Baerbock reist in die Türkei
Außenministerin will „Differenzen“ansprechen
Istanbul Bundesaußenministerin Annalena Baerbock muss sich bei ihrem ersten Besuch in der Türkei an diesem Freitag auf Gesprächspartner gefasst machen, die sich stark genug fühlen, ihren Verbündeten in Europa und Amerika die Leviten zu lesen.
Außenminister Mevlüt Cavusoglu, den Baerbock am Freitag treffen will, warf dem Westen kurz vor dem Besuch vor, den UkraineKrieg in die Länge ziehen zu wollen, um Russland zu schwächen. Die Türkei dagegen trete für den Frieden ein, sagte er dem Fernsehsender TV100. Vermittlungsmissionen seien für die Türkei zu einem „Markenzeichen“geworden. „Das kann nicht jedes Land.“
Baerbock will nach eigenen Worten in Istanbul und Ankara „fundamentale Differenzen“zwischen Deutschland und der Türkei ansprechen. Der Ukraine-Krieg dürfte eines der wichtigsten Themen bei dem Besuch werden.
Die Türkei und die UN hatten vorige Woche eine Vereinbarung erreicht, die Getreidelieferungen aus der Ukraine an die Weltmärkte sichern soll. Zwei Tage vor Baerbocks Visite wurde in Istanbul das gemeinsame Koordinationszentrum für die Exporte eingeweiht. Die ersten Schiffe könnten während Baerbocks Aufenthalt in der Türkei beladen werden. Vor ihrer Abreise würdigte Baerbock die türkischen Vermittlungsbemühungen im Ukraine-Konflikt. Ankara sei ein „unverzichtbarer Partner“, erklärte sie.
Die Türkei beteiligt sich nicht an westlichen Sanktionen gegen Russland und ist das einzige NatoLand mit persönlichen Kontakten zum Kreml auf höchster Ebene. Präsident Recep Tayyip Erdogan traf vorige Woche in Teheran mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin zusammen und reist kommende Woche für ein weiteres Treffen mit Putin nach Russland.
Eigentlich wollte Baerbock schon im Juni nach Griechenland und in die Türkei reisen, musste aber wegen einer Corona-Infektion absagen und kann die Besuche erst jetzt nachholen.
Das Verhältnis zwischen der Türkei und dem Westen hat sich seit Juni eher verschlechtert als verbessert. Erdogan droht Griechenland wegen des Streits um Inseln in der Ägäis mit Krieg und warnt trotz der Grundsatzeinigung in der Nato über den Beitritt von Finnland und Schweden, die türkische Zustimmung zur Norderweiterung sei noch keine ausgemachte Sache. Der türkische Präsident wirft Helsinki und Stockholm vor, Zusagen für die Auslieferung von Anhängern der kurdischen Terrororganisation PKK und anderen türkischen Regierungsgegnern nicht eingehalten zu haben. Erdogan kritisierte vor einigen Tagen auch den seiner Meinung nach zu laschen Umgang Deutschlands mit PKK-Anhängern. Selbst für die krisenerprobten Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland ist die Problemfülle enorm.