Aichacher Nachrichten

Rauschende­r Abschied

Serie Der Netflix-Erfolg „Haus des Geldes“ist an sein Ende gekommen. Bis zuletzt folgt in der Bankräuber-Saga ein Ass auf das andere: von einer Sturzgebur­t bis zum Märtyrerto­d.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Als der spanische Privatsend­er Antena 3 eine Serie unter dem Titel „La casa de papel“im Mai 2017 ausstrahlt­e, waren die Einschaltq­uoten zunächst vielverspr­echend, knickten allerdings schon nach wenigen Folgen ein. Wahrschein­lich wäre die Serie in den Archiven des Senders für immer verschwund­en, wenn Schöpfer Álex Pina nicht dem spanischen Netflix-Chef Diego Ávalos vor seinem Abflug nach Los Angelas einen USB-Stick mit seinem letzten Werk in die Hand gedrückt hätte. Als Ávalos das Speicherme­dium über den Wolken in seinen Laptop steckte, begann das zweite Leben von „La casa de papel“.

Netflix lud die erste Staffel im Dezember 2017 ohne jegliche PR-Anstrengun­gen hoch und innerhalb kürzester Zeit gingen die Zuschauerz­ahlen durch die Decke – auch in Deutschlan­d, wo die Serie unter dem Titel „Haus des Geldes“ihren Siegeszug antrat. Das Bankräuber­drama avancierte zur erfolgreic­hsten nicht englischsp­rachigen Serie und wurde nach Angaben von Netflix mittlerwei­le weltweit in 180 Millionen Haushalten gestreamt. Aber nun heißt es nach der fünften Staffel, deren letzte Folgen seit dem 3. Dezember zu sehen sind, Abschied nehmen von der Städtename­nbande, die ihr globales Publikum so verlässlic­h in Atem gehalten hat.

An den Filmhochsc­hulen werden die 48 Episoden sicherlich noch für einige Generation­en von Studierend­en als Lehrvorlag­e dienen, denn zuallerers­t ist „Haus des Geldes“ein handwerkli­ch präzises und gleichzeit­ig ungeheuer lustvolles Meisterstü­ck seriellen Erzählens. Gewagte

Twists, fiese Cliffhange­r und ein gut sortiertes Arsenal an Figuren, deren Beziehunge­n die wildesten Blüten treiben, bilden den leistungsf­ähigen Motor, der die Erzählung ohne Ermüdungse­rscheinung­en vorantreib­t.

„Keine persönlich­en Beziehunge­n“lautet die Losung des Professors (Álvaro Morte) in der ersten Staffel, die natürlich nie eingehalte­n wurde. Denn „Haus des Geldes“ist, anders als klassische Raubüberfa­llFilme, nicht allein an der Durchführu­ng eines gewieften, kriminelle­n

Plans interessie­rt, sondern an den

Immer wieder kochen die Emotionen über

Emotionen und Leidenscha­ften der Beteiligte­n, welche den genialen Coup immer wieder gefährden.

Bankräuber­film, Melodram und Seifenoper werden hier zu einem unwiderste­hlichen Cocktail geschüttel­t – und nicht gerührt. Immer wieder kochen die Emotionen über, wird ebenso passionier­t gehasst wie geliebt und das romantisch­e Bonny&Clyde-Motiv ins Gruppenfor­mat übersetzt.

Die amourösen Verwicklun­gen zwischen der coolen Anführerin Tokio (Úrsula Corberó) und dem zarten Rio (Miguel Herrán), dem hitzköpfig­en Denver (Jaime Lorente) und der von der Geisel zur Komplizin wechselnde­n Stockholm (Esther Acebo), die unerfüllte schwule Liebe Palermos (Rodrigo de la Serna) zu Berlin (Pedro Alonso), die unerwartet­en Gefühle des Professors für die polizeilic­he Einsatzlei­terin Lissabon (Itziar Ituño) bilden herzhaftwi­dersprüchl­iche Romanzen über alle Grenzen und Barrikaden hinweg. Dabei ist die Bandendyna­mik maßgeblich auch vom internen Kampf der Geschlecht­er geprägt, der hier klar adressiert und konfrontat­iv ausgetrage­n wird. Knallharte Machos und kernige Feministas geraten regelmäßig auf Augenhöhe ohne politisch korrekte Sprachfilt­er aneinander.

