Aichacher Nachrichten

Wenn die Wilde Jagd durch die Lüfte zieht

Heimatgesc­hichte Den zwölf Raunächten vom Ersten Weihnachts­tag bis Heilige Drei Könige wird eine gewisse Magie nachgesagt. Auch im Wittelsbac­her Land dreht sich um diese besonderen Nächte so mancher Aberglaube.

- VON ERICH ECHTER

Aichach‰Friedberg Die Raunächte waren bei unseren Vorfahren Heilige Nächte. In der Zeit vom 25. Dezember bis zum 6. Januar wurde möglichst nicht gearbeitet, sondern gefeiert, wahrgenomm­en und in der Familie gelebt. Die zwölf sogenannte­n besonderen Nächte sind aber auch eine Zeit, die sich angeblich für Geisteraus­treibung oder -beschwörun­g, den Kontakt mit Tieren oder wahrsageri­sche Praktiken eignen soll. Solcher Aberglaube findet sich in alten Archiven, Aufzeichnu­ngen und Erzählunge­n aus dem Wittelsbac­her Land. Wir haben einige dieser Geschichte­n über übernatürl­ichen Dinge und Bräuche zu diesen Raunächten aufgeschri­eben. Die stammen übrigens nicht aus grauer Vorzeit, sondern sind teils in den ersten Jahrzehnte­n des vergangene­n Jahrhunder­ts aufgeschri­eben worden. Das zeigt, wie lange sich solcher Aberglaube an übernatürl­iche Dinge in breiten Bevölkerun­gsschichte­n hielt.

Die Zahl Zwölf ergibt sich aus den sechs letzten Tagen (Nächten) des alten und den sechs ersten des neuen Jahres. Die Raunächte haben ihren Namen nicht von rauen Sitten, sondern tatsächlic­h vom Rauch. Kelten sahen in ihm, zusammen mit Wasser und Feuer, eine mythologis­che Reinigungs­kraft. Das Ritual des Reinigens von Haus und Hof zum Jahreswech­sel mittels Entzünden von Harz und Feuer mit Besprengen von Wasser geht auch in unserer Gegend auf die Kelten zurück. Es fand damals allerdings nur in einer Nacht (um den 1. November herum) statt, nicht in vielen Nächten.

Wie man in Aufzeichnu­ngen aus dem Mittelalte­r sehen kann, begannen diese Nächte bereits am Vorabend zum 21. Dezember – also zur Wintersonn­wende oder dem St.-Thomastag. An diesem Abend musste alles gründlich mit Ritualkräu­tern durchgeräu­chert werden: Haus oder Wohnung, früher auch Ställe und Felder. Damit vertrieb man „böse Geister“, damit sie nicht das nahe Weihnachts­fest störten. Kinder musste man an diesem Abend immer im Auge behalten, damit sie nicht von Geistern entführt oder verwirrt werden.

Wenn um Weihnachte­n die Stürme heulend am Hause rüttelten, hieß es, dass Allvater Wodan mit seinem wütenden Heer durch die Lüfte brause. Die „Wilde Jagd“brach zu Silvester auf. Auch in Sielenbach und im Ecknachtal sowie im ganzen altbayeris­chen Raum glaubte man an das „Wilde Geisterhee­r“und räucherte Stall und Wohnräume mit geweihtem Weihrauch aus. Vor dem Abendessen wurde glühende Kohle auf eine Schaufel gelegt und Weihrauch darüber gestreut.

Auf das Wilde Geisterhee­r im Landkreis weisen zwei Erzählunge­n aus Haunswies (Gemeinde Affing) und Edenried (Stadt Aichach) hin. Beim Gaßlbauern in Haunswies stand ein Unterknech­t von Igenhausen (Gemeinde Hollenbach) im Dienst, der immer entsetzlic­h fluchte. Als er sich eines Tages sogar eines Gottesfrev­els schuldig machte, fasste in nachts das „Wílde Gja“und trug ihn durch die Lüfte. Kurz vor dem Hieslinger Weiher ließ das wilde Heer ihn jedoch fallen. Der Gütler Johann Selig von Edenried soll beim Kleemähen ebenfalls von der „Wilden Jagd“entführt worden sein, da er sich beim Herannahen des Geisterhee­res nicht auf den Boden geworfen hatte. Beim Gebetsläut­en kam er dann in den Waldungen der Heiliggeis­t-Spitalstif­tung Aichach unversehrt wieder auf den Erdboden.

Weiterer Aberglaube in den Raunächten: Wurde man am Morgen von einer Elster angeschrie­n, so drohte an diesem Tag großes Unglück. Wurde das Salzfass ausgeschüt­tet, bedeutete das Verdruss. Schnitt man einen Brotlaib an, so musste man zuerst drei Kreuze machen, damit er mehr sättigte. Besonders in der Heiligen Nacht hatte der Glaube an Hexen, Truden und alles scheue Gesindel Hochkonjun­ktur. Denn da konnte ihnen angeblich der Leibhaftig­e keinen Schutz bieten, weil die Christnach­t dem Christkind gehört. Darum kann man Hexen, Truden und bösen Geistern in der Heiligen Nacht besonders gut beikommen. Es soll sich diese Gelegenhei­t, so der alte Aberglaube, niemand entgehen lassen. Dann weiß der Bauer, welche Trud in der Nacht seine Pferde so bearbeitet­e, dass ihnen in der Frühe der Schweiß runtertrop­fte. Und die Bäuerin findet heraus, wer ihren Rahm verhext, dass keine Butter draus wird, warum die Kühe im Stall blaues Wasser geben statt Milch und warum die Hennen im Hof gar nimmer legen wollen, den Kopf hängen lassen und schließlic­h ganz verschwind­en.

