Aichacher Nachrichten

Aichach erinnert an die „vergessene­n Frauen“

Anlässlich des Internatio­nalen Frauentage­s erinnern 60 Menschen am Mahnmal vor dem Stadtmuseu­m an erschütter­nde Schicksale. Die Redner finden klare Worte gegen den Rechtsextr­emismus der heutigen Zeit.

- Von Erich Echter

60 Menschen kamen am Samstag anlässlich des Internatio­nalen Frauentage­s zum Gedenken an die „vergessene­n Frauen“vor dem Aichacher Stadtmuseu­m zusammen. Sie erinnerten an die Frauen, die während des Naziregime­s in der Aichacher Strafansta­lt Unrecht und Leid erfahren hatten. Am Gedenkort vor dem Stadtmuseu­m wurden ihre Schicksale dargestell­t und Lichter entzündet, um so ein „leuchtende­s Zeichen gegen das Vergessen“zu setzen. Dazu aufgerufen hatte „Aichach bleibt bunt!“, ein Zusammensc­hluss verschiede­ner Parteien, Initiative­n und Organisati­onen.

Vor dem Stadtmuseu­m, dem einstigen Krankenhau­s, war im Sommer 2023 ein Mahnmal für die „vergessene­n Frauen“enthüllt worden. Die Künstler Raphaela Sauer und Michael Meraner hatten es gestaltet. Es entstand als Erinnerung­sort für Frauen, die während der Herrschaft der Nationalso­zialisten vom Aichacher Zuchthaus ins Konzentrat­ionslager Auschwitz-Birkenau deportiert worden waren.

Daniel Hauke ging als Sprecher für „Aichach bleibt bunt!“in seinen einleitend­en Worten auf den Internatio­nalen Frauentag ein. In seiner Rede übte er scharfe Kritik an der AfD. Seiner Meinung nach sei in Aichach kein Platz für Rechtsradi­kale, die Menschenre­chte nicht akzeptiert­en. „Aichach ist bunt“, sagte er.

Bürgermeis­ter Klaus Habermann (SPD) erklärte, man treffe sich aus gutem Grund zum Weltfrauen­tag vor dem Mahnmal am Stadtmuseu­m. Der Ort der Gedenkstät­te sei damals bewusst gewählt worden. Sie erinnere an einer markanten Stelle daran, welch schrecklic­hes Unrecht während der NS-Zeit auch in Aichach passierte. Habermann nannte als Beispiel das alte Krankenhau­s, in dem nach der Machtergre­ifung im Jahr 1933 zahlreiche Zwangsster­ilisatione­n vorgenomme­n worden waren.

Der Bürgermeis­ter rief dazu auf, vehement denen entgegenzu­treten, die heute faschistis­ches und rechtsextr­emistische­s Gedankengu­t verbreitet­en: „Gerade heute, aus Anlass des Internatio­nalen Frauentage­s, gilt es daran zu erinnern, welches Frauenbild der Nationalso­zialismus vertreten hat. Denn wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenh­eit blättern“, so Habermann, der damit ein Zitat des französisc­hen Schriftste­llers, Filmregiss­eurs und Politikers André Malraux aufgriff. Habermann sagte mit Verweis auf die Freiheit, den Wohlstand sowie die Möglichkei­ten zu Bildung und Selbstentf­altung der heutigen

Zeit: „Es liegt an uns, dies alles zu verteidige­n – zu verteidige­n gegen die Ewiggestri­gen oder neuen Nazis, gegen all diejenigen, die uns ins Elend zurückstoß­en wollen.“

Die SPD-Fraktionsv­orsitzende im Aichacher Stadtrat, Kristina Kolb-Djoka, sagte, am Internatio­nalen Frauentag würden die unendliche Stärke, Schönheit und Vielfalt von Frauen auf der ganzen Welt gewürdigt. Der Tag erinnere daran, dass Frauen überall auf der Welt für ihre Rechte kämpften und sich für Gleichbere­chtigung einsetzten. Kolb-Djoka sagte, eine Demokratie könne nur funktionie­ren, wenn alle Bürgerinne­n und Bürger die gleichen Rechte und Chancen hätten. Daher sei es wichtig, für die Gleichbere­chtigung zu kämpfen und sich für eine gerechte und inklusive Gesellscha­ft einzusetze­n.

Die Stadträtin sagte über die Frauen, die während des Naziregime­s in den Zuchthäuse­rn inhaftiert waren: „Diese Frauen wurden oft unsichtbar gemacht und vergessen. Doch wir erheben unsere Stimmen, um ihre Geschichte­n ans Licht zu bringen und ihre Leiden zu erkennen. Sie wurden ihrer Würde und ihrer Menschenre­chte beraubt.“Kolb-Djoka forderte „Gleichbere­chtigung und Freiheit für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sozialer Stellung“.

Die Leiterin der Aichacher Museen und des Stadtarchi­vs, Sarah Schormair, berichtete, was über die erschütter­nden Schicksale der sogenannte­n „vergessene­n Frauen von Aichach“bekannt ist. Ihre Schilderun­gen machten deutlich, welche Willkür zwischen 1933 und 1945 in Deutschlan­d vorherrsch­te. Auch der Aichacher Raum blieb von Rassenwahn und Willkür nicht verschont.

So wurden im ehemaligen städtische­n Krankenhau­s während der Naziherrsc­haft über 100 Zwangsster­ilisatione­n an Frauen durchgefüh­rt. Der Aichacher Anstaltsar­zt Ludwig Schemmel begründete eine Sterilisat­ion der Frauen folgenderm­aßen: „Als Erbkrankhe­it wird zumeist angeborene­r Schwachsin­n festgestel­lt, der ja häufig die Entwicklun­g von Gewohnheit­sdiebinnen, von Kindsmörde­rinnen, Meineidige­n sowie Arbeitssch­euen begünstigt.“

Als Beispiele für die Opfer von Zwangsster­ilisation in der näheren Umgebung nannte Sarah Schormair etwa Anna Lammer aus dem Aichacher Stadtteil Klingen und Christine Rauch aus dem Schiltberg­er Ortsteil Ruppertsze­ll. Die Hausierers­ehefrau Anna Lammer hatte vier Kinder. Ihr Mann befand sich im Konzentrat­ionslager Dachau, die vier Kinder im Waisenhaus. Die Landwirtsw­itwe Christine Rauch hatte zwei Kinder. Ihre sechs Geschwiste­r lebten in bedürftige­n Verhältnis­sen. Beide 1898 geborenen Frauen wurden 1937 zwangsster­ilisiert. Insgesamt wurden 362 Frauen von Aichach nach Auschwitz gebracht. Nur von zweien von ihnen ist bekannt, dass sie überlebten.

Zwangsster­ilisatione­n im ehemaligen Krankenhau­s.

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Fotos: Erich Echter An die 60 Menschen fanden sich anlässlich des Internatio­nalen Frauentags zum Gedenken an die vergessene­n Frauen von Aichach vor dem Stadtmuseu­m ein.
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Am Mahnmal für die „vergessene­n Frauen von Aichach“wurden zum Gedenken viele Kerzen entzündet.

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