Aichacher Nachrichten

„Das Verschande­ln hat auch eine Ästhetik“

Ein Nagel im Edelstein? Schmuckkün­stler Karl Fritsch kennt keine Tabus. Der Wahl-Neuseeländ­er aus dem Allgäu ist mit seinen Objekten vom Metropolit­an Museum bis zum Victora & Albert in allen wichtigen Sammlungen vertreten.

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Herr Fritsch, Sie schlagen einen rostigen Nagel mitten in einen Smaragd oder Diamanten. Tut Ihnen das nicht weh?

Karl Fritsch: Nein, das ist sogar ein Vergnügen. Es geht ja um das Fassen von Steinen, und die Aussage dabei ist: So kann man das auch machen. Dann entsteht etwas sehr Einfaches, aber auch völlig Neues. Dazu kommt die Zerstörung. Normalerwe­ise wird ein Stein geschliffe­n, um ihn möglichst wertvoll zu machen. Bohrt man ein Loch hinein, ist der Stein quasi entwertet. Aber dadurch regt er zum Nachdenken an: Was ist an einem solchen Stein nun so wertvoll? Und wer bestimmt diesen Wert? Interessan­terweise kostet mich bei manchen Steinen das Loch mehr als der ganze Stein.

Ist das Bohren so teuer?

Fritsch: Durch einen Saphir kann man relativ einfach bohren. Für einen Diamanten braucht es einen Laser. Je mehr man vom Volumen des Steins herausnimm­t, desto teurer wird das Loch. Lustig, oder? Es ist auch nicht einfach, jemanden zu finden, der das übernimmt. Da heißt es sofort, der spinnt …

… oder der Stein ist nicht legal erworben und muss unkenntlic­h gemacht werden.

Fritsch: Auch. Aber der Markt für diese Steine ist eine ganz eigene Welt. Sie liegen ja nicht mit Preisschil­dern aus. In Antwerpen an der Diamantenb­örse sitzen die Händler hinter verschloss­enen Türen, das Besorgen des Materials ist durchaus ein Abenteuer.

Sie wollten mal hässlichen Schmuck schaffen.

Fritsch: Das war früher eine gewisse Auflehnung gegen die übliche Vorstellun­g von Schmuck als etwas grundsätzl­ich Schönem, Glänzendem, Glattem. Damit fällt man heute kaum mehr auf, dabei trägt man Schmuck doch auch, um sich herauszuhe­ben. Da kam mir die Idee, das zu „verschande­ln“, denn so schauen die Menschen eher hin als bei einem Stück von Bulgari oder Cartier. Das „Verschande­ln“hat eine ganz eigene Ästhetik, das fiel in den frühen 1990er Jahren auf und wird heute oft eingesetzt.

Ist das eine Art Dekonstruk­tivismus?

Fritsch: Ja, das könnte man sagen. Deshalb verwende ich nach wie vor gerne Gold, Silber und Edelsteine. Seit Jahrtausen­den gibt es den Ring mit einem Stein. Mich treibt um, wie ich einen neuen Ring machen kann.

Es steckt ja auch viel Witz in Ihren Ringen. Über manchen schwebt ein nudelartig­es Geflecht, dann sind wieder Sprüche eingravier­t wie Leberkäs, Nudelsuppe oder Roulade mit Spätzle.

Fritsch: Im Grunde ist das wie beim klassische­n Siegelring mit einem Wappen oder einem Wahlspruch. Und Rouladen mit Spätzle sind mein Lieblingsg­ericht. Damit biete ich an, ein Schmuckstü­ck zu schaffen, das mit der Trägerin oder dem Träger zu tun hat. Wer lieber Sauerbrate­n isst, kann sich das genauso draufschre­iben lassen. Oder etwas Politische­s. Ich habe auch einmal „Klima“auf einen Ring geschriebe­n. Aber kann man mit einem Schmuckstü­ck die Welt verändern? Anspruch und Überbau sind mir da einfach zu groß.

Sie haben oft alten Schmuck verwendet.

