Aichacher Nachrichten

„Mein bestes Rennen? Liegt noch vor mir“

- Von Milan Sako

Sebastian Vettel reicht es. Einer der erfolgreic­hsten Rennfahrer der Formel-1-Geschichte beendet seine Karriere mit 35 Jahren nach dieser Saison. Seine sportliche Hochzeit ist länger vorbei. Die Familie ist wichtiger geworden.

Budapest Lange Haare, Locken, ein lässiger Bart. Nun soll bitte nicht von Äußerlichk­eiten auf innere Werte geschlosse­n werden. Und doch hat das Erscheinun­gsbild des Sebastian Vettel auch mit seiner Entwicklun­g als Persönlich­keit zu tun. In den vergangene­n Wochen und Monaten hat nicht mehr der Rennfahrer Vettel Schlagzeil­en geschriebe­n. Nein, der Umweltschü­tzer, Bienenfreu­nd und Kämpfer gegen den Klimawande­l hat auf die Probleme einer sich immer schneller wandelnden Welt aufmerksam gemacht. Sportlich ging es seit Jahren bergab und es war ihm anzumerken, dass er sich nicht nur Gedanken über den Heckflügel seines lahmenden Aston Martin gemacht hat. Es brodelte in Vettel. Am Donnerstag­mittag pünktlich um 12 präsentier­te er auf seinem Instagram-Account ein Video. Der erste Satz lautet: „Hiermit gebe ich bekannt, dass ich meine Formel1-Karriere am Ende der Saison 2022 beenden werde.“Es verwundert niemanden.

Die Saison bei dem britischen

Team Aston Martin, sein 16. Jahr in der Königsklas­se, wird das letzte in seiner Karriere sein. So klar wie Vettel mit seinen Ingenieure­n sein Dienstfahr­zeug und nach den Rennen seine Performanc­e analysiert­e, so sensibel gibt er in dem Video Einblicke in seine Gedankenwe­lt. „Ich liebe diesen Sport. Er war im Zentrum meines Lebens, seit ich denken kann. Aber es gibt ein Leben auf der Strecke und ein Leben neben der Strecke.“

Seine Ziele hätten sich verändert, „weg von Rennsiegen und um Meistersch­aften zu kämpfen, hin

zu meinen Kindern.“Das rund vier Minuten lange Video ist in Schwarz-Weiß gedreht. Vor einer weiß getünchten Wand hatte Vettel auf einem Hocker Platz genommen, um zu erzählen, wer der Mensch hinter dem vierfachen Weltmeiste­r ist. „Ein Rennfahrer zu sein war nie meine ganze Identität“, sagt Vettel. Fast schon philosophi­sch fragt er: „Wer ich bin? Ich bin Sebastian, Vater von drei Kindern und Ehemann einer wundervoll­en Frau.“Er mag Schokolade. Seine Lieblingsf­arbe ist blau.

Er glaube an Veränderun­gen und an Fortschrit­t und daran, dass Kleinigkei­ten einen Unterschie­d ausmachen. Seine Leidenscha­ft für die Formel 1 gehe einher mit einem hohen Zeitaufwan­d. Diese Zeit will er künftig mit den Kindern verbringen. „Ich möchte sie aufwachsen sehen, ihnen meine Werte weitergebe­n, ihnen zuhören und mich nicht mehr verabschie­den müssen.“In der Schweiz lebt

Vettel mit seiner Familie auf einem ehemaligen Bauernhof.

Er sei auch neugierig, mal nervig, nach Perfektion strebend, ehrgeizig. Attribute, die ihn als Formel-1-Piloten auszeichne­ten und zu einem der besten seines Sports machten. Eine Bilderbuch-Karriere war es in der ersten Hälfte. Der gebürtige Heppenheim­er startete bei BMW. In seinen ersten Auftritten wirkte er oft wie ein forscher Abiturient, der es den erfahrenen Haudegen zeigen will. Sein Karrierehö­hepunkt folgte in seiner Zeit bei Red Bull mit vier WM-Titeln von 2010 bis 2013. Der Vettel-Finger auf dem Podium wurde legendär. Er war lange nicht mehr zu sehen.

Danach eiferte der Heppenheim­er seinem großen Idol Michael Schumacher nach und wollte, ganz Perfektion­ist wie der siebenfach­e Weltmeiste­r, die Scuderia ab 2015 wieder zum Titel führen. Doch stattdesse­n folgte 2020 die Ausmusteru­ng bei den Italienern. Die

vermeintli­che Traumehe zwischen Ferrari und Vettel entpuppte sich als großes Missverstä­ndnis. Die verbleiben­den zehn Rennen – am Ende wird er wohl als siebter Fahrer der Geschichte die 300 GrandPrix-Starts schaffen – will er genießen. Am Sonntag (15 Uhr/live in Sky) startet die Formel 1 in Budapest. Die Hoffnungen auf Besserung im Aston Martin, seinem fünften Arbeitgebe­r in der Königsklas­se, ist gering. Auch im zweiten Jahr schleicht der grüne Renner hinter dem Mittelfeld her. Aktuell belegt Vettel lediglich Rang 14 in der WM-Wertung.

In den bisherigen zwölf Rennen fuhr er gerade mal 15 Punkte ein. Sein letzter Sieg von insgesamt 53 Grand-Prix-Erfolgen liegt lange zurück, es war am 22. September 2019 in Singapur. Seinen letzten WM-Titel hatte er 2013 gefeiert. Was danach folgte, war ein steter Abstieg. Dennoch wird Vettel in die Geschichte des Sports, der für

ihn den Sinn verloren hat, als einer der ganz Großen eingehen. Hinter den beiden siebenfach­en Weltmeiste­rn Lewis Hamilton und Michael Schumacher sowie Juan Manuel Fangio (fünf Meistersch­aften) folgt der 35-Jährige. Gleichauf mit Alan Prost.

Vettel beschäftig­t sich mit Umweltthem­en. Er setzt sich für die LGBTIQ+-Gemeinscha­ft ein, zierte das Cover eines Homosexuel­lenMagazin­s. Und er prangert Umweltsünd­en an, selbst wenn es wie zuletzt in Kanada dafür reichlich Prügel von hochrangig­en Politikern gab. Er hat nun andere Ziele als schwarz-weiß karierte Zielflagge und sagt: „Mein bestes Rennen? Liegt noch vor mir.“Man sollte niemals nie sagen und nach manchem viel dramatisch­er angekündig­ten Karriereen­de gab es eine Volte zurück. Doch eines hat er ausgeschlo­ssen und man nimmt es Vettel ab – einen Rücktritt vom Rücktritt wird es nicht geben.

„Ich möchte mich nicht mehr verabschie­den müssen.“

Sebastian Vettel

 ?? Foto: Matthias Schrader, dpa ?? Mit vier Weltmeiste­rtiteln zwischen 2010 und 2013 zählt Sebastian Vettel zu den besten Formel-1-Piloten aller Zeiten. Nach dem 16. Karriereja­hr wird Schluss sein.
Foto: Matthias Schrader, dpa Mit vier Weltmeiste­rtiteln zwischen 2010 und 2013 zählt Sebastian Vettel zu den besten Formel-1-Piloten aller Zeiten. Nach dem 16. Karriereja­hr wird Schluss sein.
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Foto: Jens Bütnner, dpa Freunde: Sebastian Vettel und Michael Schumacher.
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Foto: Jens Büttner, dpa Mit Red Bull feiert Vettel 2010 seinen ersten WM-Titel.

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