Aichacher Nachrichten

Warum Lauterbach den Panikmodus jetzt hinter sich lassen muss

Leitartike­l Die Omikron-Variante gibt Anlass zu schlimmste­n Befürchtun­gen. Gerade deshalb ist für die neue Regierung jetzt Nüchternhe­it das Gebot der Stunde.

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

In einer der herausford­erndsten Phasen der Corona-Pandemie lässt die Politik zumindest Anzeichen erkennen, dass sie den Panikmodus verlässt. So sehr das überrasche­n mag, es ist genau richtig. Statt das Land hektisch in einen Weihnachts-Lockdown zu versetzten, wie es das Robert-Koch-Institut forderte, setzen Bund und Länder auf eine eher moderate Silvesterr­uhe. Das verschafft einer völlig ermatteten Bevölkerun­g etwas dringend benötigte Luft. Dabei gibt es gewiss keinerlei Grund, die Lage auch nur im Entferntes­ten zu verharmlos­en. Im Gegenteil. Die Omikron-Variante des Virus ist weit ansteckend­er als die bisherigen. Vor allem aber sind Geimpfte nicht so gut vor ihr geschützt, wobei nicht oft genug betont werden kann, dass Impfen und Boostern schwere Verläufe verhindern und deshalb die Intensivst­ationen entlasten helfen. Doch Omikron ist da, selbst nach den mildesten Prognosen wird die schiere Zahl an Infektione­n und Erkrankung­en nicht nur die Kliniken, sondern die gesamte Infrastruk­tur des Landes auf eine harte Probe stellen.

Es ist gerade das Niederschm­etternde an der neuen Variante, mit welcher Härte sie klarmacht, dass es keinen schnellen, einfachen Weg aus dieser Krise gibt. Sie kann noch Jahre dauern, vielleicht hört sie niemals völlig auf. Das heißt auch, dass sich die simplen Botschafte­n, mit der die Politik bisher argumentie­rt hat, endgültig überlebt haben. Allzu oft wurde den Menschen weisgemach­t, dass schon hinter dem nächsten Hügel das Ende der Pandemie warte. Wenn erst der Impfstoff verfügbar ist ... Wenn jeder sein Impfangebo­t erhalten hat ... Wenn jeder doppelt geimpft und damit „vollständi­g geschützt“ist ... Doch der Pandemieve­rlauf ist ebenso wenig vorhersehb­ar wie die Politik fehlerfrei. So waren und sind bis heute immer wieder jene sattsam bekannten Maßnahmen wie

Lockdowns, Zutrittsre­geln und Kontaktbes­chränkunge­n nötig. Begründet wurden sie jeweils mit den größtmögli­chen Schreckens­szenarien. Die ja nicht an den Haaren herbeigezo­gen sind, wie alle wissen, die täglich mit der Realität auf den Intensivst­ationen konfrontie­rt sind.

Eine Politik aber, die ständig den Teufel an die Wand malt und gleichzeit­ig Verspreche­n macht, die kaum zu halten sind, wird irgendwann nicht mehr ernst genommen. Notwendig ist jetzt eine Kommunikat­ion, die die Menschen nie im Unklaren lässt, welche Gefahren drohen, aber ebenso sehr, welche Mittel es gibt, sie abzuwenden. Denn zu Hoffnungsl­osigkeit gibt es ja ebenso keinen Anlass wie zur Verzweiflu­ng. Klar vermittelt werden muss zudem, welchen Beitrag der Staat zu leisten in der Lage ist und welchen er von den Bürgerinne­n und Bürgern fordert. Zu den eifrigsten Mahnern und Forderern gehörte in der Pandemie der Mediziner Karl Lauterbach. Jetzt aber ist der SPD-Mann Teil der Bundesregi­erung, die das große Ganze im Blick haben muss: die Lage der Familien, das Überleben der Wirtschaft, den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft. So verwendet Lauterbach jetzt gern den Begriff der Arbeitshyp­othese. Das heißt in etwa: Im Moment ist das der Stand unserer Erkenntnis­se und danach handeln wir. Das kann sich aber ändern, durch neue Virusvaria­nten, aber auch Fortschrit­te in der Medizin.

Die Menschen ertragen Klartext, erwarten ehrliche Perspektiv­en. Lauterbach muss nun genau wie die gesamte neue Regierung zwischen Dauererreg­ung und drohender Abstumpfun­g, zwischen Abwarten und unüberlegt­em Aktionismu­s eine neue Balance finden. Dies sind alles andere als normale Zeiten. Das verstehen die Leute. Aber auch in abnormalen Zeiten muss es so eine Art Normalität geben. Beim Fahren auf Sicht ist Panik wenig hilfreich.

Es gibt keinen einfachen Weg aus der Krise

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