Aichacher Nachrichten

Sind wir für die Omikron‰Notlage gerüstet?

Pandemie

- VON MARGIT HUFNAGEL, BERNHARD JUNGINGER, MICHAEL KERLER (mit dpa)

Experten warnen vor massiven Arbeitsaus­fällen in sensiblen und wichtigen gesellscha­ftlichen Bereichen. So bereiten sich Behörden, Energiever­sorger und der Handel auf die drohende Ausnahmesi­tuation vor.

Berlin/Augsburg Es ist eine Aufgabe, die für die Politik von unschätzba­rem Wert ist – aber immer auch das Problem hat, von leisen (oder lauten) Hoffnungen begleitet zu werden, dass es womöglich doch anders, weniger schlimm kommen werde. Seit Beginn der Corona-Pandemie versuchen sogenannte Modelliere­r mit Rechen-Modellen vorherzusa­gen, wie sich die Krise entwickeln wird. Schwarzseh­er sind sie für die einen. Wichtige Hinweisgeb­er für die anderen. In der aktuellen Phase der Pandemie ist es für die Modelliere­r besonders schwer, eine Prognose abzugeben – zu wenig ist bislang über die Omikron-Mutation bekannt. Hinzu kommt, dass sinkende Inzidenzwe­rte ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Doch selbst bei eher optimistis­cher Schätzung sind sich die führenden Experten einig: Die Wucht der nächsten Welle wird uns treffen. Einer der Gründe dafür ist, dass Omikron den Impfschutz leichter unterlaufe­n kann, als das die Delta-Variante getan hat.

Thorsten Lehr, Professor für klinische Pharmazie an der Universitä­t des Saarlandes in Saarbrücke­n, hat für den Spiegel errechnet, wie Deutschlan­d in einigen Wochen dastehen könnte. Laut dessen Simulator könnte die Zahl der Covid19-Fälle bis Mitte Februar über die Fünf-Millionen-Marke steigen. Dies würde bei einer Gleichvert­eilung durch die Altersgrup­pen bedeuten, dass fast drei Millionen Menschen nicht zur Arbeit gehen können. Denn selbst wer keine schweren Symptome hat, muss sich in eine 14-tägige Quarantäne begeben. Noch pessimisti­scher ist Lehrs Kollege Dirk Paessler. Der Fürther Modelliere­r sagt im Spiegel sogar bis zu zehn Millionen Arbeitsaus­fälle im Februar voraus.

Entspreche­nd deutlich warnt inzwischen der Corona-Expertenra­t der Bundesregi­erung: Die kritische Infrastruk­tur des Landes – also unter anderem Krankenhäu­ser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdi­enst, Telekommun­ikation, Strom- und Wasservers­orgung – müsse stärker geschützt werden. Zwar gehen die Experten davon aus, dass die Zahl der schweren Verläufe geringer sein wird. Doch allein durch die schiere

Wucht der Zahl der Neuinfekti­onen könnten die Auswirkung­en der Omikron-Welle weitreiche­nder sein als die der vier vorherigen.

Sollte die Warnung tatsächlic­h Wirklichke­it werden, wäre damit eine neue Zuspitzung der Krise erreicht. Zwar hofft Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach, dass durch die strenger gefassten Corona-Regeln eine Überlastun­g der Systeme noch aufgefange­n werden könne. Doch bei Polizei, Feuerwehr, in Strom- und Wasservers­orgung oder im Lebensmitt­elbereich würden die Notfallplä­ne überprüft. Für Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, ist die Rechnung einfach: „Wenn viele krank sind oder in Quarantäne müssen, können sie nicht zur Arbeit gehen.“Wie sehr sich die Situation verschärft, könnte sich in wenigen Wochen zeigen: „Die Omikron-Variante verbreitet sich mit einer bislang nicht gesehenen Dynamik“, sagte Wieler. Praxen, Krankenhäu­ser und Apotheken als zentralem Teil der kritischen Infrastruk­tur komme dabei besondere Aufmerksam­keit zu. Denn dort treffen zwei Faktoren aufeinande­r: Durch Omikron könnte es zu mehr Ausfällen in der Belegschaf­t kommen – zugleich

die Zahl der Patienten wachsen. Lauterbach sagt, er gehe davon aus, dass dieser Bereich durch die dort herrschend­e hohe Impfquote gut geschützt sei. Dennoch würden auch dort Notfallplä­ne überprüft. Es werde etwa nicht ausgeschlo­ssen, „auch Rehaklinik­en für die Akutversor­gung heranzuzie­hen“.

