Wirtschaft warnt vor Geschäftsaufgaben
Handel Bald gilt im Einzelhandel die 2G-Regel, dann dürfen nur Geimpfte und Genesene in viele Läden. Fachleute beobachten schon jetzt einen „Lockdown im Kopf“, die Umsätze sind nicht gut. In der schwäbischen Wirtschaft ist man alarmiert.
Augsburg Wer am zweiten Adventssamstag beispielsweise in der Innenstadt von Augsburg eingekauft hat, musste am Eingang vieler Läden einen Einkaufskorb nehmen. Wenn die Körbe weg waren, half nur eines: warten. Aufgrund der vierten Corona-Welle in Deutschland ist die Zahl der Kundinnen und Kunden in vielen Geschäften begrenzt, die Körbe dienen zur Kontrolle, dass nicht zu viele Menschen in den Laden kommen. Bereits heute zieht es weniger Menschen in die Städte, da die Weihnachtsmärkte in Bayern abgesagt sind. Wer dann keinen Korb bekommt, dürfte die Lust zum Einkaufen schnell verlieren. Ab diesem Mittwoch, 8. Dezember, gilt in den meisten Geschäften zudem die 2G-Regel. Nur Geimpfte und Genese haben dann Zutritt. Ausnahmen gelten nur für Geschäfte des täglichen Bedarfs wie den Lebensmittelhandel. Das alles schlägt auf den Umsatz vieler Händlerinnen und Händler durch, auch andere Branchen leiden. Die Wirtschaft in unserer Region warnt deshalb vor Geschäftsaufgaben.
Der Einzelhandel in Bayern zeigte sich mit den Umsätzen am zweiten Adventswochenende nicht zufrieden. „Von Geschenkfieber keine Spur“, sagte Bernd Ohlmann, Geschäftsführer des Handelsverbands Bayern. Alles in allem seien um die 40 Prozent weniger Kunden gekommen als an einem normalen zweiten Adventssamstag, allerdings sei das Wetter schlecht gewesen. „Wir hatten uns mehr ausgerechnet“, sagte Ohlmann. Die Folge ist, dass der Online-Handel weiter zulegen könnte, was zulasten der Läden in den Städten gehe. „Die Einführung verschärfter Corona-Maßnahmen in Geschäften ist eine dramatische Zäsur im Weihnachtsgeschäft“, meint auch Stefan Genth, der Geschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland.
Es finde bereits ein „Lockdown im Kopf“statt, warnte unlängst Marcus Vorwohlt, Chef des Modehauses Rübsamen mit 15 Filialen. „Die Kunden sind verunsichert“, sagte Vorwohlt, der Vorstandsmitglied der IHK-Regionalversammlung Augsburg-Stadt ist. Er kenne Kolleginnen und Kollegen, die von Umsatzrückgängen um die 30 Prozent berichten. Im Handel mit seinen kleinen Gewinnmargen können aber schon Umsatzrückgänge von
oder 20 Prozent Betriebe in Existenznot bringen. Das Problem: Erst ab einem Minus von 30 Prozent gibt es Corona-Hilfen. Sonst geht man leer aus. In den vergangenen Monaten haben bereits manche Einzelhändlerinnen und Einzelhändler aufgegeben, beispielsweise im Schuh- und Kleiderhandel. Auch andere Branchen wie das Hotelgewerbe haben Probleme: In Augsburg schließt zum Beispiel das Holiday Inn Express wegen der geringen Auslastung im Dezember bis Jahresende 2021 seine Türen.