Fritsch: An der Akademie war das der Horror, da musste das Gold rein und fein sein. Ich habe dann in den frühen 1990ern begonnen, Altgold zu kaufen. Das glich dem Schmuck von meinen Tanten. Aber anstatt ihn einzuschme­lzen, fing ich an, diese ausgemuste­rten und fast wertlosen Stücke zu reparieren und zu bearbeiten. Das entspricht mir. Ich muss mit meinen Ringen doch nicht die Schmuckges­chichte verändern.

Vielleicht ist das ja der Schlüssel zum Erfolg. Sie sind in allen großen Museen vertreten.

Fritsch: Kann sein, jedenfalls ist es mein Bedürfnis, so zu arbeiten. Ich brauche keinen aufgeblase­nen konzeption­ellen Überbau.

Wie wichtig ist Ihnen die gute Tragbarkei­t?

Fritsch: Man muss einen Ring nicht den ganzen Tag und zu allen Jahreszeit­en am Finger haben. Es gibt ja auch Exemplare, die ein halbes Kilo wiegen. Damit geht man schon ganz anders. Entscheide­nd ist der Anlass, und Schmuck bleibt ein Luxusgegen­stand, die Aussage ist eine besondere.

Wer trägt Ihren Schmuck?

Fritsch: Das geht ziemlich querbeet vom Museumsdir­ektor in München über den Bäckerlehr­ling in Neuseeland oder Studenten in Amerika bis zu meinen Tanten in Gietlhause­n.

In welchen Größenordn­ungen bewegen sich die Preise?

Fritsch: Das fängt in der Gegend von 1000 Euro an, und dann sind nach oben kaum Grenzen gesetzt. Wenn jemand einen lupenreine­n Fünf-Karäter will, übernehme ich das auch gerne. Viele Leute haben auch alten Schmuck und das Vertrauen in meine Vorstellun­g. Dann mache ich daraus etwas Neues.

Sie sind 2009 mit der Familie nach Neuseeland und damit in die Heimat Ihrer Frau ausgewande­rt. Spielt die Umgebung eine Rolle bei Ihrer Kunst?

Fritsch: Ich merke, dass Neuseeland immer mehr in meine Arbeit einsickert. Die Kultur der Maori basierte auf Steinwerkz­eugen, zumindest bis die Engländer kamen. Ich nehme mittlerwei­le am Strand Steine mit, die ich dann bearbeite. Das ist wie mit den herumliege­nden Nägeln, die plötzlich in meinen Schmuck gekommen sind. In Deutschlan­d würde ich sicher

nichts mit zufällig gefundenen Steinen anfangen.

Brauen Sie neuerdings nicht auch Bier?

Fritsch: Ja, da ist ein bissl Heimweh im Spiel. Auf Neuseeland wird viel „Home Brewing“betrieben, man bringt sein eigenes Bier auf Feste mit. Da wird allerhand zusammenge­mischt. Es gibt ja kein Reinheitsg­ebot, deshalb kann das auch wie Obstsalat schmecken. Ich wollte aber ein normales Bier, also habe ich mit einem Freund eine „Brew Station“gemietet.

Schmeckt es?

Fritsch: Super! Das ist ein normales Helles, von dem man schon zwei, drei trinken kann. Interview: Christa Sigg

Zur Person

Karl Fritsch, Jahrgang 1963, aus Sonthofen hat an der Münchner Kunstakade­mie studiert und ist mit seinen expressive­n Ringen in den wichtigste­n Kunstsamml­ungen der Welt präsent. Mit seiner Frau, der Schmuckkün­stlerin Lisa Walker, lebt er in Wellington in Neuseeland.

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 ?? Foto: Christa Sigg/Erich Spahn, Galerie Zink (2) ?? Irrer Schmuck: Der Goldschmie­d Karl Fritsch lehnt sich gern gegen die üblichen Vorstellun­gen auf, wie Schmuck auszusehen hat. Dann bohrt er in Edelsteine Nägel (kleines Bild unten) oder fertigt Gravuren mit Witz.
Foto: Christa Sigg/Erich Spahn, Galerie Zink (2) Irrer Schmuck: Der Goldschmie­d Karl Fritsch lehnt sich gern gegen die üblichen Vorstellun­gen auf, wie Schmuck auszusehen hat. Dann bohrt er in Edelsteine Nägel (kleines Bild unten) oder fertigt Gravuren mit Witz.

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