Aichacher Nachrichten

Wirtschaft warnt vor Geschäftsa­ufgaben

Handel Bald gilt im Einzelhand­el die 2G-Regel, dann dürfen nur Geimpfte und Genesene in viele Läden. Fachleute beobachten schon jetzt einen „Lockdown im Kopf“, die Umsätze sind nicht gut. In der schwäbisch­en Wirtschaft ist man alarmiert.

- VON MICHAEL KERLER (mit dpa)

Augsburg Wer am zweiten Adventssam­stag beispielsw­eise in der Innenstadt von Augsburg eingekauft hat, musste am Eingang vieler Läden einen Einkaufsko­rb nehmen. Wenn die Körbe weg waren, half nur eines: warten. Aufgrund der vierten Corona-Welle in Deutschlan­d ist die Zahl der Kundinnen und Kunden in vielen Geschäften begrenzt, die Körbe dienen zur Kontrolle, dass nicht zu viele Menschen in den Laden kommen. Bereits heute zieht es weniger Menschen in die Städte, da die Weihnachts­märkte in Bayern abgesagt sind. Wer dann keinen Korb bekommt, dürfte die Lust zum Einkaufen schnell verlieren. Ab diesem Mittwoch, 8. Dezember, gilt in den meisten Geschäften zudem die 2G-Regel. Nur Geimpfte und Genese haben dann Zutritt. Ausnahmen gelten nur für Geschäfte des täglichen Bedarfs wie den Lebensmitt­elhandel. Das alles schlägt auf den Umsatz vieler Händlerinn­en und Händler durch, auch andere Branchen leiden. Die Wirtschaft in unserer Region warnt deshalb vor Geschäftsa­ufgaben.

Der Einzelhand­el in Bayern zeigte sich mit den Umsätzen am zweiten Adventswoc­henende nicht zufrieden. „Von Geschenkfi­eber keine Spur“, sagte Bernd Ohlmann, Geschäftsf­ührer des Handelsver­bands Bayern. Alles in allem seien um die 40 Prozent weniger Kunden gekommen als an einem normalen zweiten Adventssam­stag, allerdings sei das Wetter schlecht gewesen. „Wir hatten uns mehr ausgerechn­et“, sagte Ohlmann. Die Folge ist, dass der Online-Handel weiter zulegen könnte, was zulasten der Läden in den Städten gehe. „Die Einführung verschärft­er Corona-Maßnahmen in Geschäften ist eine dramatisch­e Zäsur im Weihnachts­geschäft“, meint auch Stefan Genth, der Geschäftsf­ührer des Handelsver­bandes Deutschlan­d.

Es finde bereits ein „Lockdown im Kopf“statt, warnte unlängst Marcus Vorwohlt, Chef des Modehauses Rübsamen mit 15 Filialen. „Die Kunden sind verunsiche­rt“, sagte Vorwohlt, der Vorstandsm­itglied der IHK-Regionalve­rsammlung Augsburg-Stadt ist. Er kenne Kolleginne­n und Kollegen, die von Umsatzrück­gängen um die 30 Prozent berichten. Im Handel mit seinen kleinen Gewinnmarg­en können aber schon Umsatzrück­gänge von

oder 20 Prozent Betriebe in Existenzno­t bringen. Das Problem: Erst ab einem Minus von 30 Prozent gibt es Corona-Hilfen. Sonst geht man leer aus. In den vergangene­n Monaten haben bereits manche Einzelhänd­lerinnen und Einzelhänd­ler aufgegeben, beispielsw­eise im Schuh- und Kleiderhan­del. Auch andere Branchen wie das Hotelgewer­be haben Probleme: In Augsburg schließt zum Beispiel das Holiday Inn Express wegen der geringen Auslastung im Dezember bis Jahresende 2021 seine Türen.

Die Wirtschaft in unserer Region ist alarmiert: Die Eigenkapit­aldecke sei nach zwei Jahren Corona-Krise vielfach dünn geworden. Schon jedes fünfte Unternehme­n im bayerisch-schwäbisch­en Reise- und Gastgewerb­e habe im Herbst Probleme gehabt, seine Rechnungen zu

bezahlen, berichtet die Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben. „Trotz des aus wirtschaft­licher Sicht guten Sommers ist die finanziell­e Substanz in einigen Branchen aufgezehrt“, sagte Hauptgesch­äftsführer Marc Lucassen. „Wenn nun Restaurant­s und Händler einen Teil ihrer Kunden abweisen müssen, geht der regionalen Wirtschaft weiterer Umsatz verloren – und das im so wichtigen Weihnachts­geschäft“, sagt er. „Die jüngsten Beschlüsse des Bundes und des Freistaats Bayern werden daher unausweich­lich zu Geschäftsa­ufgaben führen“, warnt Lucassen. „Vom schnellen Erfolg der vom Bund neu angestoßen­en Impfkampag­ne hängen Unternehme­nsexistenz­en vor allem im Reiseund Gastgewerb­e wie auch im Einzelhand­el ab.“

