Aichacher Nachrichten

Scholz und Kühnert – die neue Schicksals­gemeinscha­ft der SPD

Leitartike­l Der künftige Kanzler kann nicht ohne seine Partei und sie nicht ohne ihn. Nur wenn sie weiter so geschlosse­n agiert wie zuletzt, kann die Ampel Erfolg haben.

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Olaf Scholz wird in dieser Woche Bundeskanz­ler, das klingt inzwischen völlig normal. Dabei ist es erst ein paar Monate her, dass es komplett utopisch schien, dass ausgerechn­et die SPD die nächste Regierung anführen würde. Jetzt steht die Sozialdemo­kratie am Scheideweg: Wiederholt sie die Sünden der Vergangenh­eit, kann auch das Ampelbündn­is mit Grünen und FDP kaum gelingen.

Das Traumergeb­nis, mit dem der Koalitions­vertrag beschlosse­n wurde, kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Geschlosse­nheit der vergangene­n Monate zu bröckeln droht. Scholz und seine SPD, das ist eine wechselvol­le Geschichte. Kaum zwei Jahre ist es her, da verschmäht­en ihn die Mitglieder als Parteichef. Der damalige JusoChef Kevin Kühnert zog die Strippen für das linke Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Das pragmatisc­he, wirtschaft­sfreundlic­here Lager um Scholz schien damit abgemeldet. Was die Parteilink­e feierte, ließ die Wählerbasi­s schaudern, der Status als Volksparte­i drohte verloren zu gehen.

Es zeugt von Größe, dass die tonangeben­den Parteilink­en erkannten, dass nur ein Angebot an breite Bevölkerun­gsschichte­n, weit in die politische Mitte hinein, die Rettung bringen kann. Und dass Scholz diese Hoffnung am besten verkörpert. Scholz’ frühe Nominierun­g zum Kanzlerkan­didaten schien zunächst wie ein bizarrer Widerspruc­h: Der Mann, den sie als Parteichef nicht wollten, sollte nun die Partei in den Überlebens­wahlkampf führen? Tatsächlic­h deutete zunächst alles darauf hin, dass das Manöver zum Scheitern verurteilt sei. Die Umfragen blieben in der Todeszone um 15 Prozent. Was nicht an dem nüchternen Hamburger selbst lag. In Erhebungen zur persönlich­en Beliebthei­t landete er regelmäßig vor seinen Herausford­erern Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet von der Union.

Doch es war seine Partei, die ihm wie ein Klotz am Bein hing.

Der jahrelange Streit zwischen Parteiflüg­eln, die Lust an der Selbstzerf­leischung schreckten viele ab, die sich durchaus mit sozialdemo­kratischen Zielen identifizi­eren. Dass Scholz die Wahl doch gewann, liegt nicht nur an seiner persönlich­en Bekannthei­t und seiner Aura des Verlässlic­hen. So wie die

SPD ihm ihre Auferstehu­ng verdankt, verdankt auch Scholz seine Kanzlersch­aft zum Teil der SPD. Nur weil die Partei zuletzt geschlosse­n hinter ihrem Bewerber stand, kann sie nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder wieder einen Kanzler stellen.

Fällt die SPD jedoch in die alten zerstöreri­schen Muster zurück, droht die Ampel schnell aus dem Tritt zu geraten. Im linken Parteiflüg­el etwa trauern viele noch einer rot-rot-grünen Regierung nach, hätten sich Steuererhö­hungen für Reiche gewünscht. Doch die ließen sich nun, in einem Bündnis mit FDP-Beteiligun­g, nicht durchsetze­n. Dass ideologisc­he Träume nicht wieder das Gefühl für das Machbare überlagern, dafür muss künftig wohl ausgerechn­et die linke Ikone Kühnert sorgen, der Lars Klingbeil als Generalsek­retär beerben soll. Scholz und sein einstiger Widersache­r werden damit zur Schicksals­gemeinscha­ft. Kühnert muss dem linken Flügel auch Zumutungen schmackhaf­t machen, die eine Koalitions­regierung unweigerli­ch mit sich bringt. Scholz dagegen wird viele Vorhaben nicht ohne den Segen Kühnerts durchbring­en. Moderiert wird dieser Prozess durch eine Parteispit­ze, die nach dem Ausscheide­n von Walter-Borjans nicht mehr rein links besetzt ist. Partner der streitbare­n Saskia Esken wird wohl Lars Klingbeil, selbst eher konservati­v. Er weiß: Wenn die SPD die Geschlosse­nheit, die den Wahlsieg ermöglicht­e, nicht bewahrt, ist das Kanzleramt in vier Jahren wieder futsch.

Der linke Flügel hat sich deutlich mehr gewünscht

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany