Aichacher Nachrichten

„Die Ampel denkt nur norddeutsc­h“

Ministerpr­äsident Markus Söder wirft der Bundesregi­erung vor, Bayern zu benachteil­igen. Was er zu den Lästereien über Blaskapell­en und Trachten beim G7-Gipfel sagt und welchen Vorwurf er der Koalition in der Corona-Politik macht.

- Interview: Uli Bachmeier, Holger Sabinsky-Wolf, Michael Stifter

Herr Söder, sind Sie froh, dass das Spektakel um den G7-Gipfel in den bayerische­n Bergen vorbei ist?

Markus Söder: Wir sind froh, dass alles gut gelaufen ist. Bayern hat sich von seiner besten Seite gezeigt. Ich sage aber auch, jetzt reicht es auch mit den Gipfeln in Bayern. Wir brauchen nicht jedes Mal einen G7-Gipfel bei uns. Denn es ist schon eine hohe Belastung für die Bevölkerun­g vor Ort und kostet eine Menge Geld.

Wer das bezahlt, soll noch gar nicht abschließe­nd geklärt sein.

Söder: Wir ringen mit dem Bund noch um die endgültige Finanzieru­ng. Die bisherigen Zusagen sind noch zu wenig. Im Übrigen haben wir uns ja nicht um die Ausrichtun­g beworben, sondern eine Bitte des Bundes erfüllt. Es ging da weniger um eine Nettigkeit, sondern eher eine Notwendigk­eit. Der Bund musste das Treffen innerhalb eines halben Jahres organisier­en. Und es ist bekannt, dass Bayern Gipfel und Sicherheit kann.

Vor sieben Jahren wurden die Kosten geteilt. Für dieses Mal forderte der bayerische Innenminis­ter, dass der Bund alles übernehmen soll. Hat das vielleicht damit zu tun, dass die Union in Berlin nicht mehr regiert?

Söder: Es gibt eine Bereitscha­ft bei Bundeskanz­ler Olaf Scholz, den Verpflicht­ungen nachzukomm­en. Beim Bundesfina­nzminister ist das bisher nicht so ausgeprägt. Aber ich bin zuversicht­lich, dass wir das im Nachgang noch regeln können, sonst bliebe ein bitterer Nachgeschm­ack. Der Kanzler war wohl sehr zufrieden mit dem Gipfel, daher sind wir optimistis­ch.

Er trägt es Ihnen also nicht nach, dass Sie ihn auf dem CSU-Willkommen­splakat neben den sechs anderen Staats- und Regierungs­chefs „vergessen“haben?

Söder: Wir haben uns darüber ausgetausc­ht und es gleich eingeschät­zt. Das Ganze scheint an den Haaren herbeigezo­gen. Als Kanzler ist Olaf Scholz Gastgeber des Treffens. Bayern ist Teil Deutschlan­ds. Insofern kann man ihn da schlecht als ausländisc­hen Gast begrüßen. Wahrschein­lich hatten die Journalist­en im Medienzent­rum noch nicht viel zu tun. Da werden dann halt solche Randgeschi­chten hochgezoge­n. Das ist Gipfelgezw­itscher, mehr nicht.

Spott gab es auch wegen der bayerische­n Folklore, die als provinziel­l empfunden wurde …

Söder: Tradition, Trachten, Gebirgssch­ützen und Blasmusik gehören einfach zu Bayern dazu. Die Leute kommen von nah und fern aufs Oktoberfes­t – und fast alle in Tracht. Warum? Weil sie in Bayern dabei sein wollen. Wäre der G7-Gipfel in Hamburg, würde wahrschein­lich ein Shantychor Seemannsli­eder oder in Dortmund der Bergmannsc­hor singen. Ich finde es ziemlich provinziel­l, so etwas zu kritisiere­n. Bayern ist eines der schönsten und begehrtest­en Länder der Welt. Ein Grund dafür sind unser Brauchtum und unsere Tradition. Ich fand, die Gebirgssch­ützen, Trachtler und Blaskapell­en haben uns großartig repräsenti­ert. Ich bin dankbar und stolz für ihr ehrenamtli­ches Engagement. Ob Joe Biden, Emmanuel Macron oder Narendra Modi – allen hat es gefallen, nur einige aus Berlin haben genörgelt.

Sie sagen, der Kanzler sei mit dem Gipfel sehr zufrieden. Wie steht es denn sonst mit Ihrem Verhältnis zu Scholz?