Handel, Gastronomi­e und andezehn

ren Wirtschaft­szweigen stehe ein harter Winter bevor. „Die regionale Wirtschaft kennt den Ernst der Corona-Lage, viele Unternehme­n kritisiert­en allerdings, dass die Maßnahmen zu spät beschlosse­n wurden und in ihrer praktische­n Umsetzbark­eit oftmals nicht zu Ende gedacht sind“, berichtet Lucassen. Beispielsw­eise drohe die Einführung von 2G in Teilen des Einzelhand­els zum Problem zu werden. Unklar sei teilweise, welche Sortimente zum täglichen Bedarf gehören.

Die Wirtschaft­svertreter fordern nun stärkere und schnellere Hilfe: „Wenn wir das kommende Jahr nicht mit Geschäftsa­ufgaben beginnen wollen, muss der Staat betroffene­n Unternehme­n helfen und seine Corona-Beschränku­ngen so gestalten, dass sie in den Unternehme­n mit möglichst wenig Aufwand umgesetzt werden können“, sagt Lucassen. Der Bayerische Industrieu­nd Handelskam­mertag (BIHK) hofft, dass man mit der 2G-Regel im Handel einen neuen kompletten Lockdown verhindern kann. Trotzdem sei die Beschränku­ng ein Einschnitt, der im wichtigen Weihnachts­geschäft zu hohen Umsatzverl­usten führen werde. Einbußen ergeben sich auch für Fitnessstu­dios, körpernahe Dienstleis­tungen, Freizeitei­nrichtunge­n, Messebetre­iber und Kulturvera­nstalter.

Um die Branchen zu stützen, hat der Bayerische Industrie- und Handelskam­mertag die nahtlose Verlängeru­ng aller Corona-Kreditprog­ramme und Überbrücku­ngsfinanzi­erungen der Förderbank­en gefordert. „Unter der Pandemie leidende Betriebe dürfen nicht alleingela­ssen werden“, sagte BIHK-Präsident Klaus Josef Lutz. Ihnen stehen Hilfsgelde­r aus der bereits vom Bund zugesagten Verlängeru­ng der Corona-Überbrücku­ngshilfen bis Ende März 2022 zu. Zusätzlich müssten einfache Zwischenfi­nanzierung­slösungen über die Hausbanken gefunden werden, bis der Umsatz nach der jetzigen Krise wieder anspringt. Geld dafür stellten in früheren Corona-Wellen staatliche Förderbank­en bereit.

Im Handwerk begrüßt man es, dass sich Bund und Länder vergangene Woche auf ein Vorgehen gegen Corona verständig­t haben. Aber auch dort sieht man noch großen Bedarf an den Überbrücku­ngshilfen, sonst drohe das Aus für Betriebe: Besonders wichtig sei es, dass Branchen wie Friseure, Kosmetiker­innen oder Messebauer die Gelder schnell und unbürokrat­isch bekommen, sagte Hans-Peter Rauch, Präsident der Handwerksk­ammer für Schwaben. „Diese Betriebe kämpfen um ihre Existenz und sind auf eine rasche Unterstütz­ung angewiesen“, teilte er mit. „Sonst laufen wir Gefahr, dass wir diese Firmen verlieren.“

Der Bund hat angesichts der vierten Corona-Welle die Überbrücku­ngshilfe für Firmen und die Regeln zur Kurzarbeit verlängert. Die neue Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP plant zudem eine Verlängeru­ng des milliarden­schweren Corona-Hilfsfonds für größere Unternehme­n. Der Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s soll um ein halbes Jahr bis Ende Juni 2022 ausgedehnt werden. Hilfe gab es zum Beispiel für die Lufthansa.

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Die Corona‰Krise wird in diesem Winter für Handel und Gastronomi­e, aber auch für Fitnessstu­dios, Friseurläd­en, Kosmetikst­u‰ dios, Messebetre­iber und die Kultur zur Herausford­erung.
Foto: Sven Hoppe, dpa Die Corona‰Krise wird in diesem Winter für Handel und Gastronomi­e, aber auch für Fitnessstu­dios, Friseurläd­en, Kosmetikst­u‰ dios, Messebetre­iber und die Kultur zur Herausford­erung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany