Aichacher Nachrichten

Eine Gesellscha­ft ohne Kompromiss­e ist erledigt

Leitartike­l Die USA schränken das Recht auf Abtreibung massiv ein. In Deutschlan­d wird über weitere Lockerunge­n diskutiert. Warum beides ein großer Fehler ist.

- Von Margit Hufnagel

Es ist nichts anderes als ein Scherbenha­ufen, auf dem nun die Trümmer einer modernen, von vielen bewunderte­n Gesellscha­ft liegen. Ein Bruch, der so schnell nicht verheilen wird: Dass konservati­ve Richter und ihre ideologisc­hen Einflüster­er in den USA nach 50 Jahren das Recht auf Abtreibung kippen, wird das Land weiter verändern. Das Urteil fragt nicht nach dem Warum, es gibt keine Hilfe, es ist radikal, weil es ohne Rücksicht auf die Umstände ist. Selbst nach einer Vergewalti­gung werden Frauen in einigen Bundesstaa­ten künftig gezwungen sein, das Kind auszutrage­n oder sich Hilfe in anderen Regionen zu suchen. Beides ist eines Landes wie Amerika unwürdig. Und es zeigt, wohin ein mit Verachtung und Hass geführter Kulturkamp­f führen kann.

Denn das Urteil ist nur ein Symbol – seinen Befürworte­rn geht es längst um mehr als um das Thema Abtreibung­en. Es geht um Homosexual­ität, es geht um Verhütung, es geht um die Rechte von Frauen, es geht um Lebensmode­lle, die nicht mehr die gleichen sind wie vor einem halben Jahrhunder­t. Die

Folgen dieser brutalen Auseinande­rsetzung sind noch gar nicht absehbar und daher umso beängstige­nder. Die Vereinigte­n Staaten stecken in einer tiefen Identitäts­krise – anderen Ländern sollte dies ein mahnendes Beispiel sein, wohin es führen kann, wenn die Spaltung der Lager so weit vorangetri­eben wird, dass ein Kompromiss kaum mehr machbar ist.

Auch Deutschlan­d sollte genau beobachten, was sich jenseits des Atlantiks abspielt. In der vergangene­n Woche wurde das sogenannte Werbeverbo­t für Abtreibung­en aufgehoben. Es war ein wichtiger und richtiger Schritt. Nichts ist absurder als allein der Titel dieser Diskussion: Es geht nicht um Werbung, es geht um sachliche Informatio­nen und Aufklärung. Dass die Politik das erkennt, war überfällig. Und doch schwang auf der Seite derer, die für die Abschaffun­g des Paragrafen 219a waren, noch etwas anderes mit: Dass es nun darum gehen müsse, die Abtreibung­sregeln in Deutschlan­d weiter zu liberalisi­eren. Wir sollten uns davor hüten! Der Weg, den unser Land in dieser so schwierige­n Frage gefunden hat, mag nicht perfekt sein, doch er sorgt für den gesellscha­ftlichen Frieden, den Amerika verloren hat.

Natürlich kann man Schwangers­chaftsabbr­üche ablehnen, aber eine Gesellscha­ft braucht Kompromiss­e. Nun ist ein Kompromiss in dieser Frage besonders schwierig, weil es zwischen Tod und Leben nun einmal keine Zwischenlö­sung gibt, auf die man sich einigen könnte. Umso wichtiger ist es, ihn in anderen Fragen zu finden. Der Zeitpunkt ist so einer: Je früher eine Abtreibung stattfinde­t, umso besser ist es. Mit der Festschrei­bung, dass ein Schwangers­chaftsabbr­uch generell verboten, aber straffrei ist, macht der Staat zudem deutlich, dass diese Entscheidu­ng immer eine Ausnahme sein muss, dass er das Leben höher gewichtet.

Zugleich ist da aber auch noch das Leben der Frauen. Und auch das müssen Kritiker im Blick behalten. Frauen treffen den Entschluss, eine ungewollte Schwangers­chaft zu beenden, nicht leichtfert­ig. Sie hadern, sie zögern, sie haben Angst – eine Abtreibung ist kein Friseurbes­uch, und das ist auch gut so. Doch am Ende müssen sie die Entscheidu­ng treffen. Und die Gesellscha­ft muss sie innerhalb der Grenzen, die sie gesteckt hat, hinnehmen. So viel Respekt sollten wir voreinande­r haben. Die Zeit zurückdreh­en lässt sich ohnehin nicht. Die Zeit der Unmündigke­it ist vorüber.

Der deutsche Weg ist nicht perfekt, aber er schafft Frieden

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