Wenn die Wilde Jagd durch die Lüfte zieht
Heimatgeschichte Den zwölf Raunächten vom Ersten Weihnachtstag bis Heilige Drei Könige wird eine gewisse Magie nachgesagt. Auch im Wittelsbacher Land dreht sich um diese besonderen Nächte so mancher Aberglaube.
AichachFriedberg Die Raunächte waren bei unseren Vorfahren Heilige Nächte. In der Zeit vom 25. Dezember bis zum 6. Januar wurde möglichst nicht gearbeitet, sondern gefeiert, wahrgenommen und in der Familie gelebt. Die zwölf sogenannten besonderen Nächte sind aber auch eine Zeit, die sich angeblich für Geisteraustreibung oder -beschwörung, den Kontakt mit Tieren oder wahrsagerische Praktiken eignen soll. Solcher Aberglaube findet sich in alten Archiven, Aufzeichnungen und Erzählungen aus dem Wittelsbacher Land. Wir haben einige dieser Geschichten über übernatürlichen Dinge und Bräuche zu diesen Raunächten aufgeschrieben. Die stammen übrigens nicht aus grauer Vorzeit, sondern sind teils in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts aufgeschrieben worden. Das zeigt, wie lange sich solcher Aberglaube an übernatürliche Dinge in breiten Bevölkerungsschichten hielt.
Die Zahl Zwölf ergibt sich aus den sechs letzten Tagen (Nächten) des alten und den sechs ersten des neuen Jahres. Die Raunächte haben ihren Namen nicht von rauen Sitten, sondern tatsächlich vom Rauch. Kelten sahen in ihm, zusammen mit Wasser und Feuer, eine mythologische Reinigungskraft. Das Ritual des Reinigens von Haus und Hof zum Jahreswechsel mittels Entzünden von Harz und Feuer mit Besprengen von Wasser geht auch in unserer Gegend auf die Kelten zurück. Es fand damals allerdings nur in einer Nacht (um den 1. November herum) statt, nicht in vielen Nächten.
Wie man in Aufzeichnungen aus dem Mittelalter sehen kann, begannen diese Nächte bereits am Vorabend zum 21. Dezember – also zur Wintersonnwende oder dem St.-Thomastag. An diesem Abend musste alles gründlich mit Ritualkräutern durchgeräuchert werden: Haus oder Wohnung, früher auch Ställe und Felder. Damit vertrieb man „böse Geister“, damit sie nicht das nahe Weihnachtsfest störten. Kinder musste man an diesem Abend immer im Auge behalten, damit sie nicht von Geistern entführt oder verwirrt werden.
Wenn um Weihnachten die Stürme heulend am Hause rüttelten, hieß es, dass Allvater Wodan mit seinem wütenden Heer durch die Lüfte brause. Die „Wilde Jagd“brach zu Silvester auf. Auch in Sielenbach und im Ecknachtal sowie im ganzen altbayerischen Raum glaubte man an das „Wilde Geisterheer“und räucherte Stall und Wohnräume mit geweihtem Weihrauch aus. Vor dem Abendessen wurde glühende Kohle auf eine Schaufel gelegt und Weihrauch darüber gestreut.
Auf das Wilde Geisterheer im Landkreis weisen zwei Erzählungen aus Haunswies (Gemeinde Affing) und Edenried (Stadt Aichach) hin. Beim Gaßlbauern in Haunswies stand ein Unterknecht von Igenhausen (Gemeinde Hollenbach) im Dienst, der immer entsetzlich fluchte. Als er sich eines Tages sogar eines Gottesfrevels schuldig machte, fasste in nachts das „Wílde Gja“und trug ihn durch die Lüfte. Kurz vor dem Hieslinger Weiher ließ das wilde Heer ihn jedoch fallen. Der Gütler Johann Selig von Edenried soll beim Kleemähen ebenfalls von der „Wilden Jagd“entführt worden sein, da er sich beim Herannahen des Geisterheeres nicht auf den Boden geworfen hatte. Beim Gebetsläuten kam er dann in den Waldungen der Heiliggeist-Spitalstiftung Aichach unversehrt wieder auf den Erdboden.
Weiterer Aberglaube in den Raunächten: Wurde man am Morgen von einer Elster angeschrien, so drohte an diesem Tag großes Unglück. Wurde das Salzfass ausgeschüttet, bedeutete das Verdruss. Schnitt man einen Brotlaib an, so musste man zuerst drei Kreuze machen, damit er mehr sättigte. Besonders in der Heiligen Nacht hatte der Glaube an Hexen, Truden und alles scheue Gesindel Hochkonjunktur. Denn da konnte ihnen angeblich der Leibhaftige keinen Schutz bieten, weil die Christnacht dem Christkind gehört. Darum kann man Hexen, Truden und bösen Geistern in der Heiligen Nacht besonders gut beikommen. Es soll sich diese Gelegenheit, so der alte Aberglaube, niemand entgehen lassen. Dann weiß der Bauer, welche Trud in der Nacht seine Pferde so bearbeitete, dass ihnen in der Frühe der Schweiß runtertropfte. Und die Bäuerin findet heraus, wer ihren Rahm verhext, dass keine Butter draus wird, warum die Kühe im Stall blaues Wasser geben statt Milch und warum die Hennen im Hof gar nimmer legen wollen, den Kopf hängen lassen und schließlich ganz verschwinden.
