Aichacher Nachrichten

Keine Selfies auf dem Hadsch

Wer nach Mekka pilgert, soll auf Aufnahmen bei der Umrundung des muslimisch­en Heiligtums verzichten. Doch es ist äußerst fraglich, ob sich die Gläubigen daran halten werden.

- Von Thomas Seibert

Mekka Wenn sich nächste Woche rund eine Million Pilger zur islamische­n Wallfahrt Hadsch im saudischen Mekka versammeln, werden viele in ihrem weißen Gewand ein Smartphone stecken haben. Selfies vom Hadsch waren schon vor der Pandemie-Pause in Mekka große Mode bei der ersten Massenvers­ammlung in der Heiligen Stadt. Seit 2019 werden diesmal sicher wieder Millionen von Selbstport­räts geknipst werden. Den saudischen Behörden passt das zwar überhaupt nicht. Aber sie sind wohl machtlos.

Das Hadsch-Ministeriu­m in Riad rief nun die Pilger auf, sich bei der Wallfahrt ab dem 7. Juli auf den Dienst an Gott zu konzentrie­ren. Besonders bei der Umrundung des Heiligtums Kaaba im Zentrum der Großen Moschee von Mekka könnten Selfies sogar gefährlich werden. Wenn ein Pilger stehen bleibt, um eine Aufnahme zu machen, stoßen nachfolgen­de Wallfahrer im Gedränge vielleicht mit ihm zusammen. Außerdem könnten andere Pilger mit aufs Bild geraten, ohne dass sie um Erlaubnis gefragt werden. Selfies könnten auch die Andacht anderer Wallfahrer stören, warnte das Ministeriu­m.

Viel nützen wird es wohl nicht. So wie Touristen mit ihren Schnappsch­üssen vor dem Eiffelturm oder dem Brandenbur­ger Tor ihren Freunden und Verwandten zeigen wollen, wo sie Ferien machen, schicken Mekka-Pilger per Selfie einen Gruß vom Hadsch nach Hause. Vor der Pandemie hatte Saudi-Arabien deshalb zeitweise Wallfahrt-Selfies verboten, doch bei damals mehr als zwei Millionen Pilgern ließ sich das Verbot nicht durchsetze­n. In diesem Jahr begnügt sich das saudische Hadsch-Ministeriu­m, das erstmals seit der Pandemie eine Million Pilger zulässt, mit einem Appell.

Die rituelle Umrundung der Kaaba wird im Koran erwähnt und gehört zu den Pflichten für Pilger beim Hadsch. Nach dem Beispiel des Propheten Mohammed sollen die Pilger sieben Runden gegen

den Uhrzeigers­inn um das mit schwarzem Stoff verhüllte Heiligtum drehen. Dass viele Pilger diese heiligsten Momente des Hadsch per Selfie festhalten, wirft nicht nur praktische, sondern auch theologisc­he Fragen auf. So sollen Pilger beim Umrunden die Kaaba immer links von sich haben und die sieben Runden ohne Unterbrech­ung absolviere­n. Wenn sie für ihr Selfie stehen bleiben und der Kaaba den Rücken kehren, um sie im Bild zu haben, verletzen sie diese Regeln.

Außerdem können Selfies als Angeberei und als Störung der Einkehr verstanden werden. Ein Verband britischer Muslime brandmarkt­e Selfies in Mekka bereits vor Jahren als „gefährlich­es Phänomen“, das den Geist der Wallfahrt zerstöre.

Vor dem diesjährig­en Hadsch schärfte ein indonesisc­her Diplomat in Saudi-Arabien den Pilgern aus dem bevölkerun­gsreichste­n islamische­n Land der Welt ein, sie sollten keine Gruppen-Selfies vor

der Kaaba machen. Einige indonesisc­he Pilgergrup­pen hätten sich mit Transparen­ten vor dem Heiligtum fotografie­rt und seien deshalb von den saudischen Behörden verwarnt worden, sagte Generalkon­sul Eko Hartono. Im Extremfall könnten Pilger nach Hause geschickt werden. Individuel­le Selfies seien aber in Ordnung.

Manche Beobachter halten den Trend für unumkehrba­r. Sie verstehe die Kritik an den Hadsch-Selfies, schrieb die Kolumnisti­n Shelina Janmohamed in der Zeitung The National aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Allerdings gelte heutzutage nun einmal der Grundsatz: „Wenn es nicht auf Instagram ist, ist es auch nicht passiert.“Auch sie selbst habe schon Mekka-Selfies gemacht.

Für die saudischen Behörden sind Mobiltelef­one in Mekka aber nicht nur ein Fluch, sondern auch ein Segen. Sie bieten eine App an, die Pilgern während des Hadsch im Nahverkehr und an Geldautoma­ten helfen soll. Auch können

Wallfahrer, die sich in der Masse der Pilger verirrt haben, mit der App den Weg zu ihrem Hotel oder ihrem Zelt finden.

Auf moderne Technologi­e setzt Saudi-Arabien auch anderswo. Ende vergangene­n Jahres stellte das Land ein Pilotproje­kt vor, mit dem Gläubige den sogenannte­n Schwarzen Stein in der Kaaba in virtueller Realität sehen und berühren können. Mekka-Pilger sollen den Stein an der Südost-Ecke der Kaaba küssen oder berühren, was wegen der vielen Menschen dort oft unmöglich ist. Der Stein fiel der Überliefer­ung nach zur Zeit von Adam und Eva vom Himmel und wurde von Mohammed in die Kaaba eingesetzt. Mit der virtuellen Version des Schwarzen Steins sollen Muslime die Möglichkei­t erhalten, dem Heiligtum nahe zu sein, ohne nach Mekka zu reisen. So viel Digitalisi­erung geht einigen zu weit: Das türkische Religionsa­mt entschied, eine virtuelle Pilgerfahr­t sei kein Ersatz für die echte.

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Foto: Ashraf Amra, dpa Siebenmal müssen gläubige Muslime die Kaaba umrunden – und zwar ohne Unterbrech­ung. Selfie-Aufnahmen können dabei nach Ansicht des saudi-arabischen Hadsch-Ministeriu­ms nur stören.

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