Josef Winter und sein „geschenktes Leben“
2012 beginnt die Leidensgeschichte eines dreifachen Vaters aus Anwalting: Josef Winters Lunge baut immer mehr ab. Nur eine Organspende kann noch helfen.
Landkreis Aichach-Friedberg Die Rettung kommt gerade noch rechtzeitig. Heute vor genau einem Jahr, am 9. März 2023, bekommt Josef Winter aus dem Affing Ortsteil Anwalting durch eine Spenderlunge eine zweite Chance auf Leben. Der dreifache Vater hat bis zu diesem Tag eine elfjährige, schmerzvolle Odyssee hinter sich. Er weiß, dass es knapp war: „Ich hätte nur noch wenige Wochen gehabt.“
Seine Leidensgeschichte beginnt ganz plötzlich eines Nachts im Sommer 2012. Josef Winter schreckt im Bett mit Schmerzen in der Brust und Atemnot auf. Der erste Verdacht auf einen Herzinfarkt bestätigt sich im Krankenhaus nicht. Eine Ursache wird allerdings nicht gefunden.
Auch in den nächsten Monaten und Jahren kann keine ursächliche Diagnose gestellt werden. Die Symptome jedoch bleiben. Schweres Atmen nach jeder noch so kleinen Anstrengung und ungewollter Gewichtsverlust. Bald kann Winter nicht mehr in seinem Beruf als Schreiner arbeiten. Er und seine Frau Anita lassen nichts unversucht, der Ursache auf die Spur zu kommen. Ihre Wege führen sie in die Uniklinik nach Augsburg, zum Lungenfacharzt, in die Lungenfachklinik Gauting bis nach Großhadern (München). Blutbild, Gewebeentnahme aus der Lunge (Biopsie), verschiedenste Tests auf Pilze, unbekannte Allergien und Schadstoffe aus seiner Arbeit als Schreiner oder seiner Kindheit auf einem landwirtschaftlichen Hof – alles erfolglos. Es lässt sich keine Begründung für den schlechten Zustand der Lunge finden.
Die Erkrankung des Vaters prägt das Familienleben. Als der Vater erkrankt, ist der Jüngste, Florian, gerade ein halbes Jahr alt, die Töchter Sara, 4, und Lea, 7, sind ebenfalls noch recht klein. Mutter Anita Winter, heute 50, erinnert sich: „Die Kinder waren es von klein auf gewöhnt, dass ich viel mit ihnen alleine gemacht habe, weil Papa krank war.“
Durch eine Rehabilitationsmaßnahme 2014 gelingt es zumindest, die Lungenkapazität bei 50 Prozent zu stabilisieren. Deshalb kann der Familienvater wieder etwas aktiver, wenn auch nur langsam und bedächtig, am Alltag mit seiner Frau und seinen Kindern teilnehmen. Auch eine Umschulung zum Bauzeichner schließt er während dieser stabilen Phase ab.
Doch im Sommer 2019 merkt Winter, dass seine Lunge wieder schlechter wird. Durch wiederkehrende Infekte und Lungenentzündungen
büßt er jedes Mal rund fünf Prozentpunkte Lungenkapazität ein. Um auf die Transplantationsliste zu kommen, geht es dem Erkrankten geringfügig zu gut, für ein normales Familienleben aber deutlich zu schlecht.
Der Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020 wird eine weitere Belastung für die Familie. Die Angst ist groß, dass sich der Vater mit Covid-19 anstecken könnte. Alle wissen um die Gefahr für die Lunge. Mit der Zeit werden nach und nach alle Familienmitglieder mindestens einmal positiv auf Covid-19 getestet. Vater Josef aber bleibt lange verschont. Als Risikopatient kann er sich früh impfen lassen.
Im Jahr 2022 geht sein Lungenvolumen trotzdem weiter rapide zurück. Sein Schlafzimmer muss ins Erdgeschoss verlegt werden, weil ihm Treppensteigen unmöglich wird. Im Herbst weist die Lunge nur noch ein Volumen von 28 Prozent auf. Im Oktober 2022 wird Josef Winter deshalb bei Eurotransplant gelistet. Er gehört jetzt zu denjenigen, die auf ein Spenderorgan warten dürfen. Das bedeutet für ihn: Er muss immer erreichbar sein und eine Kliniktasche bereithalten.
Der ersehnte Anruf kommt am 22. Dezember 2022. Zwei Tage vor Weihnachten heißt es innerhalb von wenigen Minuten, sich von der Familie zu verabschieden.
Wie bei allen chirurgischen Eingriffen bestehen auch hier Risiken auf Komplikationen während und nach der Operation. Die Familie ist entschlossen, positiv zu denken und die Spenderlunge als „Weihnachtswunder“zu betrachten. Doch wenige
Stunden später kommt die ernüchternde Botschaft: Das Spenderorgan ist nicht transplantierbar. Erneut ein herber Rückschlag.