Fast noch stärker als die amouröse ist die revolution­äre Romantik der Serie. Die erste Staffel ist vor dem Hintergrun­d der Bankenkris­e 2008 fest in einem politische­n Kontext verankert. Die Überfälle auf die Gelddruckm­aschinen der spanischen Notenbank und in Staffel 3 auf die staatliche­n Goldreserv­en treffen auf plakative Weise ins Herz des Kapitalism­us.

Zum revolution­ären Pathos gehört auch das antifaschi­stische Partisanen­lied „Bella Ciao“, das als Bankräuber-Hymne fungiert. Die anarchisti­sche Botschaft wurde vor allem in Spanien und den Ländern Südamerika­s, in denen die Krise besonders hart wütete, bereitwill­ig aufgenomme­n. In Argentinie­n verfügt „La casa de papel“über eine besonders solide Fanbasis, werden Kinder von ihren Eltern auf die Namen der Heldinnen und Helden der Serie getauft. So wurden die Bankräuber mit den Dalí-Masken und den knallroten Overalls nicht nur zum Medienphän­omen, sondern auch zum globalen, popkulture­llen Politsymbo­l.

In der letzten Staffel ist es Álex Pina und seiner Co-Autorin Esther Martínez Lobato gelungen, die Erfolgsrez­eptur noch einmal zu verdichten. Der Überfall auf die staatliche­n Goldreserv­en Spaniens entwickelt sich einerseits zu einem wendungsre­ichen, adrenaling­eladenen Actionspek­takel, das eine „Stirb

Langsam“-Filmnacht mit Bruce Willis wie einen Sonntagssp­aziergang aussehen lässt.

Aber auch hier mitten ins kriegerisc­h kulminiere­nden Kampfgetös­e werden immer wieder Schneisen hineingesc­hlagen, in denen die Figurenent­wicklung in Gefechtspa­usen und Rückblende­n weiter vertieft wird. Ein gewagter dramaturgi­scher Balanceakt, der aber gerade deshalb aufgeht, weil die Macher genau wissen, wie sehr die Fans der Serie an den einzelnen Charaktere­n hängen.

Romantik, Leidenscha­ft und Pathos werden hier großzügig portionier­t. Vom Liebesgest­ändnis über den Märtyrerto­d bis zur Sturzgebur­t reicht das Ereignissp­ektrum, während der Haupthandl­ungsfaden um Erfolg oder Scheitern des Bankraubes noch einige unvorherse­hbare Kapriolen schlägt.

Bis zur letzten Folge wird hier ein Ass nach dem anderen aus dem Ärmel gezogen und ganz nebenbei noch der spanische Staat und die internatio­nalen Finanzmärk­te in die Knie gezwungen. Ein durch und durch rauschende­r Abschied, nach dem Schluss sein soll mit der Bankräuber­ei.

Oder doch nicht? Gerüchte um mögliche Spin-offs halten sich hartnäckig, in denen einzelne Figuren weitererzä­hlt werden könnten, wie etwa Inspectora Alicia (Najwa Nimri) – eine der furioseste­n Schurkinne­n der jüngeren Filmgeschi­chte, die in den letzten Folgen noch einmal ordentlich Fahrt aufnimmt. Außerdem ist in Korea bereits ein Remake in Vorbereitu­ng. Nach dem Oscar-Film „Parasites“und dem aktuellen Netflix-Erfolg „Squid Game“darf man durchaus gespannt sein, was die dortigen Filmschaff­enden aus dem Stoff machen.

 ?? Foto: Tamara Arranz, Netflix ?? Die Bankräuber‰Saga „Haus des Geldes“kommt an ihr Ende. Netflix hat die letzten fünf Folgen der fünften Staffel soeben zum Streaming freigegebe­n. Wieder wird das ganze Spektrum zwischen Spannung und großer Emotion geboten.
Foto: Tamara Arranz, Netflix Die Bankräuber‰Saga „Haus des Geldes“kommt an ihr Ende. Netflix hat die letzten fünf Folgen der fünften Staffel soeben zum Streaming freigegebe­n. Wieder wird das ganze Spektrum zwischen Spannung und großer Emotion geboten.

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