Hier hat der Stammtisch überlebt
Der Schimmelwirt in Willprechtszell ist die einzige Dorfwirtschaft, die es noch in der Gemeinde Petersdorf gibt. Für die Wirtsleute ist es ein geliebtes Hobby.
Ratschen, karteln, zusammenkommen: Die Dorfwirtschaft ist meist der Mittelpunkt des Ortes. Es werden aber immer weniger. Wir haben uns umgeschaut, wo die Wirtschaft noch im Dorf ist, und stellen einige in loser Folge in einer Serie vor. Heute: Der Schimmelwirt in Willprechtszell.
Wenn Josef Lenz, den alle im Ort „Sepp“nennen, quer über den Hof geht, um den Schimmelwirt aufzusperren, ist es in aller Regel Dienstag- oder Mittwochabend. Dann ist Stammtisch, „dann kommt Besuch“, sagt Sohn Josef Lenz lachend und verrät damit, zu wem die Gäste kommen: zum „Wirt von Zell“, seinem Vater. Es sind die einzigen regulären Öffnungstage der Dorfwirtschaft im Petersdorfer Ortsteil Willprechtszell. Und es ist die letzte Dorfwirtschaft in der Gemeinde.
Ursprünglich errichtet wurde die Hofstelle, zu der ganz traditionell eine Landwirtschaft und die Dorfwirtschaft gehören, bereits 1865. Lenz, der aus Axtbrunn stammt, hat das Anwesen von seiner Tante übernommen, die als „Wirtin von Zell“bekannt war. Seit 1995 betreibt das Paar die Dorfwirtschaft als Familienbetrieb. Die Landwirtschaft, die sie Ende 2023 aufgegeben haben, war die Hauptbeschäftigung der Eltern zweier erwachsener Söhne. Die Dorfwirtschaft bezeichnet Anneliese Lenz als ihr „Hobby“, das sie mit ihrer Familie in der Vergangenheit mit viel Leben erfüllt hat.
Wenn im Schimmelwirt das Starkbierfest stattfand, war der Saal bis auf den letzten Platz besetzt. Anneliese Lenz hatte dazu eine Rede verfasst. Sie wog dabei stets ab, inwiefern sie das Dorfgeschehen und die Kommunalpolitik auf die Schippe nehmen konnte. Zum Starkbierfest selbst stand sie in der Küche. Ihre Buben sangen. Mit befreundeten Familien studierten sie ein Theater ein, schenkten aus, bedienten und bescherten jedem Gast einen unvergesslichen Abend. „Es war schon ein stressiges Hobby“, erinnert sich Anneliese Lenz schmunzelnd.
Derart große Veranstaltungen wie Theater und Starkbierfest, Vereinsbälle, Weihnachtsfeiern, Leichenschmaus oder auch das Jagdessen gehören der Vergangenheit an. Den Saal im Obergeschoss gibt es nicht mehr. Zu unwirtschaftlich wäre die nötige Renovierung gewesen, zu teuer war der Unterhalt. Auch in der Vergangenheit habe sich die Wirtschaft nie wirklich rentiert, klingt im Gespräch durch. „Bei einem Hobby kann man nicht wirtschaftlich denken“, erklärt Anneliese Lenz die moderaten Preise, die bis heute gelten, und begründet: „Das kann sich doch sonst keiner mehr leisten.“Für Anneliese Lenz, die früher
für Veranstaltungen das gekocht hat, was im Vorfeld vereinbart wurde, war die Organisation des Essensangebots stets eine Herausforderung. Dazu musste die heute 63-Jährige gut abschätzen, wie viel sie zubereiten musste, denn eine genaue Gästeanzahl gab es nicht, und weil die Dorfwirtschaft nicht täglich geöffnet hatte, konnte sie die Lebensmittel nicht einfach am nächsten Tag verarbeiten. Doch diese Herausforderung ist passé. Denn die gastronomisch nutzbare Fläche im Schimmelwirt ist zusammengeschrumpft auf ein paar Tische im Erdgeschoss. Dort finden heute etwa 40 Personen Platz. Eben dort sei es besonders „griabig“, heißt es seitens derer, die im Rahmen der Ortszeit-Wirtshaus-Tour zum Schafkopfen zum Schimmelwirt kommen. Gelegentlich finden noch Versammlungen oder Vereinsveranstaltungen statt. Regelmäßig kommt jedoch nur der Stammtisch zusammen.
Dass die Dorfwirtschaft noch immer oder besser gesagt wieder zweimal in der Woche öffnet, hat mehrere Gründe. Denn in der jüngsten Vergangenheit hatte der Schimmelwirt schon jahrelang geschlossen.
2020 und 2021 blieb pandemiebedingt geschlossen, 2022 war der Wirt von Zell schwer krank. Aus Freude darüber, dass er wieder gesund ist, und um den Menschen einen Treffpunkt zu bieten, machten die Lenz’ ihre Wirtschaft wieder auf. „Wir wollen sie nicht zumachen“, verrät Anneliese Lenz und unterstreicht damit einmal mehr, wie sehr sie an ihrem Hobby hängt.
Nach der Schließung des Gasthofs Kügle in Petersdorf und des Landgasthauses Völkl in Alsmoos ist der Schimmelwirt die letzte Dorfwirtschaft im Familienbetrieb in der Gemeinde Petersdorf. Früher habe es in Hohenried und Schönleiten Dorfwirtschaften gegeben. „Damals gehörten Landund Dorfwirtschaft noch zusammen“, stellt der 36-jährige Josef Lenz fest. Aktuell kommt vor allem die ältere Generation aus dem Ort zum Schimmelwirt. Vor allem die 60- bis 90-Jährigen finden sich beim 67-jährigen Wirt von Zell ein, trinken etwas und tauschen sich aus. Für ein paar Stunden pro Woche ist die Gaststube das zweite Wohnzimmer für Sepp Lenz und seine zehn bis 15 Gäste. Vor der
Pandemie kamen sogar gelegentlich Auswärtige zu Besuch.
Für Sohn Josef Lenz, der sich noch gut daran erinnern kann, wie Veranstaltungen im Saal gemeinsam als Familienprojekt organisiert wurden, gibt es keine Zukunft als nächster Wirt von Zell. Der 36-Jährige beobachtet stattdessen, dass Dorfwirtschaften kaum von jungen Menschen besucht werden. Sie treffen sich eher beim Verein
oder verbringen Zeit mit der Familie. Damit ist klar: Wenn Josef (Sepp) Lenz und seine Frau Anneliese ihr Hobby einmal aufgeben, ist das auch das Ende des Schimmelwirts, von dem keiner weiß, woher der Name kommt – und das Ende des kleinen Straßenverkaufs. Das Ehepaar gibt Getränke nicht nur flaschenweise in der Dorfwirtschaft ab, sondern bei Bedarf auch kistenweise.