Die Wirtschaft in unserer Region ist alarmiert: Die Eigenkapitaldecke sei nach zwei Jahren Corona-Krise vielfach dünn geworden. Schon jedes fünfte Unternehmen im bayerisch-schwäbischen Reise- und Gastgewerbe habe im Herbst Probleme gehabt, seine Rechnungen zu
bezahlen, berichtet die Industrieund Handelskammer Schwaben. „Trotz des aus wirtschaftlicher Sicht guten Sommers ist die finanzielle Substanz in einigen Branchen aufgezehrt“, sagte Hauptgeschäftsführer Marc Lucassen. „Wenn nun Restaurants und Händler einen Teil ihrer Kunden abweisen müssen, geht der regionalen Wirtschaft weiterer Umsatz verloren – und das im so wichtigen Weihnachtsgeschäft“, sagt er. „Die jüngsten Beschlüsse des Bundes und des Freistaats Bayern werden daher unausweichlich zu Geschäftsaufgaben führen“, warnt Lucassen. „Vom schnellen Erfolg der vom Bund neu angestoßenen Impfkampagne hängen Unternehmensexistenzen vor allem im Reiseund Gastgewerbe wie auch im Einzelhandel ab.“
Handel, Gastronomie und andezehn
ren Wirtschaftszweigen stehe ein harter Winter bevor. „Die regionale Wirtschaft kennt den Ernst der Corona-Lage, viele Unternehmen kritisierten allerdings, dass die Maßnahmen zu spät beschlossen wurden und in ihrer praktischen Umsetzbarkeit oftmals nicht zu Ende gedacht sind“, berichtet Lucassen. Beispielsweise drohe die Einführung von 2G in Teilen des Einzelhandels zum Problem zu werden. Unklar sei teilweise, welche Sortimente zum täglichen Bedarf gehören.
Die Wirtschaftsvertreter fordern nun stärkere und schnellere Hilfe: „Wenn wir das kommende Jahr nicht mit Geschäftsaufgaben beginnen wollen, muss der Staat betroffenen Unternehmen helfen und seine Corona-Beschränkungen so gestalten, dass sie in den Unternehmen mit möglichst wenig Aufwand umgesetzt werden können“, sagt Lucassen. Der Bayerische Industrieund Handelskammertag (BIHK) hofft, dass man mit der 2G-Regel im Handel einen neuen kompletten Lockdown verhindern kann. Trotzdem sei die Beschränkung ein Einschnitt, der im wichtigen Weihnachtsgeschäft zu hohen Umsatzverlusten führen werde. Einbußen ergeben sich auch für Fitnessstudios, körpernahe Dienstleistungen, Freizeiteinrichtungen, Messebetreiber und Kulturveranstalter.
Um die Branchen zu stützen, hat der Bayerische Industrie- und Handelskammertag die nahtlose Verlängerung aller Corona-Kreditprogramme und Überbrückungsfinanzierungen der Förderbanken gefordert. „Unter der Pandemie leidende Betriebe dürfen nicht alleingelassen werden“, sagte BIHK-Präsident Klaus Josef Lutz. Ihnen stehen Hilfsgelder aus der bereits vom Bund zugesagten Verlängerung der Corona-Überbrückungshilfen bis Ende März 2022 zu. Zusätzlich müssten einfache Zwischenfinanzierungslösungen über die Hausbanken gefunden werden, bis der Umsatz nach der jetzigen Krise wieder anspringt. Geld dafür stellten in früheren Corona-Wellen staatliche Förderbanken bereit.
Im Handwerk begrüßt man es, dass sich Bund und Länder vergangene Woche auf ein Vorgehen gegen Corona verständigt haben. Aber auch dort sieht man noch großen Bedarf an den Überbrückungshilfen, sonst drohe das Aus für Betriebe: Besonders wichtig sei es, dass Branchen wie Friseure, Kosmetikerinnen oder Messebauer die Gelder schnell und unbürokratisch bekommen, sagte Hans-Peter Rauch, Präsident der Handwerkskammer für Schwaben. „Diese Betriebe kämpfen um ihre Existenz und sind auf eine rasche Unterstützung angewiesen“, teilte er mit. „Sonst laufen wir Gefahr, dass wir diese Firmen verlieren.“
Der Bund hat angesichts der vierten Corona-Welle die Überbrückungshilfe für Firmen und die Regeln zur Kurzarbeit verlängert. Die neue Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP plant zudem eine Verlängerung des milliardenschweren Corona-Hilfsfonds für größere Unternehmen. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds soll um ein halbes Jahr bis Ende Juni 2022 ausgedehnt werden. Hilfe gab es zum Beispiel für die Lufthansa.