Sub- und Hochkultur reichen einander die Hand
Schlechte Nachrichten gibt es in diesen Tagen mehr als genug. Gerald Fiebig und Oliver Kolek verarbeiten diese Gemengelage auf ihrem neuen Album „Aufresignation“zu „schönen Liedern über hässliche Dinge“.
Wie sorglos so ein bundesrepublikanisches Frühstück in der guten, alten Zeit doch war. Der Duft von Bohnenkaffee schwebte über fettig glänzendem Aufschnitt, auf dem Zeitungspapier raschelte Wirtschaftswunder und Entspannungspolitik. Heute dagegen reichen ein paar morgendliche Wischer durch die Hiobsbotschaften der Nachrichtenportale auf dem Smartphone-Display, um Körper und Geist in helle Aufregung zu versetzen. Aufregung, die sich schnell in der resignierenden Einsicht auflöst, dass es morgen ja doch wieder nur noch schlimmer kommt.
Der Poet Gerald Fiebig vereint diese beiden Emotionen in ein für ihn so typisches Kofferwort im Titel des Projekts „Aufresignation“(attenuation circuit/gebrauchtemusik), in dem der Musiker Oliver Kolek dessen Texte mit höchst abwechslungsreicher Musik verheiratet. Aufregung kann aber auch etwas Gutes sein, so ist es eine EP „mit schönen Liedern über hässliche Dinge“geworden. Auf deren Cover zieht sich ein Mensch wie zum Schutz vor den auf diesem Planeten geschehenden Abscheulichkeiten eine Rettungsdecke über das Gesicht, deren goldener Glanz aber eben auch den Hauch einer glamourösen Show verbreitet.
Es ist ein beständiger Tanz der Gegensätze, der Fiebigs Werk wie ein roter Faden durchzieht. In seinem umfangreichen und zum Teil selbst erfundenen Wortschatz fehlt lediglich der Begriff „Konvention“, und so reichen sich Subund Hochkultur, Ernsthaftigkeit und Albernheit, Verstörung und Unterhaltung die Hand. In jedem der vier Stücke stört eine überraschende Wendung die Tanzbewegung. Kaltgesichtige Kraftwerkroboter setzen mit derben Stakkatos einem gemütlichen Swingrhythmus ein Ende, ein treibender Elektrotrack wird von einer eingängigen Melodie unterbrochen, hinter der in bester Adam-Green-Tradition schonungslose Texte hinter harmlos scheinenden Poparrangements versteckt werden.
Im Projektraum Rechts der Wertach feiern die Songs am Samstagabend ihre Live-Premiere, und es schließt sich ein Kreis, als der Abend von Songwriter Jesus Jones und den Grenzlandreitern eröffnet
wird, ist es doch die erste Formation, die vor 25 Jahren das erste Mal Fiebigs Texte in Musik übersetzt hat. „Um das hier gut zu finden, muss man schon ziemlich beknackt sein“lautet die erste Zeile
des ersten Songs dieser Band, doch in Wahrheit geht es hier nicht um Beknacktheit, sondern um Idealismus und den unbedingten Willen, weit jenseits von kommerziellem Potential Kunst zu veröffentlichen, weil sie eben veröffentlicht werden muss.
Kolek hat ein Händchen dafür, die hakenschlagenden Zeilen Fiebigs mit Hilfe von Maschinen und organischen Instrumenten zu musikalischen Kleinoden zu verwandeln. „Pillenknick“erzählt zu verzerrter Gitarre und harten Beats, wie die Revolutionslust der 68erGeneration langsam zwischen Couch-Landschaft und Carport einschläft, der kalte Indiesong „Bunt & Bestialisch“klingt nur bis zum hüftkreisenden Off-Beat des B-Teils wie ein Stück von „The Jesus & Mary Chain“und zollt dem Schriftsteller Matthias Baader Holst Tribut, der mit seiner Band „Frigitte Hodenhorst Mundschenk“sowohl Humor als auch Punkrockethos von „Aufresignation“vorwegnahm.
Eindrucksvoll gerät die LivePremiere des Stücks „Critical White
Noise Studies“, eine von dröhnenden Klängen aus den modularen Synthesizern von Leandra White begleitete Anklage an das koloniale Erbe des Landes, das sich am Ende mit klagender Gitarre und engelsgleichem Flirren zu einem Requiem für die Opfer wandelt, die Europa im globalen Süden zu verantworten hatte und hat. Das Konzertende wird eingeleitet von einem Geräusch, das dem Entweichen von Luft aus einem aufgeblasenen Ballon gleicht und für die Belanglosigkeit eines Spotify-Algorithmus steht.
Die Stücke von „Aufresignation“stehen im krassen Gegensatz zu den Hochglanzproduktionen, die von besagtem Algorithmus zu Milliardenklicks gespült werden, aber nur eine ähnliche Halbwertszeit haben wie ein mit Helium befüllter Luftballon. Künstler wie Kolek oder Fiebig finden eher in den dunklen Seitenstraßen ihr Zuhause, doch sie bleiben relevant, solange die Welt nicht in einer schönen Utopie sämtliche Konflikte unter einer goldglänzenden Rettungsdecke begräbt.