäuden bebaut.
Die Stadt musste die Häuser kaufen, um sie abbrechen zu können.
Ihr Abbruch schuf eine breite Schneise, denn beiderseits der neuen Straße „Am Fischertor“sollten Mietwohnhäuser erstehen. Der Plan wurde verwirklicht: 1908 begannen die Abbrüche, 1912 waren die Neubauten vollendet. Erst 1914 konnte die Straßenbahn durch die neue Straße „Am Fischertor“fahren. So lange dauerte es, bis Schienen durch die Thommstraße und die Liebigstraße zum Senkelbach verlegt waren. Auf dieser Route fährt die Tram noch immer.
Die Verlängerung der Frauentorstraße war verwirklicht, doch die Optik stimme nicht, monierten Stadtplaner. Man fahre stadtauswärts durch die Häuserschlucht „Am Fischertor“in ein „Loch“. heißt: Der Fernblick gehe ins Leere, der Straße fehle ein Abschluss. Ein „Torhaus“mit breiter Durchfahrt an der Stelle des historischen Fischertors würde das optische Defizit lösen. Die Idee kam an, doch 1914 begann der Erste Weltkrieg. Damit war die Zeit für solche „Luxusbauten“vorbei. Dem Krieg folgten Inflationsjahre. Die städtischen Kassen waren leer.
In der Bauverwaltung war die Idee aber nicht zu den Akten gelegt: Sie nahm 1924 die Planungen für ein „Torhaus“auf und verwirklichte das Projekt. Im Stil der Zeit schloss Stadtbaurat Otto Holzer die 1908 mit Hausabbrüchen begonnene städtebauliche Entwicklungsmaßnahme „Nord-Süd-Achse“ab. Die breite Durchfahrt erfüllt noch immer ihren Zweck. Die Straßenbahn fährt doppelspurig hindurch. Für Fußgänger gibt es beidseits der Fahrbahn separate Gewölbe als Gehsteige.
Der historische Stadtausgang durch das Fischertor war längst nicht so komfortabel. Anno 1328 war an dieser Stelle in die Stadtmauer ein verschließbarer Durchgang eingefügt worden, um den am Senkelbach lebenden Fischern einen direkten Zugang zu den Märkten in der Stadtmitte zu verschaffen. Nur Fußgänger und die Fischer mit Handkarren durften ihn benutzen.
1609 baute Elias Holl einen Torturm und gab dem Fischertor ein repräsentatives Aussehen. Es blieb jeDas doch ein unbedeutendes Nebentor. Nachdem im Spanischen Erbfolgekrieg 1704 die Bayern Augsburg besetzt hatten, ließen sie den Torturm demolieren und den Durchgang vermauern. Erst 1733 wurde das turmlose Fischertor wieder tagsüber passierbar, 1764 aber wieder zugemauert. Um 1870 wurden die Reste beseitigt. Seit 1925 erinnert die Tafel über der Durchfahrt des Ersatzbaus an die Historie.
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Info Die Serie „Stadtentwicklung“zeigt auf, wie sich Augsburg in den ver gangenen 200 Jahren verkehrsmäßig wandelte. Abbruchaktionen riesigen Ausmaßes schufen die Voraussetzung für neue Straßen und Bauwerke auf frei gelegten Trassen.