Musical-Spaß mit Geste und Miene
Das Staatstheater Augsburg bietet für „Kiss me, Kate“auf der Freilichtbühne eine Begleitung in Gebärdensprache an. Flinke Dialoge, zig Rollen und alles lautlos – wie funktioniert das? Nachgefragt bei einem der Dolmetscher.
Johannes Nagler ist ein Dolmetscher für viele Lebenslagen. Nervöse Job-Bewerber begleitet er zum Vorstellungsgespräch. Patienten erklärt er, was die Ärztin gerade gesagt hat. Auch Betriebsversammlungen dolmetscht er, mit Händen, Gesten, Blicken. Aber vor den Augen von gut 2000 Menschen zu arbeiten, mit einer Riesenbühne im Rücken, auf dem ein Salonorchester spielt und zig Schauspieler wuseln – das ist eine Premiere für den jungen Augsburger. „Das war für mich das allererste Mal, dass ich ein Bühnenstück gedolmetscht habe“, erklärt Nagler. Am Tag nach der großen Show auf der Freilichtbühne am Roten Tor, lächelt der 26-Jährige aber zufrieden. „Die Kunden waren auf jeden Fall glücklich.“Seine Kunden und Kundinnen, das sind Gehörlose, Menschen mit Hör-Behinderung. Johannes Nagler dolmetscht, gemeinsam mit Christiane Schuller, das Sommermusical „Kiss me, Kate“in Gebärdensprache.
Für Nagler ist dieser Job ein außergewöhnlicher: Das Staatstheater Augsburg hatte eines Tages bei ihm angeklopft. Ob er nicht das große Musical am Roten Tor dolmetschen wolle? Live und unter freiem Himmel? Ja, klar. Nagler hatte Lust – und damit begann für ihn die neue Herausforderung.
Songwriter-Genie Cole Porter
mixt in diesem Werk BroadwaySwing mit Operetten-Schmelz und Mittelalterklang – und erzählt dabei von heißen Beziehungskisten. Wer liebt hier wen? Ein Verwirrspiel. Nagler gesteht: „Nachdem
ich das Stück bei einer Probe zum ersten Mal gesehen hatte, war ich mir nicht sicher: Habe ich hier alles verstanden?“Also musste er sich im Monat Mai diese verzwickte Komödie erst einmal erarbeiten und sie in eine Form ohne Töne fassen. „Es war vor allem viel Textarbeit.“
Wenn das Stück beginnt, sitzt Nagler vor der Bühne auf einem Stuhl, und an seiner Seite: Christiane Schuller – ebenfalls aus Augsburg und erfahrene Gebärdendolmetscherin. Sie teilen sich die Aufgabe, er übernimmt die Männerrollen, sie die Frauenfiguren. „Wir versuchen, miteinander zu agieren“, erklärt Nagler. „Es ist ein schöner Schlagabtausch. Wir wollen dabei auch das Temperament des Werks rüberbringen.“
Der Musical-Plot dreht sich um ein zerstrittenes Schauspielerpaar, böse Worte schießen hin und her – man ahnt, wie viel Spaß dieser Rosenkrieg dem Dolmetscher-Duo bereitet. Stoff in Fülle für Gesten und Mimik. Wenn es auf der Bühne wimmelt, die Stimmen übereinander fallen, muss Nagler oft flott zwischen den Rollen springen, im sekundenschnellen Wechsel. Wie das funktioniert? Ein Beispiel: Drei Männer buhlen um die Figur der Bianca. Kurz den Oberkörper nach rechts gedreht, dann gebärdet Nagler den Text von Liebhaber A. Kurz den Oberkörper nach links gedreht, dann ist für seine Zuschauer klar: Jetzt spricht der Lover B. „Die Herausforderung ist dabei, dass wir nichts von der Bühne sehen, sie steht ja hinter uns.“
Tempo, Ironie, die Hitze der Musik, das alles will das Duo in Gebärden aufblitzen lassen – ohne selbst zum großen Schauspiel zu werden. Denn was nach Hektik und Eifer klingt, versucht Nagler klug zu dosieren, nicht zu übertreiben: „Die Zuschauer können nicht alles gleichzeitig sehen, die Action auf der Bühne und zeitgleich meine Gebärden.“
Naglers Werkzeuge sind seine Händen, Augenbrauen, Mundwinkel. Nur am Anfang jedes Dolmetscher-Jobs steht die Frage nach ganz anderen Mitteln – den finanziellen. Krankenkassen zahlen den Dolmetscher für den Arztbesuch, das Inklusionsamt unterstützt die Hilfe in der Arbeitswelt. „Aber im Kulturbereich findet sich selten jemand, der sagt: Wir zahlen die Dolmetscher“, weiß Nagler. Kultur und Inklusion ist ein junges, ein wichtiges Feld. Und für dieses große Sommer-Open-Air lohne sich das Angebot, davon ist Nagler überzeugt. „Die ersten Reaktionen waren prima. Viele kamen auf mich zu: Jetzt kann ich so ein Musical endlich einmal genießen!“
Die zweite Aufführung von „Kiss me, Kate“mit Gebärden-Dolmetschern findet am Samstag, 2. Juli, um 20.30 Uhr statt. Auch für das Fugger-Musical „Herz aus Gold“auf der Freilichtbühne gibt es Inklusions-Angebote: Die Vorstellungen am 22. und 23. Juli finden mit Audiodeskription statt, die blinden und sehbehinderten Menschen wichtige Extra-Informationen bietet. Weitere Infos, auch zu ermäßigten Eintrittspreisen, gibt es unter www.staatstheater-augsburg.de.