Aichacher Nachrichten

Meister der Selbstbehe­rrschung

Schwimmen

- VON ANDREAS KORNES

Florian Wellbrock ist einer der besten Schwimmer der Welt. Das beweist er mit einem Weltrekord. So etwas hat es in Deutschlan­d schon lange nicht mehr gegeben. Das nächste große Ziel liegt in Paris.

Abu Dhabi Wenn Florian Wellbrock sagt, dieser Moment sei für ihn schwer in Worte zu fassen, dann tut er das so, wie andere einen Vortrag über Kernfusion beginnen würden. Ruhig und konzentrie­rt – und gerade deshalb fällt es schwer zu glauben, dass im Innersten des 24-Jährigen gerade ein emotionale­s Durcheinan­der herrschen könnte. Wellbrock ist ein Meister der Selbstbehe­rrschung. Im Guten wie im Schlechten. Nach seinem fabelhafte­n Weltrekord am Dienstag genauso wie nach seinem taktisch verbummelt­en Rennen bei den Olympische­n Spielen im Sommer. Beide Male stand er danach vor den Journalist­en und referierte bemerkensw­ert abgeklärt über seine Leistung.

In Abu Dhabi gab er zu Protokoll,

Für einen kurzen Moment nicht unter Kontrolle

dass ihm auf den letzten Metern, als sein WM-Sieg auf der eigentlich eher ungeliebte­n 25-Meter-Bahn schon sicher war, jede Menge Gedanken und Emotionen durch den Kopf geschossen seien. „Dieser Moment ist ja rückblicke­nd immer so unheimlich kurz.“Im Ziel habe er dann versucht, all der Freude freien Lauf zu lassen. Wellbrock saß also auf der Leine, riss die Arme hoch, schlug aufs Wasser. Für einen kurzen Moment habe er sich nicht unter Kontrolle gehabt, sagte er später, als er die Kontrolle längst wieder hatte. Und fast klang es wie eine Entschuldi­gung.

Wer sich ansieht, welch unglaublic­her Trainingsa­ufwand nötig ist,

um über die längsten Schwimmstr­ecken Weltspitze zu sein, der könnte geneigt sein zu sagen, dass es genau eines derart beherrscht­en und fokussiert­en Typen bedarf, um dieses Programm abzuspulen. In Magdeburg schwimmt der gebürtige Bremer unter der Leitung von Bundestrai­ner Bernd Berkhan bis zu 100 Kilometer pro Woche. Das über viele Jahre zu schaffen, setzt auch

mentale Stärke voraus. Den Lohn für all die Mühen und Beharrlich­keit erntete Wellbrock in diesem Jahr. Während er nach Bronze über 1500 Meter im olympische­n Becken von Tokio noch eher unzufriede­n war – Gold schien greifbar nahe – holte er sich den Olympiasie­g eben wenige Tage später über zehn Kilometer im Hafen der japanische­n Millionenm­etropole. Als erster

deutscher Olympiasie­ger seit Michael Groß’ Triumph 1988 in Seoul wurde Wellbrock gefeiert, auch wenn das nicht ganz korrekt ist. Denn die Freiwasser-Wettbewerb­e stehen erst seit 2008 im olympische­n Programm. In den traditions­reichen Beckenwett­bewerben ist Groß weiterhin der bislang letzte Deutsche, der eine Goldmedail­le gewann. Trotzdem darf attestiert werden, dass mit Wellbrock seit langer Zeit mal wieder ein Schwimmer aus der Bundesrepu­blik Weltspitze ist. Zudem er mit 24 Jahren noch längst nicht am Ende seiner Entwicklun­g angelangt ist. Längst schon hat er die nächsten Olympische­n Sommerspie­le 2024 in Paris im Visier. Der komplette olympische Zyklus, dieses Mal verkürzt auf drei Jahre, ist auf die Wettbewerb­e in der französisc­hen Hauptstadt abgestimmt.

Viel Zeit zum Genießen der Erfolge des zu Ende gehenden Jahres bleibt da nicht. Das würde ohnehin nicht dem Naturell Wellbrocks entspreche­n. Er habe nicht gedacht, in der Form zu sein, um Weltrekord zu schwimmen, sagte er noch in Abu Dhabi. Als er nach 14:06,88 Minuten anschlug, hatte er sich selbst eines Besseren belehrt und die alte Bestmarke des Italieners Gregorio

Nächstes Jahr will der 24‰Jährige heiraten

Paltrinier­i um mehr als eine Sekunde verbessert. Allein dafür schüttete der Weltverban­d Fina eine Extraprämi­e von 50.000 US-Dollar aus. Zusammen mit den Siegprämie­n für seine ersten Plätze über 1500 Meter und zuvor beim Freiwasser-Weltcup kehrte Wellbrock also mit 80.000 Dollar Weihnachts­geld auf dem Konto nach Hause zurück. Dort erwartet ihn seine Verlobte und Trainingsp­artnerin Sarah Köhler, die in Tokio Bronze über 1500 Meter gewonnen hatte. Im kommenden Jahr soll geheiratet werden, hat Wellbrock nach den Olympische­n Spielen angekündig­t und hatte dabei geklungen, als würde er über Kernfusion referieren.

 ?? Foto: Kamran Jebreili, dpa ?? Müsste man sich einen perfekten Langstreck­enschwimme­r basteln, er sähe aus wie Florian Wellbrock. Der 24‰Jährige ist 1,92 Meter groß, wiegt aber nur 76 Kilo. Dazu kommen Wassergefü­hl, Technik, Bewegungst­alent und Trainingsf­leiß.
Foto: Kamran Jebreili, dpa Müsste man sich einen perfekten Langstreck­enschwimme­r basteln, er sähe aus wie Florian Wellbrock. Der 24‰Jährige ist 1,92 Meter groß, wiegt aber nur 76 Kilo. Dazu kommen Wassergefü­hl, Technik, Bewegungst­alent und Trainingsf­leiß.

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