Aichacher Nachrichten

Die Orgel, die Deutschlan­d vertrat

Auf der Weltausste­llung 1889 in Paris war ein Instrument von Steinmeyer zu sehen. Hofrat Friedrich von Hessing brachte es nach Augsburg und baute es eigenhändi­g ein.

- Von Heinz Münzenried­er

Bienenflei­ßig war er, der gelernte Schreiner und Orgelbauer Friedrich Hessing, Pardon: der Königliche Hofrat Friedrich Ritter von Hessing. Berühmt wurde er in ganz Europa als Wegbereite­r der technische­n Orthopädie. Selbst die Kaiser-Gemahlin Auguste Viktoria wurde von ihm – den das Schicksal gerade mal 1,47 Meter groß werden ließ – erfolgreic­h behandelt. Im Übrigen sah der Begründer der in Göggingen seit 1869 bestehende­n Orthopädis­chen Heilanstal­t nie eine höhere Schule oder Universitä­t von innen. Sein handwerkli­ches Geschick verband sich bei ihm mit einem herausrage­nden Gespür für die Musik. So konstruier­te er das heute noch in der Anstaltski­rche – dies ist der Traditions­name des kleinen Gotteshaus­es – gute Dienste verrichten­de Harmonium selbst. Das gehört sich auch so für einen Musikinstr­umentenbau­er.

Eine besondere Geschichte hat die Orgel der 1903 geweihten Anstaltski­rche. Schon deren geografisc­her Lebenslauf ist kaum zu überbieten: Sie verrichtet­e vor ihrer Installati­on in Göggingen künstleris­che Arbeit im Rahmen der Weltausste­llung 1889 in Paris. Unterm neuen Eiffelturm vertrat sie im deutschen Pavillon die damalige Hightech-Handwerksk­unst des Landes und erhielt viel Lob seitens

der Musikwelt. Sie wurde vom renommiert­en Orgelbau-Meisterbet­rieb Steinmeyer ersonnen. Doch wie kam es dazu, dass sie nach Göggingen kam?

Der Hofrat – er kam aus einem kleinen Flecken bei Rothenburg ob der Tauber – verbrachte als gelernter Schreiner bei Steinmeyer einige Berufsjahr­e und bildete sich zum Orgelbauer fort. Deshalb erwarb er für seine Anstaltski­rche ein Werk seines vormaligen Brötchenge­bers. Auch ein wenig fränkischs­chwäbische Knickrigke­it gehört

dazu: Schließlic­h wird es für eine gebrauchte Orgel einen Preisabsch­lag gegeben haben. Natürlich übernahm Hessing auch die Dispositio­n „seiner“Orgel. Das für die Weltausste­llung und in Göggingen tätige Instrument ist wegen seines Klangbilde­s und konstrukti­ver Besonderhe­iten eine Rarität.

So ist in den Orgelmecha­nismus ein Harmonium integriert, damit bei reduzierte­r Klangstärk­e das komplizier­te Kunstwerk bei kleineren Anlässen auch ohne einen „Orgelbalgt­reter“bedient werden konnte. Beinahe verwirrend ist das Geflecht von unzähligen Metallröhr­en zur Versorgung der Pfeifen mit Luft. Nicht oft anderweiti­g anzutreffe­n ist auch die gedämpfte deutschrom­antisch ausgericht­ete Klangfülle. Man wird es so zu sehen haben: Hofrat Friedrich von Hessing revolution­ierte nicht nur die technische Orthopädie weit über Deutschlan­d hinaus. Er sorgte auch dafür, dass Göggingen mit einer nicht ganz unbedeuten­den musikinstr­umentalen Kostbarkei­t aufwarten kann.

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Archiv-Foto: Fred Schöllhorn Die Orgel in der Hessingkir­che ist eine besondere.

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