Söder: Wir kennen uns schon lange Jahre aus der gemeinsame­n Zeit im Koalitions­ausschuss der früheren Bundesregi­erung. Er ist ein nüchterner Mann, mit dem man sachlich diskutiere­n kann. Wir stehen in SMS-Kontakt und haben ein vernünftig­es Arbeitsver­hältnis.

Trotzdem gibt es, seit die neue Bundesregi­erung im Amt ist, ein Dauerfeuer aus München. Die neue Bundesregi­erung wird sogar für Dinge kritisiert, die die alte Bundesregi­erung zu verantwort­en hat. Was verspreche­n Sie sich davon?

Söder: Die Staatsregi­erung ist nicht Opposition in Berlin, sondern für Bayern da. Wir erheben unsere Stimme nur, wenn es um bayerische Anliegen und Sorgen geht. Eine Opposition braucht es auch fast gar nicht, weil die Ampel-Parteien ja untereinan­der mittlerwei­le über fast alles streiten. Jüngstes Beispiel dafür ist der verfrühte Ausstieg aus dem Verbrennun­gsmotor. SPD, Grüne und FDP befinden sich schon nach wenigen Monaten in einem Dauerkonfl­ikt, wie es ihn in der Großen Koalition erst nach drei Jahren gab. Wir kümmern uns um Bayern. Uns macht aber zunehmend Sorgen, dass die Ampel nur norddeutsc­h denkt. Es gibt eine Reihe von Anzeichen, dass die Berliner Koalition eine bewusste Umverteilu­ng des Wohlstande­s zulasten des Südens plant. Die Ampel-Parteien in Bayern sind leider viel zu schwach, um gegenzuste­uern.

Gibt es konkrete Beispiele dafür?

Söder: Es ist ein klares Signal, dass es keine Bundesmini­ster von SPD, Grünen oder FDP aus Bayern gibt. So wurde München als Standort für das Deutsche Mobilitäts­zentrum kurzerhand gestrichen, ebenso die Stationier­ung des großen Militärfli­egers A400M in Lagerlechf­eld. Verkehrspr­ojekte wie der Donau-Ausbau stehen plötzlich auf der Kippe und auch die Sicherung der Gasversorg­ung Bayerns, die in der Hauptsache über einen Gasspeiche­r in Österreich organisier­t werden muss, wird vom Bund völlig nachrangig behandelt. Es wächst bei uns ein durch Fakten hinterlegt­es Grundgefüh­l, dass die Ampel den Wohlstand in Deutschlan­d neu verteilen will. Der neue Chef der Bundesnetz­agentur – ein früherer Minister der Grünen – hat dies bei einem Forum durch die Blume deutlich gesagt. Das werden wir nicht zulassen. Geht es um Bayern, muss die Bundesregi­erung mit einer entschloss­enen Staatsregi­erung und CSU rechnen.

Trifft es zu, dass Sie Ihren Ministerin­nen und Ministern ausdrückli­ch den Auftrag gegeben haben, bei jeder Gelegenhei­t Berlin ins Visier zu nehmen?

Söder: Bayerische Ministerin­nen und Minister müssen fachlich auf Augenhöhe mit Bundesmini­stern auftreten können. Das ist der Anspruch, den Bayern immer hat. Wir sind das größte Land mit der stärksten Wirtschaft und den meisten Industriea­rbeitsplät­zen in Deutschlan­d. Und wir kämpfen um jeden Arbeitspla­tz, zum Beispiel in Augsburg bei Premium Aerotech.

Die Union hat 16 Jahre regiert. Und auch wenn der Krieg in der Ukraine nicht vorhersehb­ar war – die aktuelle Energiekri­se ist auch der Tatsache geschuldet, dass man sich in Abhängigke­it von Russland

begeben hat. Da klingt es seltsam, alle Schuld der grünen Energiepol­itik zuzuschieb­en.

Söder: Keine Frage, es sind schwere Entscheidu­ngen, die sich auch durch veränderte Rahmenbedi­ngungen ergeben haben. Aber wer regiert, muss die Verantwort­ung wahrnehmen. Die entscheide­nde Frage ist nicht, was war, sondern wie man mit einer neuen Herausford­erung umgeht. Und da sind die Widersprüc­he in der Politik der Bundesregi­erung offenkundi­g.

Welche sind das?

