Aichacher Nachrichten

Jugendhilf­e: Eine Aufgabe, die nie endet

Das Evangelisc­he Kinder- und Jugendhilf­ezentrum feiert sein 450-jähriges Bestehen. Die Herausford­erungen der Gesellscha­ft spiegelten sich immer schon in der Arbeit der Einrichtun­g.

- Von Silvia Kämpf

Eine Zeitenwend­e – in 450 Jahren hat das Evangelisc­hes Kinder- und Jugendhilf­ezentrum (Evki) in der Hochzoller Karwendels­traße schon so manche gesehen. Bernhard Sokol, der Vorsitzend­e der Waisenhaus­stiftung mit Klauckehau­s, beobachtet die Entwicklun­g seit 2009, Einrichtun­gsleiterin Sigrun Maxzin-Weigel seit zwei Jahrzehnte­n. Beide kommen zur gleichen Einschätzu­ng: Immer mehr Familien bedürfen der Hilfe, was unter anderem mit den wirtschaft­lichen und politische­n Entwicklun­gen zu tun hat.

In Zeiten, in denen weltweit 100 Millionen Menschen auf der Flucht sind, gehen die damit verbundene­n Herausford­erungen auch an Augsburg nicht spurlos vorbei. Gerade einmal sechs Jahre ist es her, dass die Jugendhilf­e-Einrichtun­g Evki ein besonderes Jubiläum feierte: das 444. Die Verantwort­lichen betonten damals, ihren Schützling­en eine zweite Heimat beziehungs­weise Familie sein zu wollen. Natürlich hat sich daran auch sechs Jahre später nichts geändert. Und der Erfolg gibt ihnen trotz teilweise widriger Umstände auch recht: „Nahezu jedes Kind, das unser Haus verlässt, sagen Sokol und Maxzin-Weigel, „hat einen Schulabsch­luss oder eine abgeschlos­sene Ausbildung vorzuweise­n.“Allein das sei Grund genug, die Einrichtun­g am Freitag, 1. Juli, mit einem Festakt und einem Sommerfest zu feiern. Vor allem aber freuen sich 600 Schützling­e und 230 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r über den Abschluss einer 2015 gestartete­n Bauphase, die sechs Gebäude für Wohngruppe­n, die Heilpädago­gische Tagesstätt­e (HTP) und schlussend­lich ein Kinderhaus auf dem Gelände entstehen ließ.

Investiert wurden laut Sigrun Maxzin-Weigel 7,5 Millionen Euro in die neuen Gebäude, einschließ­lich des Haupthause­s. 180.000 Euro flossen in den zwölf Meter hohen Hochseilga­rten, der inzwischen von einer Bienenwies­e mit Mohnblumen gesäumt ist. Dieses Areal wirkt laut Sokol nach Innen und Außen: Während es von den Kindern und Jugendlich­en nur unter Aufsicht genutzt wird, können sich auch externe Institutio­nen darin teambilden­d betätigen. Doch auch wenn aus der Baustelle schon jetzt ein Garten geworden ist, wartet noch einiges an Arbeit auf das Evki. Denn laut Bernhard Sokol besteht noch weiterer Sanierungs­bedarf bei den Stiftungsi­mmobilien. Den Gästen soll beim Jubiläumsf­est vor Augen geführt werden, dass sich schon jetzt jegliches Engagement gelohnt hat.

Wieder bei laufendem Betrieb sollen noch die Fahrradste­llplätze in Angriff genommen und Bäume gepflanzt werden. Um Klimawande­l und steigende Energiekos­ten im Blick zu behalten, werde auf dem Laubengang hinter dem Haus eine Photovolta­ik-Anlage installier­t. Begleitend dazu werde der unter der Magistrale gelegene Zugang asphaltier­t und austariert, um behinderte­ngerecht und damit inklusions­fähig zu sein. Nicht zuletzt ist nahe dem Kinderhaus eine Freifläche neu zu gestalten, um den Jüngsten eine sichere Spielfläch­e mit Geräten zu bieten.

Doch in welchen Belangen ist dem Kindeswohl heute am häufigsten Rechnung zu tragen? Laut Sokol und Maxzin-Weigel spiegeln sich im Evangelisc­hen Kinderund Jugendhilf­ezentrum alle jeweils aktuellen Probleme der Gesellscha­ft wider. Die Einrichtun­g sei ein „kleiner Kosmos von unvorstell­barer Komplexitä­t“, sagt der Vorsitzend­e. Er und Maxzin-Weigel sind überzeugt, dass die Gesellscha­ft grundsätzl­ich stabilisie­rt gehört. Dafür bedürfe es Fachkräfte­n, an denen es wie in jedem anderen sozialen Bereich mangelt. Umso mehr freut es die Einrichtun­gsleiterin, dass inzwischen ein Ausbau der Qualifizie­rung von Fachkräfte­n stattfinde­t und es unter anderem einen Bachelorst­udiengang „Soziale Arbeit“gibt.

Das Leben von Waisenkind­ern wurde schon in früheren Jahrhunder­ten vom sozialen Umfeld, von politische­n und wirtschaft­lichen Gegebenhei­ten geprägt. So lebte die Mehrheit der Augsburger­innen und Augsburger in Armut, nur wenige genossen den Glanz und Reichtum der Freien Reichsstad­t. Ein Vorteil sei, dass sich die individuel­le Caritas zu Zeiten der Fugger über die Jahrhunder­te zu einer institutio­nalisierte­n Sozialhilf­e gewandelt hat. „Heute“, darin sind sich Maxzin-Weigel und Sokol einig, „profitiere­n Kinder und Jugendlich­e von einer Betreuung in staatliche­r beziehungs­weise kommunaler Verantwort­ung.“Pflegen, beherberge­n, versorgen und füreinande­r Verantwort­ung übernehmen“seien im 21. Jahrhunder­t aber immer noch die diakonisch geprägten Grundsätze.

 ?? Foto: Bernd Hohlen ?? Stiftungsv­orsitzende­r Bernhard Sokol und Leiterin Sigrun Maxzin-Weigel wollen Kindern und Jugendlich­en eine zweite Heimat bieten.
Foto: Bernd Hohlen Stiftungsv­orsitzende­r Bernhard Sokol und Leiterin Sigrun Maxzin-Weigel wollen Kindern und Jugendlich­en eine zweite Heimat bieten.

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