Aichacher Nachrichten

Falschauss­agen haben ein Nachspiel

Im Verfahren um die Messerstec­herei im Augsburger Reese-Park gab es viele Überraschu­ngen, nun steht es vor dem Abschluss. Zwei Zeugen könnten auf der Anklageban­k landen.

- Von Jan Kandzora

Wenn am Montag im Prozess um die Geschehnis­se im Reese-Park im Februar 2021 die Staatsanwa­ltschaft und die Verteidige­r ihre Plädoyers halten, dürften langjährig­e Haftstrafe­n eher nicht mehr im Raum stehen. Ursprüngli­ch hatten die Ermittler dem Hauptangek­lagten Slavko P. (Name geändert) versuchten Totschlag vorgeworfe­n – doch um Messerstic­he in der Tatnacht geht es im Verfahren nun gar nicht mehr, dieser Komplex wurde Anfang Juni eingestell­t. Die Wahrheitsf­indung gestaltete sich für die zuständige Jugendkamm­er schwierig, viele Zeugen mauerten oder logen. Gegen zwei von ihnen wird nun deswegen ermittelt.

Grundsätzl­ich ging es im Prozess um Folgendes: An dem besagten Februarabe­nd 2021 im Reese-Park traf Slavko P. mit Freunden auf eine Jugendgrup­pe von rund 30 Leuten, es kam zu einer Schlägerei. Offenbar gab es eine Vorgeschic­hte für die gegenseiti­ge Wut. Slavko P. zückte ein Messer, verletzte einen Kontrahent­en an der Achsel, einen weiteren lebensgefä­hrlich. Ein Jahr später landete P., der seitdem im Gablinger Gefängnis in Untersuchu­ngshaft sitzt, als mutmaßlich­er Haupttäter auf der Anklageban­k. Ihm wurde versuchter Totschlag vorgeworfe­n, zweien seiner Freunde gefährlich­e Körperverl­etzung beziehungs­weise Beihilfe, zudem allen dreien Geldfälsch­ung. Heftige Vorwürfe, doch vermutlich taten sich bislang in noch nicht so vielen Prozessen in Augsburg aufseiten der Zeugen derart kollektive Erinnerung­slückenund Schwierigk­eiten auf wie diesem.

An einem Verhandlun­gstag Anfang Juni gab schließlic­h einer die wichtigste­n Belastungs­zeugen nach einigem Zögern vor Gericht an, dass Slavko P., der Hauptangek­lagte, bei der Schlägerei von rund 30 Leuten umzingelt gewesen sei und versucht habe, dem Kreis zu entkommen. Nach weiterem Nachhaken von Richter Lenart Hoesch gab der Zeuge auch zu, dass er sich Slavko P. in jener Nacht im Reese-Park in den Weg gestellt hatte. „Ich wollte nicht, dass er aus dem Kreis rauskommt.“Dann sei es zur folgenreic­hen Auseinande­rsetzung gekommen. Für das Gericht und den Prozess der entscheide­nde Wendepunkt. „Wenn sie ihn bedroht haben, nennt man das Notwehr“, sagte Hoesch. Auch Verteidige­r Jörg Seubert sah sich in dem bestätigt, was sein Mandant von Anfang an vor Gericht ausgesagt hatte, nämlich damals in Notwehr gehandelt zu haben.

Vorsitzend­er Richter Lenart Hoesch verkündete kurz darauf die Einstellun­g des Verfahrens hinsichtli­ch des Tatgescheh­ens im Reese-Park. Ihm zufolge sei bei dem Angeklagte­n, dem in diesem Tatkomplex der Vorwurf des versuchten Totschlags zur Last lag, eine Verurteilu­ng nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufn­ahme diesbezügl­ich nicht zu erwarten, der „Rechtferti­gungsgrund der Notwehr“wahrschein­lich nicht zu widerlegen. Ein Paukenschl­ag. Es geht also in den anstehende­n Plädoyers und dem Urteil, das folgen wird, nur noch um den Vorwurf der Geldfälsch­ung.

Zumindest in zwei Fällen haben die Falschauss­agen von Zeugen in dem Prozess ein Nachspiel: Wie die Staatsanwa­ltschaft auf Anfrage berichtet, wurden zwei Verfahren in diese Richtung eingeleite­t. Dass es nicht noch mehr wurden, lag daran, dass Zeugen, die anfangs mauerten oder logen, „sehr ausführlic­h über die Möglichkei­t einer strafbefre­ienden Korrektur ihrer Aussage bis zum Abschluss der Vernehmung belehrt wurden“, wie es von der Staatsanwa­ltschaft heißt. Für Falschauss­agen vor Gericht sieht das Gesetz Freiheitss­trafen ab drei Monaten vor.

Dem gegenüber ist es nicht von vornherein strafbar, in einer Vernehmung bei der Polizei die Unwahrheit zu sagen. Ein solches Verhalten kann zwar zu Verfahren wegen falscher Verdächtig­ung oder Strafverei­telung führen, dafür allerdings müssen konkrete Bedingunge­n vorliegen.

Und so hat sich ein Anwalt, der offenbar im Ermittlung­sverfahren gegen einen 15-Jährigen aus Augsburg bei der Polizei die Unwahrheit gesagt hatte, deswegen möglicherw­eise nicht strafbar gemacht. Die Staatsanwa­ltschaft hatte dem Jugendlich­en (Verteidige­r: Marco

Müller und Stefan Mittelbach) ebenfalls versuchten Totschlag vorgeworfe­n, da er einen Mann nach einem Streit in Oberhausen schwer am Kopf verletzt haben soll. Doch die Jugendkamm­er stellte das Verfahren letztlich ein. Einer der Zeugen der Tat war ein Augsburger Anwalt, der im Prozess zugleich in der Nebenklage als Vertreter des 52-jährigen Opfers auftrat; eine eher ungewöhnli­che Konstellat­ion. In der Verhandlun­g musste der Anwalt nach Informatio­nen unserer Redaktion einräumen, dass er bei der Polizei teils die Unwahrheit gesagt und die Tatgescheh­nisse so geschilder­t hatte, dass sie seinen Mandanten in einem möglichst guten Licht erscheinen ließen. Ein Strafverfa­hren droht dem Juristen wohl nicht, allerdings beschäftig­t sich die Rechtsanwa­ltskammer München nach Informatio­nen unserer Redaktion mit dem Vorfall, deren Aufgabe es unter anderem auch ist, Verstöße gegen die Berufspfli­chten des Anwaltes zu verfolgen. Wenn derartige Verstöße letztlich vor dem Anwaltsger­icht landen, können etwa Maßnahmen wie ein Verweis oder eine Geldbuße verhängt werden.

Zeugen haben kollektive Erinnerung­slücken

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Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild) Im Verfahren um die Messerstec­herei im Augsburger Reese-Park gab es viele Überraschu­ngen, nun steht es vor dem Abschluss. Zwei Zeugen könnten auf der Anklageban­k landen.

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