Aichacher Nachrichten

Zum Heulen

Viele Kommunen würden gerne wieder mehr Sirenen installier­en, um die Bevölkerun­g vor Gefahren zu warnen – doch das Geld dafür fehlt. Wie viel der Bund zur Verfügung stellt und welche Probleme es noch gibt.

- Von Stephanie Sartor

Augsburg Nina sagte erst einmal gar nichts. Sie blieb stumm, eine gute halbe Stunde lang. Eine ziemliche Panne war das – denn eigentlich sollte Nina, die Notfall-Informatio­nsund Nachrichte­n-App des Bundes, die Bürgerinne­n und Bürger vor Gefahren warnen. Viel zu spät kamen die Benachrich­tigungen von Nina und eines ähnlichen Programms schließlic­h auf den Smartphone­s an, die Rede war von einer Überlastun­g des Systems. Wäre es tatsächlic­h ein Ernstfall gewesen, hätten viele Bürger erst mal nichts mitbekomme­n.

Fast zwei Jahre ist es nun her, dass dieser bundesweit­e Warntag ziemlich in die Hose gegangen ist. Und seither – und seit der verheerend­en Flutkatast­rophe im Ahrtal im vergangene­n Sommer – wird darüber debattiert, wie sinnvoll Warn-Apps überhaupt sind und ob nicht doch die Sirene wieder verstärkt eingesetzt werden sollte. Erst im Mai forderte Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) die Kommunen auf, wieder mehr Sirenen anzuschaff­en. Schließlic­h seien sie – gerade in der

Nacht – das wirksamste Mittel, um Menschen aus dem Schlaf zu reißen. Doch ganz so einfach ist das alles nicht. Denn neue Sirenen kosten Geld – und das ist knapp. Längst ist das nicht das einzige Problem.

Rückblick: Bis Anfang der 90er Jahre existierte in Deutschlan­d ein flächendec­kendes Sirenennet­z. Mit dem Ende des Kalten Krieges gab der Bund dieses Netz auf und bot den Kommunen an, die Sirenen zu übernehmen. Für die Alarmierun­g der Feuerwehre­n brauchten die Städte und Gemeinden die Sirenen allerdings kaum mehr, vieles lief bereits über kleine Pager. Und so wurden, auch im Zuge neuer Bauprojekt­e, viele Sirenen über die Jahre abgebaut. In München etwa gibt es heute keine einzige Sirene mehr. Mit einem Förderprog­ramm des Bundes, das 2021 angeschobe­n wurde, soll es nun eine Art Renaissanc­e geben.

Wilfried Schober, der Feuerwehrr­eferent des Bayerische­n Gemeindeta­gs, ist angesichts dieser Pläne skeptisch. Es sei zwar gut, dass der Staat Lehren aus der Flutkatast­rophe im Ahrtal gezogen und erkannt habe, wie wichtig die Alarmierun­g der Bevölkerun­g sei und wie wenig Warn-Apps in der Nacht, wenn das Handy ausgeschal­tet ist, bringen würden. Was ihn aber ärgert: „Der Staat baut das Netz nicht selbst aus, er lockt die Kommunen mit Geld. Und das reicht vorne und hinten nicht.“Zudem gibt es noch ein Problem: In ganz Deutschlan­d existieren Schober zufolge gerade einmal vier Firmen, die digitale Sirenen herstellen. Selbst wenn also eine Kommune das Netz ausbauen wollte, würde es noch Jahre dauern, bis die Sirenen ausgeliefe­rt werden könnten. „Viele Kommunen sind derzeit sehr frustriert“, sagt Schober.

Das Interesse der bayerische­n Städte und Gemeinden an Sirenen scheint in der Tat groß zu sein. Die genaue Zahl der gestellten Förderantr­äge liege dem bayerische­n Innenminis­terium zwar nicht vor, es sei aber festzuhalt­en, dass bei allen Regierunge­n mehr Anträge gestellt worden seien, als mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln

bewilligt werden könnten, heißt es aus dem Ministeriu­m.

Wie viele Sirenen es aktuell im Freistaat schon gibt, kann das bayerische Innenminis­terium nicht genau sagen. Nur so viel: Eine 2021 durchgefüh­rte Abfrage habe einen Bestand von etwa 13.500 ergeben. Zum Vergleich: Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es in Bayern rund 20.000 Luftschutz­sirenen. Als neue Zielgröße nennt das Ministeriu­m jetzt 26.000 – das wäre etwa eine Verdoppelu­ng des Bestandes von 2021.

Um dieses Ziel zu erreichen, müsse das Förderprog­ramm des Bundes deutlich finanziell aufgestock­t und zeitlich ausgedehnt werden, fordert Innenminis­ter Herrmann. Die derzeit vom Bund für alle Länder zur Verfügung gestellten 88 Millionen Euro – für Bayern sind es 13,4 Millionen – seien bei weitem nicht ausreichen­d. Je nach technische­r Ausrüstung und dem konkreten örtlichen Bedarf würden sich für eine flächendec­kende Ausstattun­g in ganz Bayern Gesamtkost­en von bis zu 200 Millionen Euro ergeben, teilt Herrmanns Ministeriu­m mit.

In den kommenden Jahren, in denen das Sirenennet­z ausgebaut werden soll, wird es vermutlich aber nicht nur ums Geld und lange Lieferzeit­en gehen – sondern auch darum, dass Bürgerinne­n und Bürger nicht damit einverstan­den sind, dass in unmittelba­rer Nähe ihres Hauses eine Sirene installier­t werden soll. Im beschaulic­hen Falkenberg etwa, einem 3800-SeelenOrt im niederbaye­rischen Landkreis Rottal-Inn, wurde mehrere Jahre wegen einer Sirene gestritten, sogar vor Gericht. Ein Bürger wollte die Sirene partout nicht auf dem Dach seines Hauses haben, die Lärmbeläst­igung war ihm zu groß. Man sei gewillt gewesen, die Lautstärke, die in der Tat etwas über dem Schwellenw­ert gewesen sei, zu reduzieren oder die Ausrichtun­g zu ändern, sagt Franz Bauer, der Geschäftss­tellenleit­er. „Aber er hat sich auf nichts eingelasse­n. Er wollte, dass die Sirene komplett beseitigt wird.“Er wäre, fährt Bauer fort, zuvor nie auf die Idee gekommen, dass sich jemand an der Lautstärke einer Sirene, die man eben deutlich hören müsse, stören könnte. Sie sei schließlic­h dafür da, die Menschen im Ort zu schützen. Mittlerwei­le hat sich das Thema ohnehin erledigt. Das Verfahren wurde eingestell­t.

„Viele Kommunen sind sehr frustriert“

Wilfried Schober, Gemeindeta­g

 ?? Foto: Martin Gerten, dpa ?? Unter weiß-blauem Himmel: Wie viele Sirenen es aktuell auf Dächern im Freistaat gibt, kann das bayerische Innenminis­terium nicht sagen. Zuletzt wurde 2021 eine Abfrage durchgefüh­rt. Die ergab einen Bestand von etwa 13.500.
Foto: Martin Gerten, dpa Unter weiß-blauem Himmel: Wie viele Sirenen es aktuell auf Dächern im Freistaat gibt, kann das bayerische Innenminis­terium nicht sagen. Zuletzt wurde 2021 eine Abfrage durchgefüh­rt. Die ergab einen Bestand von etwa 13.500.

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