Es ist nicht der Letzte. Josef Winter bekommt Anfang Januar 2023 doch noch Corona. Weil er mehrfach geimpft ist, hat das zwar keine negativen Auswirkungen auf seine Lunge. Dafür aber wird er so lange von der Transplantationsliste gestrichen, bis der Coronatest wieder negativ ist.
Winters Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide. Ohne Rollstuhl kann er das Haus nicht mehr verlassen.
Die Sorge seiner Frau und der drei Kinder um den Vater wächst. Besonders die heute 15-jährige mittlere Tochter Sara leidet sehr unter der Situation. Sie hat schon immer eine besonders innige Beziehung zu ihrem Vater und muss während dieser emotional anstrengenden und beängstigenden Phase psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Anita Winter sagt: „Es war eine stressige Zeit und belastend für die ganze Familie.“
Am 8. März 2023 um 22.30 Uhr klingelt das Telefon erneut. Josef Winter wird sofort abgeholt. Dieses Mal erweist sich die gespendete Lunge als tadellos. Das Organ wird am 9. März im Klinikum Großhadern in einer neunstündigen Operation in Winters Brust eingesetzt werden. Erst der eine Lungenflügel, dann der andere. Deshalb hat er nun auf jeder Seite des Brustkorbes eine lange Narbe. Nach drei Tagen im künstlichen Koma, sechs Wochen im Krankenhaus und fünf Wochen Reha kommt Josef Winter mit einer neuen Lunge und der Perspektive, seine Kinder weiter aufwachsen sehen zu können, nach Hause.
Doch was hat seine Lunge derart beschädigt, dass die Transplantation nötig geworden ist? Die Ärzte gehen heute von einer „allergisch bedingten Entzündung des Lungengewebes“aus. Der Auslöser ist allerdings weiter rätselhaft.
Die neue Lunge hat dem Anwaltinger das Leben gerettet, und er „würde es jederzeit wieder machen“. Trotz vieler Einschränkungen. Denn auch das neue Organ prägt das Leben des Familienvaters. Er muss seither über 20 Tabletten pro Tag nehmen, unter anderem Immunsuppressiva. Sie fahren das körpereigene Immunsystem herunter, damit dieses die neue Lunge nicht abstößt – die größte Gefahr nach einer Transplantation. Mehrmals pro Woche geht er zur Physiotherapie, seine Medikamenteneinnahme ist über den Tag verteilt minutiös getaktet.
Und Winter muss engmaschig überwacht werden. Jede Woche werden Werte kontrolliert, die Dosierung der Medikamente neu angepasst. Manche Tabletten greifen als Nebenwirkung die Nieren an. Es sind strenge Kontrollen nötig, damit es nicht zum Nierenversagen kommt. Wegen des unterdrückten Immunsystems ist Josef Winter anfällig für Infekte, Pilze, Viren und Bakterien. Immer wieder bringt Ehefrau Anita ihren Mann ins Krankenhaus, lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Denn die Erfahrung hat ihr gezeigt: „Wenn mein Mann etwas hat, dann immer gleich richtig.“Es muss unbedingt eine Abstoßung der Lunge verhindert werden, ebenso dass sich Infekte oder Pilze auf die Lunge legen und diese schädigen.
Auf einige Dinge muss der Anwaltinger komplett verzichten: darauf rohes Fleisch und Rohkost zu essen, Hände zu schütteln oder den Rasen zu mähen. An diesem Wochenende ist Josef Winter im Augsburger Uniklinikum in Behandlung wegen eines Keimbefalls in der Schulter. Kommende Woche geht es wieder nach Großhadern zu Routinekontrollen. „Klar gibt es Einschränkungen, aber ich kann wieder Radl fahren und rausgehen“, freut er sich. Josef Winter ist deshalb vor allem seinem Spender dankbar. Er selbst hat sich schon früh in seinem Leben als Organspender und in einer Stammzellenspenderkartei registrieren lassen und würde sich wünschen, dass sich mehr Menschen mit dem Thema Organspende auseinandersetzen. Deshalb erzählt er seine Geschichte. Josef Winter sagt: „Für mich wäre es ein Todesurteil gewesen, wenn keiner bereit gewesen wäre, seine Organe zu spenden.“So aber lebt er seit dem 9. März ein „geschenktes Leben“.
„Für mich wäre es ein Todesurteil gewesen, wenn keiner bereit gewesen wäre, seine Organe zu spenden.“
Josef Winter
Organspende: Ein Organspendeausweis kann auch online ausgefüllt und ausgedruckt oder kostenfrei bestellt werden unter www.organspende-info.de