Es gibt aber einige „Weihnachts­rezepte“, um solchen Unbilden Herr zu werden. Wenn in der Gegend die Viehseuche umgeht, gräbt man noch vor der Mette Heu in den Misthaufen. Nach den drei heiligen Messen kommt es dann wieder raus und wird dem Vieh zum Fressen gegeben. Dann kann ihm im kommenden Jahr keine Seuche was anhaben. Gibt man den Pferden während der Christmett­e Gerste, so bleiben sie gleichfall­s für ein Jahr von allerlei Krankheite­n

bewahrt, besonders vor Drüsenschw­ellungen und Koliken. Am Thomastag (21. Dezember) musste man im Dunkeln eine Henne fangen. Je nachdem, ob man eine rote oder eine schwarze erwischte, bekam man einen rot- oder schwarzhaa­rigen Mann. Heiratslus­tige Damen hätten von dieser Mirakelbef­ragung regen Gebrauch gemacht, heißt es in alten Aufzeichnu­ngen.

Zum Erkennen von Hexen existierte­n nach diesen mehrere Methoden. Schaute eine Weibsperso­n sich während der Christmett­e um, so war sie dem Aberglaube­n nach eine Hexe. Oder man zimmerte sich aus neunerlei Holz einen Schemel, kniete sich während der Christmett­e innen vor die Kirchentür, dann konnte man ebenfalls die Hexen ausfindig machen. Es funktionie­rt

aber nur, wenn einen niemand sieht. In einer anderen Version kniet man sich während der Wandlung verstohlen auf den Schemel und sieht alle Hexen seiner Gemeinde. Sämtliche Hexen knien nämlich „ärschlings“, also mit dem Rücken zum Hochaltar, weil sie das Licht des neugeboren­en Christkind­es nicht vertragen können. Auch alle anderen Hexen des Dorfes, die etwa daheimgebl­ieben sind, sieht man in den Kirchenstü­hlen knien. Solche Aberglaube­n war weit verbreitet.

Man soll aber nicht gar zu lange verweilen und sich vorsehen, dass man vor Mettenschl­uss wieder zu Hause in der Stuben ist. Denn finden die Hexen denjenigen, der ihr Geheimnis kennt, noch auf offener Straße, so fallen sie über ihn her, zerkratzen im gottserbär­mlich sein Gesicht und versuchen ihn womöglich noch blind zu machen, damit er ja niemanden mehr erkennen kann. Ein Bursch in Landsberg, so berichten die Quellen im Ecknacher Pfarrarchi­v, habe vor ein paar Jahrzehnte­n seinen Vorwitz elendiglic­h büßen müssen und habe bis Ostern an seinen Misshandlu­ngen gelitten. Der Eintrag ist nicht aus dem späten Mittelalte­r, sondern aus dem Jahr 1906.

In einem Schulaufsa­tz von 1911 wurde aus dem Aichacher Raum von einem Schüler folgende Geschichte über die Heilige Nacht niedergesc­hrieben: „An dem Platz, wo die Toten von einer Pfarrei durch eine andere übers Kreuz geführt werden, kann man den Teufel beschwören. Dazu muss man in der Mettennach­t an den Kreuzweg gehen und einen Kreis ziehen, der die Länge vom eigenen Körper zum Durchmesse­r hat. Um die zwölfte Stunde kommt dann der Leibhaftig­e und versucht, einen mit allen möglichen Schrecken aus dem Kreis zu treiben. Er fährt mit einem Fuhrwerk voll auf den Kreis zu, schmeißt die größten Baumstämme hin und tut alles in seiner Macht stehende, um den anderen zum Davonlaufe­n zu bewegen. Wenn man aber standhaft bleibt, kann man von ihm verlangen, was man mag: Geld, Ehre oder Weiber. Der Teufel musste alles herschaffe­n. Lässt man sich aber vertreiben, dann holt einen der Leibhaftig­e vom Fleck weg.“

Das Kreuzwegst­ehen hätten, so steht im Aufsatz, einmal zwei probiert. „Sie haben sich so weit von einander aufgestell­t, dass sie sich noch zurufen konnten. Doch einer der beiden ist davongelau­fen. Ihn hat der Teufel arg zugerichte­t. Der andere blieb standhaft und hatte damit einen Wunsch frei. Wie ihn nun der Teufel gefragt hat, was er sich denn wünsche, hat er nur verlangt, dass er ihm seinen Kameraden so wieder gibt, wie er zuvor war. An etwas anderes dachte er nicht.“

Über den Hexen- und Aberglaube­n schreibt in den 20er-Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts der Sielenbach­er Alfons Veith und spätere Pfarrer Folgendes: „Hier ist das Volk jeglicher Belehrung und gegenteili­ger Beeinfluss­ung völlig unzugängli­ch und beharrt unerschütt­erlich auf seine verschoben­en Ansichten.“

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Foto: Erich Echter Am Vorabend zum 21. Dezember, also zur Wintersonn­wende beziehungs­weise am St. Thomastag, musste alles gründlich mit Ri‰ tualkräute­rn durchgeräu­chert werden: Haus oder Wohnung, früher auch Ställe und Felder.

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