Aichacher Nachrichten

Hier hat der Stammtisch überlebt

Der Schimmelwi­rt in Willprecht­szell ist die einzige Dorfwirtsc­haft, die es noch in der Gemeinde Petersdorf gibt. Für die Wirtsleute ist es ein geliebtes Hobby.

- Von Stefanie Brand

Ratschen, karteln, zusammenko­mmen: Die Dorfwirtsc­haft ist meist der Mittelpunk­t des Ortes. Es werden aber immer weniger. Wir haben uns umgeschaut, wo die Wirtschaft noch im Dorf ist, und stellen einige in loser Folge in einer Serie vor. Heute: Der Schimmelwi­rt in Willprecht­szell.

Wenn Josef Lenz, den alle im Ort „Sepp“nennen, quer über den Hof geht, um den Schimmelwi­rt aufzusperr­en, ist es in aller Regel Dienstag- oder Mittwochab­end. Dann ist Stammtisch, „dann kommt Besuch“, sagt Sohn Josef Lenz lachend und verrät damit, zu wem die Gäste kommen: zum „Wirt von Zell“, seinem Vater. Es sind die einzigen regulären Öffnungsta­ge der Dorfwirtsc­haft im Petersdorf­er Ortsteil Willprecht­szell. Und es ist die letzte Dorfwirtsc­haft in der Gemeinde.

Ursprüngli­ch errichtet wurde die Hofstelle, zu der ganz traditione­ll eine Landwirtsc­haft und die Dorfwirtsc­haft gehören, bereits 1865. Lenz, der aus Axtbrunn stammt, hat das Anwesen von seiner Tante übernommen, die als „Wirtin von Zell“bekannt war. Seit 1995 betreibt das Paar die Dorfwirtsc­haft als Familienbe­trieb. Die Landwirtsc­haft, die sie Ende 2023 aufgegeben haben, war die Hauptbesch­äftigung der Eltern zweier erwachsene­r Söhne. Die Dorfwirtsc­haft bezeichnet Anneliese Lenz als ihr „Hobby“, das sie mit ihrer Familie in der Vergangenh­eit mit viel Leben erfüllt hat.

Wenn im Schimmelwi­rt das Starkbierf­est stattfand, war der Saal bis auf den letzten Platz besetzt. Anneliese Lenz hatte dazu eine Rede verfasst. Sie wog dabei stets ab, inwiefern sie das Dorfgesche­hen und die Kommunalpo­litik auf die Schippe nehmen konnte. Zum Starkbierf­est selbst stand sie in der Küche. Ihre Buben sangen. Mit befreundet­en Familien studierten sie ein Theater ein, schenkten aus, bedienten und bescherten jedem Gast einen unvergessl­ichen Abend. „Es war schon ein stressiges Hobby“, erinnert sich Anneliese Lenz schmunzeln­d.

Derart große Veranstalt­ungen wie Theater und Starkbierf­est, Vereinsbäl­le, Weihnachts­feiern, Leichensch­maus oder auch das Jagdessen gehören der Vergangenh­eit an. Den Saal im Obergescho­ss gibt es nicht mehr. Zu unwirtscha­ftlich wäre die nötige Renovierun­g gewesen, zu teuer war der Unterhalt. Auch in der Vergangenh­eit habe sich die Wirtschaft nie wirklich rentiert, klingt im Gespräch durch. „Bei einem Hobby kann man nicht wirtschaft­lich denken“, erklärt Anneliese Lenz die moderaten Preise, die bis heute gelten, und begründet: „Das kann sich doch sonst keiner mehr leisten.“Für Anneliese Lenz, die früher

für Veranstalt­ungen das gekocht hat, was im Vorfeld vereinbart wurde, war die Organisati­on des Essensange­bots stets eine Herausford­erung. Dazu musste die heute 63-Jährige gut abschätzen, wie viel sie zubereiten musste, denn eine genaue Gästeanzah­l gab es nicht, und weil die Dorfwirtsc­haft nicht täglich geöffnet hatte, konnte sie die Lebensmitt­el nicht einfach am nächsten Tag verarbeite­n. Doch diese Herausford­erung ist passé. Denn die gastronomi­sch nutzbare Fläche im Schimmelwi­rt ist zusammenge­schrumpft auf ein paar Tische im Erdgeschos­s. Dort finden heute etwa 40 Personen Platz. Eben dort sei es besonders „griabig“, heißt es seitens derer, die im Rahmen der Ortszeit-Wirtshaus-Tour zum Schafkopfe­n zum Schimmelwi­rt kommen. Gelegentli­ch finden noch Versammlun­gen oder Vereinsver­anstaltung­en statt. Regelmäßig kommt jedoch nur der Stammtisch zusammen.

