Wenn natürliche Gewässer zur Gefahr werden
Kanäle, Flüsse, Seen: Wasser ist in Augsburg allgegenwärtig, an etlichen Stellen ist Baden aber nicht erlaubt – aus gutem Grund. Erfahrene Lebensretter erzählen, wo Gefahren lauern.
Da war dieser kleine Junge, der in Oberhausen einem Fußball hinterhersprang. Er fiel in den Hettenbach und kam nicht mehr heraus, das Wasser riss ihn mit. Dann war er weg. Eine große Suchaktion begann, Dutzende Rettungskräfte waren beteiligt. Sie folgten dem Lauf des Wassers und landeten bei einem Wasserkraftwerk. Zwei Männer stiegen über das Tor, um den Jungen zu suchen. Und als sie sich dort so umsahen, hörten sie plötzlich ein Rascheln, das aus einem Container kam. Es war der Junge, unverletzt. Die Rechenanlage, die sonst Äste und Dreck aus dem Wasser fischt, hatte ihn erreicht – und ihm so wohl das Leben gerettet. „25 Schutzengel, mindestens“, sagt Armin Voß, als er sich an den Fall Mitte der 1990er-Jahre erinnert. Es war das Ende einer Suchaktion, wie Voß in rund 50 Jahren bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) in Augsburg einige erlebt hat. Nicht alle endeten so glimpflich.
Der Hettenbach ist eines von 28 natürlichen Gewässern im Stadtgebiet, an denen aktuell ein Badeverbot gilt. Die entsprechende Verordnung der Stadt reicht von Sparrenlech bis Schäfflerbach, von Singold bis Lautersee. Erlaubt ist Baden – abgesehen von Frei- und Hallenbädern – demnach an Kuh-, Autobahn-, Bergheimer Baggerund Ilsesee, ebenso im Naturfreibad Haunstetten. Eine Mischung aus Natur- und Schwimmbad ist das Fribbe – dort fließen 300 Meter des Kaufbachs durch. Damit ist es eine Ausnahme, zusammen mit den Badestellen am Proviantbach sowie am Eiskanal des Hauptstadtbachs. Sonst heißt es entlang des 640 Kilometer langen und verzweigten Augsburger Kanalnetzes: Baden verboten.
Wer an verbotenen Stellen badet, begeht eine Ordnungswidrigkeit und muss mit einer Geldstrafe rechnen. Nach Auskunft von Augsburgs Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU) bewegt sich die Zahl der Ahndungen „seit vielen Jahren gleichmäßig im einstelligen Bereich“. In den „allermeisten Fällen“bleibe es bei einer mündlichen Verwarnung. Fest stehe aber: „Wer die von der Stadt Augsburg erlassenen Badeverbote ignoriert, riskiert Leben und Gesundheit.“
Welche Kräfte Wasser entwickeln kann, wissen Rettungskräfte wie Armin Voß. Vieles habe sich verbessert, seit mehrere Kanäle nach oben geöffnet und teilweise auch umzäunt worden seien. „Im vergangenen Jahrtausend sind viele Kinder in Industriekanäle gefallen und ertrunken. Diese tragischen
Fälle sind deutlich zurückgegangen.“Dennoch gebe es immer wieder Situationen, in denen sich Rettungskräfte an natürlichen Gewässern auf die Suche nach Vermissten begeben müssten. „Der Lech kann brandgefährlich sein, die Strömung ist unberechenbar. Aber auch die Kanäle sind tückisch, wenn jemand schlecht schwimmt oder nicht mehr über die Betonkante am Rand kommt.“Nur an wenigen Stellen im Kanalnetz gebe es gespannte Drahtseile oder montierte Leitern.
Auch die Augsburger Berufsfeuerwehr ist immer wieder an Suchen an natürlichen Gewässern beteiligt. „Ich kenne fast keine Stelle in Augsburg, wo wir noch nie jemanden herausgezogen haben“, sagt Sprecher Friedhelm Bechtel. Viele Suchaktionen endeten frühzeitig mit Entwarnung – wie kürzlich, als eine Frau am Kuhsee als vermisst gemeldet wurde, nach einigen Stunden jedoch unversehrt wieder erschien. Sind aber Personen tatsächlich in Gefahr, gibt es laut Bechtel zwei Optionen: die Rettung – oder die Bergung der Leiche. Letzteres sei bei Suchaktionen im Wasser häufiger. Denn: „Wenn jemand untergeht oder sich nicht mehr befreien kann, muss es extrem schnell gehen. Da zählt jede Sekunde.“
Warum Personen auch an verbotenen Stellen im Wasser sind, lässt sich laut Bechtel pauschal kaum sagen: „Manche unterschätzen die Strömung, manche haben vielleicht Alkohol getrunken, manche kühlen sich davor nicht ab, gehen dann unter und treiben ab.“Zuletzt entdeckte eine Wasserwachts-Angehörige am Spickelbad, wie ein lebloser Mann im Eiskanal trieb. Trotz schneller Reanimation kam er ums Leben. Nach DLRG-Angaben ertranken im vergangenen Jahr in Bayern 60 Personen, davon 56 in natürlichen Gewässern. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass sich einige dieser Personen im Wasser das Leben nahmen.
Für den Ernstfall hat die Augsburger Wasserwacht vier sogenannte mobile Schnelleinsatzgruppen zur Verfügung. Diese kommen pro Jahr 20 bis 25 Mal im Stadtgebiet zum Einsatz, wie Sprecher Marco Greiner erklärt. Zu besonders „beliebten“verbotenen Stellen wolle man keine Stellung beziehen, um Nachahmungen zu vermeiden. Grundsätzlich gelte aber: „Es ist immer gefährlich, an nicht überwachten Gewässern schwimmen zu gehen.“Man appelliere eindringlich, nur dort zu baden, „wo auch eine entsprechende Badeaufsicht oder eine Absicherung durch die Wasserwacht oder DLRG gewährleistet ist“.