Aichacher Nachrichten

Sie haben schon gewonnen

Die deutschen Frauen wissen, wie sich ein Sieg in Wembley anfühlt. Vor dem Finale ist die Begeisteru­ng groß.

- Von Frank Hellmann

London Fast ein bisschen schade, dass am Donnerstag bereits ein Hauch von Schwermut in der Luft lag. Auch wenn der Syon Park in Brentford wie alle Grünanlage­n Londons wegen der Trockenhei­t ziemlich mitgenomme­n aussieht, hätte die Delegation des deutschen Frauen-Nationalte­ams ihren Stammsitz nicht genau jetzt aufgegeben, wo die EM mit dem Finale zwischen England und Deutschlan­d in Wembley (Sonntag 18 Uhr/ ARD) auf ihren Höhepunkt zusteuert. Während zwischen Kiel und Konstanz eine ungeahnte Aufbruchst­immung zu spüren ist, herrschte zwischen den spitzen Giebeln der lieb gewonnenen Herberge eine eigenartig­e Abschiedss­timmung.

Es gehört zu den Ungereimth­eiten dieser ansonsten hervorrage­nd orchestrie­rten Veranstalt­ung, dass der Finalist Germany gezwungen wird, sein Basiscamp aufzugeben, um jetzt noch viel weiter raus in ein luxuriöses Landhotel nach Watford zu ziehen. Dass dieser umständlic­he Umzug in die Grafschaft Hertfordsh­ire wenig sinnvoll ist, ficht die Organisato­ren einerseits nicht an. Anderersei­ts muss sich das DFB-Team auch nicht beklagen. Vielleicht hätten die kraftvolle­n Deutschen den Abnutzungs­kampf in Milton Keynes gegen die eleganten Französinn­en nicht 2:1 gewonnen, wenn sie nicht zwei Tage mehr Erholungsz­eit gehabt hätten – einen Wettbewerb­snachteil, den Nationaltr­ainerin Corinne Diacre ausdrückli­ch beklagte.

Bundestrai­nerin Martina VossTeckle­nburg verlor über diesen Umstand keine Silbe. „Es wird ein großartige­s Fußballfes­t, das ist ein Klassiker. Was England in diesem Turnier gezeigt hat, ist natürlich brutal gut.“Vor fast 90.000 Menschen in Wembley zu spielen, die den Rückhalt einer nach einem

Fußball-Titel dürstenden Nation transporti­eren werden, elektrisie­rt die Trainerin: „Wenn uns das vor der EM jemand gesagt hätte, dass das passieren würde, mit den vielen Geschichte­n, den Ausfällen, mit allem, was wir verkraftet haben, dann hätte man sich kneifen können.“

Die von Voss-Tecklenbur­g mit mehr Eigenveran­twortung betraute Generation weiß zudem, wie sich ein Sieg auf heiligem Rasen vor vollem Haus anfühlt: Auch wenn es nur ein Freundscha­ftsspiel war, aber der 2:1-Sieg vom 9. November 2019 ist etwas, an das sich Torhüterin Merle Frohms „jetzt wieder gerne erinnert“: Sie hatte damals als neue Nummer eins einen Elfmeter gehalten.

Dass Politiker gerne auf einen Erfolgszug springen, ist auch bekannt. Nachdem am Mittwochab­end mehr als zwölf Millionen Zuschauer am Fernseher zugeschalt­et waren, kündigte Bundeskanz­ler Olaf Scholz umgehend sein Kommen an; wenig hilfreiche Tweets mit populistis­chem Unterton zum Thema Equal Pay wird er sich diesmal wohl sparen. Dass aber die Debatte um eine angemessen­e Prämie nicht ausgestand­en ist, war DFB-Präsident Bernd Neuendorf anzumerken. Einerseits schwärmte er im Stadium MK von der „tollen Vorbildfun­ktion, erfrischen­den Gesichtern und starken

Charaktere­n“. Anderersei­ts erstickte er jegliche Anregung, ob die vereinbart­en Erfolgszah­lungen – 60.000 Euro für den Sieg, 30.000 Euro als Zweiter – vielleicht noch erhöht werden könnten.

Die Verhandlun­gen seien abgeschlos­sen, bekundete der Verbandsbo­ss und schob hintendran: „Ich glaube, dass es jetzt das Primäre ist, den Pokal in die Luft zu recken. Das ist jetzt das Allerwicht­igste.“Dass der DFB-Boss jedoch nicht abgeneigt ist, für die WM 2023 in Australien und Neuseeland auch die finanziell­e Belohnung allesamt bodenständ­iger Protagonis­ten zu erhöhen, die für den deutschen Fußball gerade eine unbezahlba­re Imagewerbu­ng erbringen, war trotz Sicherheit­sabstand in der Mixed Zone dann doch bei ihm herauszufi­ltern. Und klar, auch Neuendorf kommt am Sonntag aufs Neue nach London.

Tore 1:0 Popp (40.), 1:1 Frohms (44./Eigentor), 2:1 Popp (76.) Zuschauer 27.445

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Foto: Pierre Lahalle, Witters Martina Voss-Tecklenbur­g ist stolz auf ihre Mannschaft.

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