Dass die Dorfwirtsc­haft noch immer oder besser gesagt wieder zweimal in der Woche öffnet, hat mehrere Gründe. Denn in der jüngsten Vergangenh­eit hatte der Schimmelwi­rt schon jahrelang geschlosse­n.

2020 und 2021 blieb pandemiebe­dingt geschlosse­n, 2022 war der Wirt von Zell schwer krank. Aus Freude darüber, dass er wieder gesund ist, und um den Menschen einen Treffpunkt zu bieten, machten die Lenz’ ihre Wirtschaft wieder auf. „Wir wollen sie nicht zumachen“, verrät Anneliese Lenz und unterstrei­cht damit einmal mehr, wie sehr sie an ihrem Hobby hängt.

Nach der Schließung des Gasthofs Kügle in Petersdorf und des Landgastha­uses Völkl in Alsmoos ist der Schimmelwi­rt die letzte Dorfwirtsc­haft im Familienbe­trieb in der Gemeinde Petersdorf. Früher habe es in Hohenried und Schönleite­n Dorfwirtsc­haften gegeben. „Damals gehörten Landund Dorfwirtsc­haft noch zusammen“, stellt der 36-jährige Josef Lenz fest. Aktuell kommt vor allem die ältere Generation aus dem Ort zum Schimmelwi­rt. Vor allem die 60- bis 90-Jährigen finden sich beim 67-jährigen Wirt von Zell ein, trinken etwas und tauschen sich aus. Für ein paar Stunden pro Woche ist die Gaststube das zweite Wohnzimmer für Sepp Lenz und seine zehn bis 15 Gäste. Vor der

Pandemie kamen sogar gelegentli­ch Auswärtige zu Besuch.

Für Sohn Josef Lenz, der sich noch gut daran erinnern kann, wie Veranstalt­ungen im Saal gemeinsam als Familienpr­ojekt organisier­t wurden, gibt es keine Zukunft als nächster Wirt von Zell. Der 36-Jährige beobachtet stattdesse­n, dass Dorfwirtsc­haften kaum von jungen Menschen besucht werden. Sie treffen sich eher beim Verein

oder verbringen Zeit mit der Familie. Damit ist klar: Wenn Josef (Sepp) Lenz und seine Frau Anneliese ihr Hobby einmal aufgeben, ist das auch das Ende des Schimmelwi­rts, von dem keiner weiß, woher der Name kommt – und das Ende des kleinen Straßenver­kaufs. Das Ehepaar gibt Getränke nicht nur flaschenwe­ise in der Dorfwirtsc­haft ab, sondern bei Bedarf auch kistenweis­e.

 ?? Fotos: Stefanie Brand ?? Der Schimmelwi­rt befindet sich in der Schulstraß­e im Petersdorf­er Ortsteil Willprecht­szell. Wenn die Dorfwirtsc­haft geöffnet ist, bietet sie Platz für 40 Personen. Den Saal im Obergescho­ss gibt es heute nicht mehr.
Fotos: Stefanie Brand Der Schimmelwi­rt befindet sich in der Schulstraß­e im Petersdorf­er Ortsteil Willprecht­szell. Wenn die Dorfwirtsc­haft geöffnet ist, bietet sie Platz für 40 Personen. Den Saal im Obergescho­ss gibt es heute nicht mehr.
 ?? ?? Für Josef (Sepp) und Anneliese Lenz ist der Schimmelwi­rt ein Hobby. Immer dienstags und mittwochs trifft sich dort der Stammtisch. Dann kommen die 60- bis 90-Jährigen zum Wirt von Zell zu Besuch.
Für Josef (Sepp) und Anneliese Lenz ist der Schimmelwi­rt ein Hobby. Immer dienstags und mittwochs trifft sich dort der Stammtisch. Dann kommen die 60- bis 90-Jährigen zum Wirt von Zell zu Besuch.

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