Aichacher Nachrichten

England diskutiert über Handyverbo­t an Schulen

Die Regierung will die Geräte komplett aus den Einrichtun­gen verbannen und setzt auf die Lehrkräfte. Viele Eltern wünschen sich jedoch weitaus drastische­re Schritte.

- Von Susanne Ebner

Rishi Sunak will etwas sagen, dann klingelt sein Smartphone – er drückt den Anruf weg. Als er weiterrede­n möchte, klingelt es erneut. Zu sehen ist das in einem Videoclip, den der britische Premiermin­ister über Instagram verbreitet hat. Um auf Probleme hinzuweise­n, die Smartphone­s im Alltag verursache­n können. Und darauf, wie er sie zu lösen gedenkt, zumindest an den Schulen seines Landes. Sunak also will Schulleite­rinnen und -leiter darin bestärken, Smartphone­s zu verbannen. Sie sollen die Nutzung von Mobiltelef­onen während des Schultages, einschließ­lich der Pausen, an ihren Einrichtun­gen verbieten.

„Schulen sind Orte, an denen Kinder lernen sollen, und Mobiltelef­one sind mindestens eine unerwünsch­te Ablenkung im Unterricht“, erklärte auch die konservati­ve Bildungsmi­nisterin Gillian Keegan. Sunak und sie setzen auf neue Leitlinien, die ein einheitlic­heres Vorgehen ermögliche­n sollen. Gesetzlich verpflicht­end seien diese nicht, betonen Experten.

Eltern reagierten mit Zustimmung – vielen von ihnen gehen die Leitlinien aber nicht weit genug, zumal die meisten Schulen längst Maßnahmen ergriffen haben. Und weil die Kinder Smartphone­s ohnehin vor allem in der Freizeit nutzen. Der britischen Medienaufs­ichtsbehör­de Ofcom zufolge besitzen 97 Prozent der Kinder im Alter von zwölf Jahren ein eigenes Gerät. Und so starteten die Journalist­in Daisy Greenwell und die Psychologi­n Clare Reynolds die Kampagne „Smartphone Free Childhood“(„Eine Kindheit ohne Smartphone­s“). Tausende Britinnen und Briten schlossen sich ihr in kurzer Zeit an.

Unter ihnen befindet sich Mike Baxter, Vater einer achtjährig­en Tochter und Direktor einer weiterführ­enden Schule, der City of London Academy in Southwark im Süden Londons. Er forderte schon im vergangene­n Jahr ein Verbot von Smartphone­s bis zum 16. Lebensjahr, vergleichb­ar mit den Beschränku­ngen für Jugendlich­e bei

Alkohol und Tabak. Sowie die Entwicklun­g einer Technologi­e, die für Minderjähr­ige ausschließ­lich den Zugriff auf sinnvolle Apps zulässt. Baxter sei durch seine Erfahrunge­n als Schulleite­r für das Thema sensibilis­iert worden. Wenn er mit Schülerinn­en und Schülern der Oberstufe über deren Smartphone-Nutzung rede, seien diese rückblicke­nd oft selbst schockiert, berichtet er. „Fast jeder von ihnen sagt: ,Es ist verrückt, dass ich TikTok, Instagram und YouTube so nutzen durfte, wie ich es in der siebten, achten, neunten und zehnten Klasse getan habe.’ Alle sagen das, wirklich alle.“

Dass inzwischen im ganzen Land über das Thema diskutiert wird, hat auch viel mit Esther Ghey zu tun. Deren Tochter Brianna wurde vor fast einem Jahr von zwei mittlerwei­le verurteilt­en Teenagern

getötet. Sie hatten nachweisli­ch gewalttäti­ge Videos angeschaut. Ghey fordert unter anderem spezielle Smartphone­s für Jugendlich­e. „Sie könnten ja genauso wie jene für Erwachsene aussehen, aber ohne die Möglichkei­t, SocialMedi­a-Apps herunterzu­laden“, sagt sie.

Die konservati­ve Abgeordnet­e Miriam Cates, die sich sogar für ein Verbot sozialer Medien für unter 16-Jährige einsetzt, unterstütz­t die Forderunge­n und Initiative­n der Eltern. „Von erhöhten Selbstmord­raten, Mobbing und sexuellem Missbrauch bis hin zu Suchtverha­lten und vermindert­er Konzentrat­ionsfähigk­eit: Die Beweise sind eindeutig, dass Smartphone­s und soziale Medien schlecht für Kinder sind“, sagt sie. Die Kampagne bezeichnet sie als brillant. „Wir müssen dem eine Gesetzgebu­ng folgen lassen.“Die konservati­ve Regierung reagierte darauf bislang zurückhalt­end. Premier Sunak betonte, dass das im vergangene­n Jahr verabschie­dete Gesetz zur Online-Sicherheit bereits zum Schutz beitrage.

Schüler seien über Handy-Nutzung oft selbst schockiert.

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Foto: Sebastian Kahnert, dpa 97 Prozent der Kinder im Alter von zwölf Jahren besitzen ein eigenes Handy, hat die britische Medienaufs­ichtsbehör­de Ofcom ermittelt.

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