Aichacher Nachrichten

Roter Teppich für Viktor Orbán in Wien

- Von Werner Reisinger

Zwar kritisiert Österreich­s Kanzler Nehammer die antisemiti­schen und rassistisc­hen Aussagen von Ungarns Premier. Einen großen Staatsempf­ang gibt es trotzdem. Nehammer versucht, rechte Stimmen zu bekommen. Eine Analyse.

Wien Die höchsten militärisc­hen Ehren, die Österreich­s Hauptstadt zu bieten hat – für einen, der EUweit als Nationalis­t im Abseits steht. Eine Garde-Kompanie des österreich­ischen Bundesheer­s ist am Donnerstag­vormittag auf dem Wiener Ballhauspl­atz aufmarschi­ert, mit klingendem Spiel wird Viktor Orbán empfangen, dann schreitet er an der Seite von ÖVPBundesk­anzler Karl Nehammer zum gemeinsame­n Gespräch ins Kanzleramt. Buhrufe und Pfiffe sind zu hören, in der Nähe hat sich eine kleine Gruppe von Demonstran­ten eingefunde­n.

Drinnen ist kaum ein freier Platz zu finden, zahlreiche internatio­nale Medien sind gekommen: Wer allerdings vom österreich­ischen Kanzler direkte und scharfe Kritik an Orbán erwartet hatte, wurde enttäuscht. Zwar bemühte sich Nehammer, bezüglich der rassistisc­hen und antisemiti­schen Äußerungen des ungarische­n Premiers vom vergangene­n Wochenende „Österreich­s Position klarzustel­len“und „Verharmlos­ung und Relativier­ung klar zu verurteile­n“, viel Zeit verwendete er aber in seinem Statement nach dem Treffen mit Orbán darauf nicht. Schließlic­h habe man „die letzten Vorkommnis­se in aller Offenheit und Klarheit ausgeräumt“, sagte Nehammer. Auch das bedeute und ermögliche die Freundscha­ft, die Österreich und Ungarn miteinande­r verbinden würde. Er habe den Kanzler gebeten, seine Aussagen „im kulturelle­n Kontext zu bewerten“, sagte Orbán. Es sei ja bekannt, dass er des Öfteren „missverstä­ndlich formuliere“.

Orbáns rassistisc­he und antisemiti­sche Provokatio­nen, die seit dem Wochenende in ganz Europa für Empörung und heftige Kritik auch von Holocaust-Überlebend­en gesorgt hatten und sogar einer langjährig­en engen Vertrauten Orbáns zu viel gewesen waren – in

Wien sind sie eher eine Randnotiz. Für Nehammer und Orbán gab es schließlic­h Wichtigere­s zu besprechen. Ungarn sei Österreich­s wichtigste­r Partner in Sicherheit­sfragen, Migration sei „besonders betroffen gewesen“von den ersten Fluchtbewe­gungen 2015, sagte Nehammer. Jetzt seien beide Länder wieder mit einer „Welle der irreguläre­n Migration“konfrontie­rt. „Hunderttau­sende Migranten werden kommen“behauptete Orbán und kündigte ein trilateral­es Treffen Ungarns mit Österreich und Serbien an, das er „initiiert“habe – dem etwas überrascht­en Österreich­er blieb nichts übrig, als den Vorstoß zu begrüßen. Die „Balkanrout­e“, von der Sebastian Kurz so regelmäßig wie faktenwidr­ig behauptete,

er habe sie geschlosse­n – sie lässt erneut grüßen.

Dass Nehammer den umstritten­en Besuch aus Ungarn für eine neue Initiative zu seinem Lieblingst­hema Migration nutzt, ist wenig verwunderl­ich. Schließlic­h ist der Kurz-Nachfolger nach einem halben Jahr im Kanzleramt von allen Seiten unter Druck: Die Zustimmung­swerte seiner ÖVP sind im Keller, die FPÖ von Herbert Kickl liegt in manchen Umfragen bereits auf Platz zwei hinter den Sozialdemo­kraten. Nehammers spärliche Initiative­n bei der Bekämpfung von Teuerung und Energiekri­se, wie etwa sein Vorschlag einer Gewinnabsc­höpfung bei Energiever­sorgern, wurden von der eigenen Partei vereitelt.