In Bayern betont der Chef des Landesfeue­rwehrverba­ndes, Johann Eitzenberg­er: „Die Einsatzber­eitschaft aller bayerische­n Feuerwehre­n war und ist zu keinem Zeitpunkt gefährdet.“Man verfolge die Informatio­nen zur Omikron-Variante und die damit verbundene­n Warnungen. „Wir sind wachsam, wir haben gelernt, mit der Pandemie umzugehen.“

Andere Behörden und Unternehme­n der kritischen Infrastruk­tur haben begonnen, ihre Notfallplä­ne zu reaktivier­en. „Wir stellen sicher, dass genügend Verstärkun­gskräfte aus anderen Bereichen zur Verfügung bereitsteh­en für unser Lagezentru­m“, sagt eine Sprecherin des Bundesamte­s für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK). Das Gemeinsame Meldeund Lagezentru­m beim BBK unterstütz­t bei der Verlegung intensivpf­lichtiger Covid-19-Patienten,

wenn es regionale Engpässe in den Krankenhäu­sern gibt.

„Wir nehmen die vom Coronaviru­s sowie der neuen Omikron-Variante ausgehende­n Risiken sehr ernst“, sagt Thomas Renz, Sprecher des regionalen Strom- und Gasanbiete­rs Lechwerke LEW. Seit Beginn der Pandemie sei ein Krisenstab eingericht­et, der die Entwicklun­g der Krise und die Empfehlung­en der Behörden verfolgt und kommunizie­rt. Mitarbeite­r der LEW sollen so weit wie möglich im Homeoffice arbeiten, Maske tragen und sich impfen lassen. „Für Mitarbeite­r in kritischen Bereichen gelten besondere Vorkehrung­en: Bestimmte Schichtsys­teme stellen sicher, dass die einzelnen Schichten nicht miteinande­r in Kontakt kommen“, erklärt Renz. „Zudem werden zusätzlich­e Standorte der Leitstelle­n für Stromnetz und Wasserkraf­twerke bereitgeha­lten, sodass für die Leitstelle­n jederzeit in einen Zwei-Standort-Betrieb gewechselt werden kann.“

Die Deutsche Polizeigew­erkschaft fordert indes eine Ausnahme von den Quarantäne-Vorschrift­en für die Polizei als Teil der kritischen Infrastruk­tur. „Die Einsatzfäh­igkeit der Polizei darf nicht dadurch eingedürft­e schränkt werden, dass Polizeibes­chäftigte nach dem Kontakt mit Omikron-Infizierte­n wegen einer 14-tägigen Quarantäne ausfallen“, sagte der Landesvors­itzende Jürgen Köhnlein. „Zur Vermeidung eines Notbetrieb­s bei der Polizei müssen geboostert­e Polizeibea­mtinnen und -beamte stattdesse­n die Möglichkei­t haben, sich beispielsw­eise nach sieben Tagen freizutest­en.“Die Polizei sei ohnehin durch die Kontrolle der Einhaltung von Corona-Regeln und Einsätzen bei Corona-Protesten zusätzlich gefordert.

Auch die Privatwirt­schaft sorgt vor – ist aber bislang zuversicht­lich, die neue Corona-Welle zu bezwingen. Unter anderem, weil sie in den vergangene­n zwei Jahren einen Lernprozes­s durchgemac­ht hat. Weil im Frühjahr 2020 viele Fahrer aus Osteuropa wegen der Pandemie in ihre Heimatländ­er zurückkehr­ten, brachen manche Lieferkett­en zusammen. Das soll sich nicht wiederhole­n. „Die Logistikbr­anche ist im Umgang mit dem anhaltende­n Pandemiege­schehen inzwischen äußerst routiniert, sodass zum jetzigen Zeitpunkt trotz dünner Personalde­cken keine versorgung­srelevante­n Ausfälle größeren Ausmaßes zu befürchten sind“, sagt Frank Huster, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands Spedition und Logistik. „Entscheide­nd ist, dass die Politik nicht ad hoc Maßnahmen beschließt, sondern die Pandemieen­twicklung antizipier­t, Gesetzesän­derungen mit Folgeabsch­ätzungen verknüpft und diese mit ausreichen­dem Vorlauf ankündigt.“

Die Lebensmitt­elbranche bereitet sich mit Pandemiepl­änen vor. „Es gibt zwar keine Garantie, dass es nicht stellenwei­se zu Stockungen im Produktion­sablauf kommt, wenn Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in Quarantäne müssen, aber wir können versichern, dass wir als Branche alles in unserer Macht Stehende tun, um durch präventive betrieblic­he Maßnahmen der Ausbreitun­g des Coronaviru­s und jetzt der OmikronVar­iante vorzubeuge­n“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Lebensmitt­elverbands Deutschlan­d, Christoph Minhoff. Gerade haltbare Lebensmitt­el wie Nudeln, Reis, Tiefkühlpr­odukte oder Konserven seien ohnehin in großer Menge vorproduzi­ert und könnten abgerufen werden.

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Foto: Laurent Gillieron, dpa Geraten Kliniken durch die Omikron‰Variante erneut an ihre Belastungs­grenze – weil auch Mitarbeite­r ausfallen? Experten glau‰ ben, dass die kritische Infrastruk­tur besser geschützt werden müsste.

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