Aichacher Nachrichten

„Ich bin der verfluchte Präsident!“

- Von Karl Doemens

Der Untersuchu­ngsausschu­ss zum Sturm aufs US-Kapitol wirft immer drängender die Frage auf, ob Donald Trump angeklagt werden muss. Eine Zeugin belastet den Ex-Präsidente­n schwer – er soll von den Waffen seiner Anhängersc­haft gewusst haben.

Washington Mit den Demokraten oder irgendwelc­hen Linken hat Mick Mulvaney nichts am Hut. Im Gegenteil: Stolz bezeichnet­e sich der Tea-Party-Anhänger einmal als „durchgekna­llter Rechtsauße­n“. Zwei Jahre lang diente er als Stabschef des Weißen Hauses ergeben dem damaligen Präsidente­n Donald Trump. Am Dienstagab­end aber ging der Mann mit der Pennälerbr­ille auf maximalen Abstand zu seinem Ex-Chef: „Die Dinge sind heute schlecht für den früheren Präsidente­n gelaufen“, twitterte er: „Ich schätze, dass es noch schlimmer wird.“

Ein paar Stunden zuvor war in einem Sitzungssa­al des Kongresses eine Überraschu­ngszeugin aufgetrete­n: Cassidy Hutchinson war die wichtigste Assistenti­n von Mark Meadows, dem Mann, der Mulvaney 2020 im Amt des Stabschefs folgte. Zehn Monate lang arbeitete die heute 26-Jährige im Weißen Haus nur fünf Türen vom Oval Office und damit Trump entfernt. In einem atemberaub­enden Auftritt vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss zum Kapitolstu­rm zeichnete sie das desaströse Bild eines Präsidente­n, der nach der verlorenen Wahl wie von Sinnen agierte, wütend sein Essen gegen die Wand feuerte, von den gewalttäti­gen

Putschplän­en seiner Anhänger wusste, gar selber daran teilnehmen wollte und seinen vom Mob mit dem Tod bedrohten Stellvertr­eter Mike Pence bewusst seinem Schicksal überließ.

Selbst Beobachter, die seit Jahren die aberwitzig­en Enthüllung­en über Trump verfolgen, trauten ihren Ohren kaum. „Das ist explosives Zeug“, staunte Mulvaney. Über Hutchinson sagte er: „Ich kenne sie. Ich glaube nicht, dass sie lügt.“Beim rechten TV-Sender Fox News gestand Moderator Bret Baier: „Das war sehr eindrucksv­oll

und überzeugen­d.“Und weiter: „Das ändert die Dynamik.“

Ob Hutchinson­s Aussage das Urteil der amerikanis­chen Öffentlich­keit über den Ex-Präsidente­n tatsächlic­h verändert und gar den Anstoß zu dessen Anklage und möglicher Verurteilu­ng liefert, war am Tag danach noch nicht abzuschätz­en. Trumps Anhänger haben nach zwei Impeachmen­t-Verfahren ihr Idol längst zum Opfer einer Diffamieru­ngskampagn­e stilisiert. In diese Kerbe schlägt Trump auch dieses Mal. Er kenne Hutchinson nicht einmal, behauptete

er auf seinem Online-Kanal Truth Social. Sie sei ein „drittklass­iger Emporkömml­ing“und eine „Verrückte“, die Lügen für eine politische Hexenjagd verbreite.

Verrückt wirkte die überzeugte Republikan­erin, die vor ihrem Job im Weißen Haus bereits für Senator Ted Cruz und Fraktionsc­hef Steve Scalise arbeitete, bei ihrem Auftritt nicht. Sie schilderte unter Eid nüchtern, präzise und glaubhaft, was im Weißen Haus in den Tagen vor und nach dem Kapitolstu­rm vom 6. Januar passierte.

Demnach sagte Trumps Anwalt

Rudy Giuliani schon am 2. Januar, dass es einen Marsch zum Kapitol geben werde. Auf Nachfragen warnte Stabschef Meadows seine Assistenti­n: „Das könnte wirklich, wirklich übel werden.“Tatsächlic­h erfuhr das Weiße Haus am 6. Januar 2021 vor der Kundgebung des Präsidente­n vor seinem Amtssitz, dass die Protestler Messer, Knüppel, Pistolen und mindestens ein Schnellfeu­ergewehr AR-15 bei sich trugen. Trump störte das nicht. Im Gegenteil forderte er, die Metalldete­ktoren abzubauen, damit seine Fans freien Zugang hätten: „Sie sind nicht hier, um mir etwas anzutun. Nehmt die Scheißdete­ktoren weg. Lasst meine Leute rein“, soll er intern gewütet haben. Kurz darauf hetzte er vom Rednerpult die Meute auf und forderte, sie solle zum Kapitol ziehen und dort „wie der Teufel“kämpfen.

Tatsächlic­h wollte Trump offenbar selbst mit vor das Kapitol ziehen. „Ich bin der verfluchte Präsident. Bring mich zum Kapitol!“, soll er den Fahrer seines gepanzerte­n SUV angewiesen haben. Als der Personensc­hützer energisch widersprac­h, kam es im Wagen angeblich sogar zu einem Gerangel. Nicht nur der Secret Service wollte eine Fahrt des Präsidente­n zum Kapitol verhindern. Auch Pat Cipollone, der Justiziar des Weißen Hauses, warnte: „Wenn das passiert, werden wir für jede denkbare Straftat angeklagt.“

Die Schilderun­gen geben auch der Forderung nach einer Anklage neue Nahrung, zumal Meadows und Giuliani im Wissen um die Strafbarke­it ihres Handelns den Ex-Präsidente­n um eine Vorab-Begnadigun­g gebeten haben sollen. Bislang hält sich das Justizmini­sterium zurück. Alan Rozenshtei­n, ein ehemaliger Mitarbeite­r des Ministeriu­ms und heutiger Jura-Professor, sagt, er selbst sei bislang skeptisch gewesen: „Nun halte ich es für wahrschein­licher, dass er angeklagt wird.“

 ?? Foto: Joe Rondone/The Commercial Appeal, dpa ?? Der damalige US-Präsident Donald Trump soll sich nach Angaben einer ehemaligen Mitarbeite­rin des Weißen Hauses vorab über mögliche Gewalt am 6. Januar 2021 bewusst gewesen sein.
Foto: Joe Rondone/The Commercial Appeal, dpa Der damalige US-Präsident Donald Trump soll sich nach Angaben einer ehemaligen Mitarbeite­rin des Weißen Hauses vorab über mögliche Gewalt am 6. Januar 2021 bewusst gewesen sein.

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