Es gibt aber einige „Weihnachtsrezepte“, um solchen Unbilden Herr zu werden. Wenn in der Gegend die Viehseuche umgeht, gräbt man noch vor der Mette Heu in den Misthaufen. Nach den drei heiligen Messen kommt es dann wieder raus und wird dem Vieh zum Fressen gegeben. Dann kann ihm im kommenden Jahr keine Seuche was anhaben. Gibt man den Pferden während der Christmette Gerste, so bleiben sie gleichfalls für ein Jahr von allerlei Krankheiten
bewahrt, besonders vor Drüsenschwellungen und Koliken. Am Thomastag (21. Dezember) musste man im Dunkeln eine Henne fangen. Je nachdem, ob man eine rote oder eine schwarze erwischte, bekam man einen rot- oder schwarzhaarigen Mann. Heiratslustige Damen hätten von dieser Mirakelbefragung regen Gebrauch gemacht, heißt es in alten Aufzeichnungen.
Zum Erkennen von Hexen existierten nach diesen mehrere Methoden. Schaute eine Weibsperson sich während der Christmette um, so war sie dem Aberglauben nach eine Hexe. Oder man zimmerte sich aus neunerlei Holz einen Schemel, kniete sich während der Christmette innen vor die Kirchentür, dann konnte man ebenfalls die Hexen ausfindig machen. Es funktioniert
aber nur, wenn einen niemand sieht. In einer anderen Version kniet man sich während der Wandlung verstohlen auf den Schemel und sieht alle Hexen seiner Gemeinde. Sämtliche Hexen knien nämlich „ärschlings“, also mit dem Rücken zum Hochaltar, weil sie das Licht des neugeborenen Christkindes nicht vertragen können. Auch alle anderen Hexen des Dorfes, die etwa daheimgeblieben sind, sieht man in den Kirchenstühlen knien. Solche Aberglauben war weit verbreitet.
Man soll aber nicht gar zu lange verweilen und sich vorsehen, dass man vor Mettenschluss wieder zu Hause in der Stuben ist. Denn finden die Hexen denjenigen, der ihr Geheimnis kennt, noch auf offener Straße, so fallen sie über ihn her, zerkratzen im gottserbärmlich sein Gesicht und versuchen ihn womöglich noch blind zu machen, damit er ja niemanden mehr erkennen kann. Ein Bursch in Landsberg, so berichten die Quellen im Ecknacher Pfarrarchiv, habe vor ein paar Jahrzehnten seinen Vorwitz elendiglich büßen müssen und habe bis Ostern an seinen Misshandlungen gelitten. Der Eintrag ist nicht aus dem späten Mittelalter, sondern aus dem Jahr 1906.
In einem Schulaufsatz von 1911 wurde aus dem Aichacher Raum von einem Schüler folgende Geschichte über die Heilige Nacht niedergeschrieben: „An dem Platz, wo die Toten von einer Pfarrei durch eine andere übers Kreuz geführt werden, kann man den Teufel beschwören. Dazu muss man in der Mettennacht an den Kreuzweg gehen und einen Kreis ziehen, der die Länge vom eigenen Körper zum Durchmesser hat. Um die zwölfte Stunde kommt dann der Leibhaftige und versucht, einen mit allen möglichen Schrecken aus dem Kreis zu treiben. Er fährt mit einem Fuhrwerk voll auf den Kreis zu, schmeißt die größten Baumstämme hin und tut alles in seiner Macht stehende, um den anderen zum Davonlaufen zu bewegen. Wenn man aber standhaft bleibt, kann man von ihm verlangen, was man mag: Geld, Ehre oder Weiber. Der Teufel musste alles herschaffen. Lässt man sich aber vertreiben, dann holt einen der Leibhaftige vom Fleck weg.“
Das Kreuzwegstehen hätten, so steht im Aufsatz, einmal zwei probiert. „Sie haben sich so weit von einander aufgestellt, dass sie sich noch zurufen konnten. Doch einer der beiden ist davongelaufen. Ihn hat der Teufel arg zugerichtet. Der andere blieb standhaft und hatte damit einen Wunsch frei. Wie ihn nun der Teufel gefragt hat, was er sich denn wünsche, hat er nur verlangt, dass er ihm seinen Kameraden so wieder gibt, wie er zuvor war. An etwas anderes dachte er nicht.“
Über den Hexen- und Aberglauben schreibt in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Sielenbacher Alfons Veith und spätere Pfarrer Folgendes: „Hier ist das Volk jeglicher Belehrung und gegenteiliger Beeinflussung völlig unzugänglich und beharrt unerschütterlich auf seine verschobenen Ansichten.“