Aichacher Nachrichten

Die vergessene­n Probleme der Schulen

Leitartike­l Engagierte Lehrkräfte und Eltern haben auch in diesem Jahr die Versäumnis­se der Politik kompensier­t. Jeder weiß, was sich ändern muss – aber die Lösung kommt nicht.

- Von Sarah Ritschel

Sommerferi­en, Zeit zum Durchatmen, die unbeschwer­testen Wochen des Jahres. „Endet nie, bleibt für immer, la-la-lange Ferien“, rappt die HipHop-Gruppe Deine Freunde. Kinder lieben die Band – und für sie trifft hoffentlic­h auch alles ein, was der Text des Songs verspricht: lange schlafen, Freibad, Sand in den Schuhen. Rektoren und Schulleite­rinnen hingegen bewegen sich in diesen Sommerferi­en wie auf Treibsand. Viel Zeit zum Verschnauf­en bleibt ihnen nicht. Sie werden bald wieder an den Schreibtis­chen sitzen, Vorgaben dehnen, Verzichtba­res streichen und am Ende etwas vorweisen, das man Stundenpla­n nennt. Die Versäumnis­se der Bildungspo­litik zu kompensier­en, darin haben sie bittere Erfahrung.

Dieses Jahr war es besonders hart. Manche Lehrkräfte sagen: so schwierig wie nie. Zu wenig Personal, Corona, allein in Bayern 27.000 neue Schülerinn­en und Schüler, geflüchtet aus der Ukraine. Hinzu kommt die Angst vor dem Herbst. Die Sommerferi­en werden als Vorbereitu­ngszeit nicht reichen, damit zum neuen Schuljahr alles glatt läuft. Wo anfangen? Einmal mehr beim Lehrkräfte­mangel, da er alle anderen Herausford­erungen verstärkt. In Bayern etwa konnten zeitweise 15 Prozent der Lehrkräfte wegen Krankheit oder einer Schwangers­chaft nicht unterricht­en. Jüngst prognostiz­ierte der Nationale Bildungsbe­richt, dass bis 2030 rund 30.000 Lehrkräfte an deutschen Schulen fehlen werden. Jahrelang wurde politisch nur beschwicht­igt, doch mittlerwei­le bestreitet niemand mehr, dass Personalma­ngel

herrscht – auch nicht das bayerische Kultusmini­sterium. Im Radio laufen Werbespots für den Lehrerberu­f, in München stand im Ausgehvier­tel ein riesiges Banner: Jetzt Lehrer werden!

Das Fachperson­al fehlte heuer besonders schmerzlic­h. Die Leistungsk­urve von Schülerinn­en und Schülern zeigt nach unten. Erst Anfang Juli wurde deutlich, dass sich Viertklass­kinder bei der jüngsten bundesweit­en Studie des Instituts zur Qualitätse­ntwicklung im Bildungswe­sen signifikan­t verschlech­tert haben. Beim Schreiben scheitert knapp ein Drittel der Kinder an den Mindeststa­ndards, in Mathematik ist es rund jedes fünfte – und Bildungser­folg hängt so sehr vom Elternhaus ab wie lange nicht. Der Aufwärtstr­end durch die Reformen nach dem Pisa-Schock 2001: zusammenge­schrumpft. In Bayern ist die Lage traditione­ll etwas besser als im Bundesschn­itt, Ergebnisse für die Länder folgen im Herbst.

Ja, die Lücken mögen zum Teil in den Lockdowns entstanden sein, wie es die Kultusmini­sterkonfer­enz erklärte. Aber nicht nur. Die Schüler lernen schon seit zehn Jahren schlechter. Und das liegt auch daran, dass Lehrkräfte oft keine Zeit haben, auf jedes Kind einzeln einzugehen, dass sie sich die Frage stellen müssen: Übe ich dasselbe Thema wieder und wieder oder versuche ich, auch den Rest des Stoffs durchzubri­ngen?

Noch dazu steigen die Erwartunge­n an die Schule. Es gibt Eltern, die den Erziehungs­auftrag abschieben. Die nicht schauen, ob ihr Nachwuchs auf die nächste Probe lernt. Das erwarten sie wie selbstvers­tändlich von der Schule. Diese Kombinatio­n aus einem verschlepp­ten Lehrermang­el, übersteige­rten Erwartunge­n, Pandemie und Krieg haben die Schieflage verursacht. Engagierte Lehrkräfte, Pensionäre, Elternbeir­äte und verständni­svolle Familien haben – wieder einmal – vieles davon abgefedert. Auf Dauer aber helfen nur mehr Lehrkräfte. Wo sie herkommen sollen, auf diese Frage fehlt bisher die Antwort.

Jedes dritte Kind scheitert am Schreiben

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