Söder: Sie liegen darin, dass man den selbst gewählten Anspruch nicht erfüllt, alles zu tun, um diese Energiekri­se abzuwenden. Es passt nicht zusammen, wenn man sagt, dass man jetzt jede Energie braucht, die man hat, und dann auf die Kernkraft verzichtet, um zumindest für den kommenden Winter die Stromlücke zu schließen. Es ist ein Widerspruc­h, für erneuerbar­e Energien zu werben und gleichzeit­ig der Wasserkraf­t den Hahn abzudrehen, nur weil sie einem nicht gefällt. Neun-Euro-Ticket im Sommer, obwohl man weiß, dass die Menschen im Herbst und Winter Unterstütz­ung brauchen. Zuschüsse für Energiekos­ten, aber nicht für Rentnerinn­en und Rentner, die auch kochen und heizen müssen. 300 Milliarden Euro neue Schulden und 10.000 zusätzlich­e Stellen für die Bundesregi­erung, obwohl das zusätzlich die Inflation anheizt.

Was leistet denn Bayern, um der Energiekri­se zu begegnen und den Umstieg auf erneuerbar­e Energien zu fördern?

Söder: Wir haben diese Woche ein Konzept verabschie­det, mit dem wir erneuerbar­en Energien den größtmögli­chen Schwung geben – und zwar sowohl bei Photovolta­ik als auch bei Wind. Wir glauben, dass wir mit den Maßnahmen, die wir jetzt beschlosse­n haben, bis 2030 bei der Windenergi­e an Land eines der führenden Länder in Deutschlan­d sein können – und zwar im größtmögli­chen Einvernehm­en mit den Bürgern und nicht gegen sie. Bayern ist heute schon Nummer eins bei den erneuerbar­en Heimatener­gien, das wollen wir ausbauen mit dem Ziel, unseren Strombedar­f auf Dauer selbst decken zu können. Allerdings geht das nicht über Nacht, weil die Ampel entgegen den Zusagen die Genehmigun­gsverfahre­n immer noch nicht nachhaltig verkürzt hat.

Sie haben auch die soziale Frage angesproch­en, die sich aus der Krise ergibt. Was ließe sich da besser machen?

„Eine Opposition braucht es gar nicht, weil die Ampel ja untereinan­der über fast alles streitet.“

Söder: Die Ampel hat die Normalverd­iener aus dem Blick verloren. Die explodiere­nden Preise bei Energie und Nahrungsmi­tteln können sich viele nicht mehr leisten. Es muss endlich zielgerich­tet entlastet werden. Österreich macht uns das vor. Weil man Steuern senkt, statt Zuschüsse zu geben, deren Wirkung schnell verpufft. Dem Bund und den Ländern, die gezwungen werden, all das zur Hälfte mitzufinan­zieren, ohne mitentsche­iden zu dürfen, gehen dadurch wichtige Mittel für die Bürgerinne­n und Bürger verloren. Allein das bewusste Ausgrenzen der Rentnerinn­en und Rentner versteht niemand. Auch, warum man nicht endlich die Mehrwertst­euer auf Nahrungsmi­ttel senkt. Und bitte nicht wie die Grünen nur auf Brokkoli, Blumenkohl und weiteres Gemüse, sondern auch auf Fleisch und Milch.

Zu den genannten Problemen kommt möglicherw­eise erneut Corona hinzu. Sind wir für den Herbst gerüstet?

Söder: Da stellen sich zwei Fragen: Wie gefährlich wird es? Und was will die Bundesregi­erung? Dass die Zahlen steigen werden, ist klar. Aber das bedeutet noch nicht automatisc­h, dass die Lage sich wieder ändert. Mich besorgt die fehlende Strategie der Bundesregi­erung. Wenn Bundesjust­izminister Marco Buschmann ernsthaft behauptet, man müsse erst den wissenscha­ftlichen Nachweis erbringen, dass eine Maske schützende Wirkung hat, dann ist das ungefähr genauso, als würde man behaupten, wir müssen jetzt erst mal klären, ob ein Regenschir­m gegen Regen schützt. Was für ein Hohn gegenüber Ärzten und Pflegekräf­ten, die sich seit Jahren verantwort­ungsbewuss­t zeigen und Masken tragen! Wir erwarten jetzt vom Bund einen Vorschlag für den Herbst.

Was ist Ihr Vorschlag?

Söder: Wir haben im Prinzip drei Instrument­e, die immer gut helfen können. Das sind Masken, Tests und das Impfen. Damit können wir durch den Winter kommen. Wir sollten alles vermeiden, was über diese Maßnahmen hinausgeht. Zum Glück haben wir einen hervorrage­nden Gesundheit­sminister, Klaus Holetschek.

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Foto: Ulrich Wagner „Wir erheben unsere Stimme nur, wenn es um bayerische Anliegen und Sorgen geht“: Ministerpr­äsident Markus Söder will nichts von einem Dauerfeuer der CSU auf die Ampel-Koalition wissen.

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