Zum Heulen
Viele Kommunen würden gerne wieder mehr Sirenen installieren, um die Bevölkerung vor Gefahren zu warnen – doch das Geld dafür fehlt. Wie viel der Bund zur Verfügung stellt und welche Probleme es noch gibt.
Augsburg Nina sagte erst einmal gar nichts. Sie blieb stumm, eine gute halbe Stunde lang. Eine ziemliche Panne war das – denn eigentlich sollte Nina, die Notfall-Informationsund Nachrichten-App des Bundes, die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren warnen. Viel zu spät kamen die Benachrichtigungen von Nina und eines ähnlichen Programms schließlich auf den Smartphones an, die Rede war von einer Überlastung des Systems. Wäre es tatsächlich ein Ernstfall gewesen, hätten viele Bürger erst mal nichts mitbekommen.
Fast zwei Jahre ist es nun her, dass dieser bundesweite Warntag ziemlich in die Hose gegangen ist. Und seither – und seit der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Sommer – wird darüber debattiert, wie sinnvoll Warn-Apps überhaupt sind und ob nicht doch die Sirene wieder verstärkt eingesetzt werden sollte. Erst im Mai forderte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die Kommunen auf, wieder mehr Sirenen anzuschaffen. Schließlich seien sie – gerade in der
Nacht – das wirksamste Mittel, um Menschen aus dem Schlaf zu reißen. Doch ganz so einfach ist das alles nicht. Denn neue Sirenen kosten Geld – und das ist knapp. Längst ist das nicht das einzige Problem.
Rückblick: Bis Anfang der 90er Jahre existierte in Deutschland ein flächendeckendes Sirenennetz. Mit dem Ende des Kalten Krieges gab der Bund dieses Netz auf und bot den Kommunen an, die Sirenen zu übernehmen. Für die Alarmierung der Feuerwehren brauchten die Städte und Gemeinden die Sirenen allerdings kaum mehr, vieles lief bereits über kleine Pager. Und so wurden, auch im Zuge neuer Bauprojekte, viele Sirenen über die Jahre abgebaut. In München etwa gibt es heute keine einzige Sirene mehr. Mit einem Förderprogramm des Bundes, das 2021 angeschoben wurde, soll es nun eine Art Renaissance geben.
Wilfried Schober, der Feuerwehrreferent des Bayerischen Gemeindetags, ist angesichts dieser Pläne skeptisch. Es sei zwar gut, dass der Staat Lehren aus der Flutkatastrophe im Ahrtal gezogen und erkannt habe, wie wichtig die Alarmierung der Bevölkerung sei und wie wenig Warn-Apps in der Nacht, wenn das Handy ausgeschaltet ist, bringen würden. Was ihn aber ärgert: „Der Staat baut das Netz nicht selbst aus, er lockt die Kommunen mit Geld. Und das reicht vorne und hinten nicht.“Zudem gibt es noch ein Problem: In ganz Deutschland existieren Schober zufolge gerade einmal vier Firmen, die digitale Sirenen herstellen. Selbst wenn also eine Kommune das Netz ausbauen wollte, würde es noch Jahre dauern, bis die Sirenen ausgeliefert werden könnten. „Viele Kommunen sind derzeit sehr frustriert“, sagt Schober.
Das Interesse der bayerischen Städte und Gemeinden an Sirenen scheint in der Tat groß zu sein. Die genaue Zahl der gestellten Förderanträge liege dem bayerischen Innenministerium zwar nicht vor, es sei aber festzuhalten, dass bei allen Regierungen mehr Anträge gestellt worden seien, als mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln
bewilligt werden könnten, heißt es aus dem Ministerium.
Wie viele Sirenen es aktuell im Freistaat schon gibt, kann das bayerische Innenministerium nicht genau sagen. Nur so viel: Eine 2021 durchgeführte Abfrage habe einen Bestand von etwa 13.500 ergeben. Zum Vergleich: Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es in Bayern rund 20.000 Luftschutzsirenen. Als neue Zielgröße nennt das Ministerium jetzt 26.000 – das wäre etwa eine Verdoppelung des Bestandes von 2021.
Um dieses Ziel zu erreichen, müsse das Förderprogramm des Bundes deutlich finanziell aufgestockt und zeitlich ausgedehnt werden, fordert Innenminister Herrmann. Die derzeit vom Bund für alle Länder zur Verfügung gestellten 88 Millionen Euro – für Bayern sind es 13,4 Millionen – seien bei weitem nicht ausreichend. Je nach technischer Ausrüstung und dem konkreten örtlichen Bedarf würden sich für eine flächendeckende Ausstattung in ganz Bayern Gesamtkosten von bis zu 200 Millionen Euro ergeben, teilt Herrmanns Ministerium mit.
In den kommenden Jahren, in denen das Sirenennetz ausgebaut werden soll, wird es vermutlich aber nicht nur ums Geld und lange Lieferzeiten gehen – sondern auch darum, dass Bürgerinnen und Bürger nicht damit einverstanden sind, dass in unmittelbarer Nähe ihres Hauses eine Sirene installiert werden soll. Im beschaulichen Falkenberg etwa, einem 3800-SeelenOrt im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn, wurde mehrere Jahre wegen einer Sirene gestritten, sogar vor Gericht. Ein Bürger wollte die Sirene partout nicht auf dem Dach seines Hauses haben, die Lärmbelästigung war ihm zu groß. Man sei gewillt gewesen, die Lautstärke, die in der Tat etwas über dem Schwellenwert gewesen sei, zu reduzieren oder die Ausrichtung zu ändern, sagt Franz Bauer, der Geschäftsstellenleiter. „Aber er hat sich auf nichts eingelassen. Er wollte, dass die Sirene komplett beseitigt wird.“Er wäre, fährt Bauer fort, zuvor nie auf die Idee gekommen, dass sich jemand an der Lautstärke einer Sirene, die man eben deutlich hören müsse, stören könnte. Sie sei schließlich dafür da, die Menschen im Ort zu schützen. Mittlerweile hat sich das Thema ohnehin erledigt. Das Verfahren wurde eingestellt.
„Viele Kommunen sind sehr frustriert“
Wilfried Schober, Gemeindetag