Bernhards Stück wird aktuell
Die Kammerspiele zeigen „Heldenplatz“
München Sie sitzen unter uns: junge Männer mit Undercut, von HateSpeech verzerrten Gesichtern, zu Schreien geöffnet der Mund, bedrohlich den Zeigefinger auf die „Anderen“gerichtet. Betritt man den Zuschauerraum der Kammerspiele, ist man mit unzähligen Gipsbüsten auf den freien Plätzen konfrontiert – ein ebenso effektvolles wie beängstigendes Bild. Dieser Grundton bleibt. Denn Regisseur Falk Richter hat in seiner Inszenierung Thomas Bernhards „Heldenplatz“fortgeschrieben in unsere Gegenwart.
Der österreichische Autor hatte in seinem letzten, 1988 in Wien uraufgeführten Werk „Heldenplatz“, angeregt von der „Waldheim-Affäre“, den damals – wie heute auch – virulenten Antisemitismus gegeißelt. Der Hintergrund des Stücks ist der Anschluss Österreichs im Jahr 1938. Damals bejubelte das Volk Hitler auf dem Heldenplatz. Genau mit Blick auf den Platz wohnte die Hauptfigur des Dreiakters: Der jüdische Professor Schuster, im Dritten Reich nach Oxford emigriert, in den 50ern auf Bitten der Universität zurückgekehrt. Er hat sich aus dem Fenster gestürzt wegen des spürbaren Antisemitismus – doch um das Psychogramm des Toten kreisen die Figuren drei Szenen lang.
Diese werden einerseits strukturiert, andererseits immer wieder
aufgebrochen durch Film- und Toneinblendungen aus dem Dritten Reich, ziehen aber auch eine Linie über Waldheim zu Haider bis Strache und Kurz, konfrontieren mit Aussagen der bayerischen Politiker FJS und Söder, Herrn Maaßen und unsäglichen AfD-Zitaten wie dem „Vogelschiss der Geschichte“.
Drei Kammerspiel-Stars haben die Parts der Stichwortgeber: In der ersten, dramaturgisch überzeugendsten Szene wiederholt Annette Paulmann als Hauswirtschafterin Zittel in mäandernden Wortkaskaden die Hasstiraden des Toten, während sie mit großer Komik seine weißen Hemden bügelt. Später echauffiert sich Wiebkes Puls in der Rolle der kämpferischen Tochter Anna als Sprachrohr des Vaters, der seine Landsleute für debil bis stumpfsinnig, die Politiker für moralisch verkommen, den gesamten Kulturbereich für verblödet hielt. Wolfgang Pregler monologisiert als dessen Bruder Robert über die verrotteten Österreicher. Das ist großes Schauspielertheater, eindrucksvoll bis ins Detail durchziseliert, wenn auch die Spannung in der 2. und 3. Szene immer wieder leicht absackt.
„Der Schoss ist fruchtbar noch“– das demonstriert ein Akt, den Falk Richter, in Personalunion Regisseur und Autor, an das Original anhängt. Verbal in Bernhardscher Manier, inhaltlich wie Polit-Agitprop, verwebt er diesen gegen Ende der dreistündigen Aufführung kunstvoll mit dem Original. Das ist hoch emotional für Schauspieler und Publikum – und längst überfällig, denn auf den meisten Bühnen wird zur konfliktreichen aktuellen gesellschaftspolitischen Lage geschwiegen.
Weitere Aufführungen am 6., 22. und 29. Dezember 2021.