Raus aus Paris
Immobilien Die Pandemie hat den Trend beschleunigt, dass viele Bewohner französischer Metropolen ein neues Leben in mittelgroßen Städten beginnen. Das wird auf dem Immobilienmarkt erkennbar.
Paris Es war eine bewusste Aktion der französischen Eisenbahn-Gewerkschaften, um Druck auszuüben: Genau zum Start der Weihnachtsferien sollte ein Streik mehrere Zugstrecken vor allem im Südosten des Landes lahmlegen. Doch in letzter Minute wurden die Arbeitsniederlegungen nur auf einen Tag beschränkt und seitdem sind täglich zigtausende Menschen auf der Schiene und den Straßen unterwegs zu ihren Familien in der Provinz, um dort Weihnachten zu feiern. Die Metropolen leeren sich – wie immer zur Ferienzeit und wie auch während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Laut Erhebungen der Telefonanbieter verließen damals 800.000 Menschen Paris. Und nach Meinungsumfragen träumt eine Mehrheit der französischen Städter davon, dauerhaft auf dem Land zu bleiben.
Ein Blick auf den Immobilienmarkt zeigt, dass viele Menschen diesen Wunsch auch schon in die Tat umgesetzt haben. Mittelgroße Städte verzeichneten einen bemerkenswerten Zuwachs, allen voran Brest und Quimper in der Bretagne, die durch Schnellzug-Verbindungen gut an Paris angebunden sind. Aber auch Angers, Reims und Orléans profitieren von diesem Trend, von wo aus die französische Hauptstadt in ein bis zwei Zugstunden erreichbar ist. Der Großraum Nantes wächst seit einiger Zeit um 9500 neue Einwohner pro Jahr.
Während die Immobilienpreise in Paris – die Metropole ist eine der teuersten der Welt überhaupt – erstmals seit Jahren um 1,5 Prozent zurückgegangen sind, stiegen sie in mittelgroßen Städten um 6,4 Prozent. Die Coronavirus-Pandemie hat dem Trend zum Homeoffice auch in Frankreich einen Schub gegeben, wo die Chefs eigentlich noch stark auf Präsenzpflicht setzen. „Die Hälfte der französischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen auch nach der Gesundheitskrise zeitweise von zu Hause aus arbeiten“, sagt Pierre Vidal von der Online-Immobilienagentur MeilleursAgents. Das macht zum einen das Pendeln attraktiver, weil es nicht mehr täglich sein muss. Zum anderen wächst der Wunsch nach mehr Wohnfläche. Tatsächlich verzeichnen Immobilienexperten den stärksten Anstieg bei Einfamilienhäusern mit Garten, vor allem unweit mittelgroßer Städte. Zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern sei er bereits 2019 von Paris nach Nantes gezogen, sagte der Journalist und Autor Guillaume Jan gegenüber der Zeitung Le Monde: „Wir haben ein Haus mit 150 Quadratmetern und Garten gekauft, also unseren Wohnraum verdreifacht.“Für 240.000 Euro bekommt man im Schnitt in Saint-Étienne südwestlich von Lyon 162 Quadratmeter, in Dijon 89 und in Paris gerade einmal 22.
Die niedrigen Zinsen erleichtern den Kauf. Hinzu kommt, dass die Franzosen ein Volk der Immobilienbesitzer sind und weniger mieten als die Deutschen: 58 Prozent von ihnen sind Eigentümer ihrer Hauptwohnstätte; einige haben noch eine Zweitwohnung auf dem Land. Auch dieser Umstand beflügelt den Immobilienmarkt.
Um der starken Zentralisierung zu begegnen und die Zentren kleinerer Städte zu fördern, investiert die französische Regierung derzeit insgesamt fünf Milliarden Euro in das Programm „Aktion Stadtkern“. Und doch hat die Entwicklung in einem Land, in dem sich die wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten sehr stark auf wenige Großstädte konzentrieren, ihre Grenzen. Im Großraum Paris wird rund ein Drittel des landesweiten Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet. Zwar verliert die Hauptstadt seit 2012 jährlich rund 10.000 Einwohner. Dennoch sagt Emmanuel Grégoire, der im Rathaus für Städtebau zuständig ist, eine echte Stadtflucht erkenne er nicht. „Ich habe eine Umfrage von 1963 im Kopf: Demnach sagten schon damals 65 Prozent der Menschen in den Städten, dass sie diese verlassen wollten.“In Paris leben derzeit 2,2 Millionen Menschen, im Großraum sind es 12,2 Millionen.