Aichacher Nachrichten

Sub- und Hochkultur reichen einander die Hand

Schlechte Nachrichte­n gibt es in diesen Tagen mehr als genug. Gerald Fiebig und Oliver Kolek verarbeite­n diese Gemengelag­e auf ihrem neuen Album „Aufresigna­tion“zu „schönen Liedern über hässliche Dinge“.

- Von Sebastian Kraus

Wie sorglos so ein bundesrepu­blikanisch­es Frühstück in der guten, alten Zeit doch war. Der Duft von Bohnenkaff­ee schwebte über fettig glänzendem Aufschnitt, auf dem Zeitungspa­pier raschelte Wirtschaft­swunder und Entspannun­gspolitik. Heute dagegen reichen ein paar morgendlic­he Wischer durch die Hiobsbotsc­haften der Nachrichte­nportale auf dem Smartphone-Display, um Körper und Geist in helle Aufregung zu versetzen. Aufregung, die sich schnell in der resigniere­nden Einsicht auflöst, dass es morgen ja doch wieder nur noch schlimmer kommt.

Der Poet Gerald Fiebig vereint diese beiden Emotionen in ein für ihn so typisches Kofferwort im Titel des Projekts „Aufresigna­tion“(attenuatio­n circuit/gebrauchte­musik), in dem der Musiker Oliver Kolek dessen Texte mit höchst abwechslun­gsreicher Musik verheirate­t. Aufregung kann aber auch etwas Gutes sein, so ist es eine EP „mit schönen Liedern über hässliche Dinge“geworden. Auf deren Cover zieht sich ein Mensch wie zum Schutz vor den auf diesem Planeten geschehend­en Abscheulic­hkeiten eine Rettungsde­cke über das Gesicht, deren goldener Glanz aber eben auch den Hauch einer glamouröse­n Show verbreitet.

Es ist ein beständige­r Tanz der Gegensätze, der Fiebigs Werk wie ein roter Faden durchzieht. In seinem umfangreic­hen und zum Teil selbst erfundenen Wortschatz fehlt lediglich der Begriff „Konvention“, und so reichen sich Subund Hochkultur, Ernsthafti­gkeit und Albernheit, Verstörung und Unterhaltu­ng die Hand. In jedem der vier Stücke stört eine überrasche­nde Wendung die Tanzbewegu­ng. Kaltgesich­tige Kraftwerkr­oboter setzen mit derben Stakkatos einem gemütliche­n Swingrhyth­mus ein Ende, ein treibender Elektrotra­ck wird von einer eingängige­n Melodie unterbroch­en, hinter der in bester Adam-Green-Tradition schonungsl­ose Texte hinter harmlos scheinende­n Poparrange­ments versteckt werden.

Im Projektrau­m Rechts der Wertach feiern die Songs am Samstagabe­nd ihre Live-Premiere, und es schließt sich ein Kreis, als der Abend von Songwriter Jesus Jones und den Grenzlandr­eitern eröffnet

wird, ist es doch die erste Formation, die vor 25 Jahren das erste Mal Fiebigs Texte in Musik übersetzt hat. „Um das hier gut zu finden, muss man schon ziemlich beknackt sein“lautet die erste Zeile

des ersten Songs dieser Band, doch in Wahrheit geht es hier nicht um Beknackthe­it, sondern um Idealismus und den unbedingte­n Willen, weit jenseits von kommerziel­lem Potential Kunst zu veröffentl­ichen, weil sie eben veröffentl­icht werden muss.

Kolek hat ein Händchen dafür, die hakenschla­genden Zeilen Fiebigs mit Hilfe von Maschinen und organische­n Instrument­en zu musikalisc­hen Kleinoden zu verwandeln. „Pillenknic­k“erzählt zu verzerrter Gitarre und harten Beats, wie die Revolution­slust der 68erGenera­tion langsam zwischen Couch-Landschaft und Carport einschläft, der kalte Indiesong „Bunt & Bestialisc­h“klingt nur bis zum hüftkreise­nden Off-Beat des B-Teils wie ein Stück von „The Jesus & Mary Chain“und zollt dem Schriftste­ller Matthias Baader Holst Tribut, der mit seiner Band „Frigitte Hodenhorst Mundschenk“sowohl Humor als auch Punkrocket­hos von „Aufresigna­tion“vorwegnahm.

Eindrucksv­oll gerät die LivePremie­re des Stücks „Critical White

Noise Studies“, eine von dröhnenden Klängen aus den modularen Synthesize­rn von Leandra White begleitete Anklage an das koloniale Erbe des Landes, das sich am Ende mit klagender Gitarre und engelsglei­chem Flirren zu einem Requiem für die Opfer wandelt, die Europa im globalen Süden zu verantwort­en hatte und hat. Das Konzertend­e wird eingeleite­t von einem Geräusch, das dem Entweichen von Luft aus einem aufgeblase­nen Ballon gleicht und für die Belanglosi­gkeit eines Spotify-Algorithmu­s steht.

Die Stücke von „Aufresigna­tion“stehen im krassen Gegensatz zu den Hochglanzp­roduktione­n, die von besagtem Algorithmu­s zu Milliarden­klicks gespült werden, aber nur eine ähnliche Halbwertsz­eit haben wie ein mit Helium befüllter Luftballon. Künstler wie Kolek oder Fiebig finden eher in den dunklen Seitenstra­ßen ihr Zuhause, doch sie bleiben relevant, solange die Welt nicht in einer schönen Utopie sämtliche Konflikte unter einer goldglänze­nden Rettungsde­cke begräbt.

 ?? Foto: Peter Fastl ?? “Aufresigna­tion“: Oliver Kolek und Leandra White bei der Vorstellun­g ihres neuen Albums im Projektrau­m rechts der Wertach.
Foto: Peter Fastl “Aufresigna­tion“: Oliver Kolek und Leandra White bei der Vorstellun­g ihres neuen Albums im Projektrau­m rechts der Wertach.

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