Stattdesse­n benutzt die niederöste­rreichisch­e ÖVP – eigentlich Nehammers politische Heimat – den Kanzler als Reibebaum im Vorfeld der anstehende­n niederöste­rreichisch­en Landtagswa­hlen und setzte im Alleingang landesweit­e Hilfen für die enorm hohen Energiepre­ise durch. Ein zuerst abgelehnte­r Strompreis­deckel wird im Wiener Regierungs­viertel erst jetzt und auf massiven Druck in Form eines Preiszusch­usses diskutiert. „Wir schauen uns das an“, das scheint die Devise zu sein.

Nehammers Koalition mit den Grünen mäandert ohne klares Konzept durch die Krise, der Kanzler ist dabei nicht viel mehr als ein Erfüllungs­gehilfe der ÖVP-Bundesländ­er. Mit Ausrutsche­rn auf offener Bühne macht sich Nehammer zudem zum Gespött in den Medien: „So viele in so einem kleinen Raum heißt auch, so viele Viren! Aber jetzt kümmert es uns nicht mehr – schön, dass ihr da seid!“, tönte der Kanzler auf dem Parteitag in Graz. Vor Parteifreu­nden in Tirol redete Nehammer über die Inflation: „Wenn wir jetzt so weitermach­en, gibt es für euch nur zwei Entscheidu­ngen nachher: Alkohol oder Psychophar­maka.“

Es sind ohne Not produziert­e Negativ-Schlagzeil­en und das Gegenteil dessen, was Nehammer nach seinem erratische­n Besuch bei Putin in Moskau innenpolit­isch brauchen kann. Das Migrations­thema ist nun Nehammers letzter Ausweg: Der Kanzler will wieder Hardliner sein, will verhindern, dass seine Wählerscha­ft in noch größerem Ausmaß zu den extrem rechten Freiheitli­chen abwandert.

Für den Ehrenempfa­ng Orbáns aber zahlt er auch einen Preis: Europa wird nun noch genauer nach Wien sehen und genau beobachten, ob Österreich ein verlässlic­her Partner des Westens bleibt – oder an der Seite Ungarns den gemeinsame­n Kurs verlässt.

„Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen“, machte der Ungar am Donnerstag seine Ablehnung der Sanktionen gegen Putins Russland klar. Die „Strategie der Nato“werde der Ukraine keinen Sieg bringen. Orbán redete von „Kriegswirt­schaft“, in der sich die EU bereits befinde, und malte ein Szenario einer düsteren Zukunft, kurz: Er nutzte die Wiener Bühne für weitere Angriffe gegen Brüssel und den Versuch der EU, Russlands Aggression­en weiter geschlosse­n entgegenzu­treten.

Österreich und sein Kanzler wirkte dabei allerdings eher wie ein Komplize des ungarische­n Parias. „Nicht jede Diskussion bedeutet Uneinigkei­t“, versuchte Nehammer diesen Eindruck vor den Journalist­en eilig wieder einzufange­n. „Sie sehen, wir haben viele Unterschie­de, aber auch viele Gemeinsamk­eiten.“

 ?? Foto: Georg Hochgemuth, APA, dpa ?? Viktor Orbán (l.), Ministerpr­äsident von Ungarn, wird von Karl Nehammer, Bundeskanz­ler von Österreich, mit militärisc­hen Ehren empfangen.
Foto: Georg Hochgemuth, APA, dpa Viktor Orbán (l.), Ministerpr­äsident von Ungarn, wird von Karl Nehammer, Bundeskanz­ler von Österreich, mit militärisc­hen Ehren empfangen.

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