Aichach erinnert an die „vergessenen Frauen“
Anlässlich des Internationalen Frauentages erinnern 60 Menschen am Mahnmal vor dem Stadtmuseum an erschütternde Schicksale. Die Redner finden klare Worte gegen den Rechtsextremismus der heutigen Zeit.
60 Menschen kamen am Samstag anlässlich des Internationalen Frauentages zum Gedenken an die „vergessenen Frauen“vor dem Aichacher Stadtmuseum zusammen. Sie erinnerten an die Frauen, die während des Naziregimes in der Aichacher Strafanstalt Unrecht und Leid erfahren hatten. Am Gedenkort vor dem Stadtmuseum wurden ihre Schicksale dargestellt und Lichter entzündet, um so ein „leuchtendes Zeichen gegen das Vergessen“zu setzen. Dazu aufgerufen hatte „Aichach bleibt bunt!“, ein Zusammenschluss verschiedener Parteien, Initiativen und Organisationen.
Vor dem Stadtmuseum, dem einstigen Krankenhaus, war im Sommer 2023 ein Mahnmal für die „vergessenen Frauen“enthüllt worden. Die Künstler Raphaela Sauer und Michael Meraner hatten es gestaltet. Es entstand als Erinnerungsort für Frauen, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten vom Aichacher Zuchthaus ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert worden waren.
Daniel Hauke ging als Sprecher für „Aichach bleibt bunt!“in seinen einleitenden Worten auf den Internationalen Frauentag ein. In seiner Rede übte er scharfe Kritik an der AfD. Seiner Meinung nach sei in Aichach kein Platz für Rechtsradikale, die Menschenrechte nicht akzeptierten. „Aichach ist bunt“, sagte er.
Bürgermeister Klaus Habermann (SPD) erklärte, man treffe sich aus gutem Grund zum Weltfrauentag vor dem Mahnmal am Stadtmuseum. Der Ort der Gedenkstätte sei damals bewusst gewählt worden. Sie erinnere an einer markanten Stelle daran, welch schreckliches Unrecht während der NS-Zeit auch in Aichach passierte. Habermann nannte als Beispiel das alte Krankenhaus, in dem nach der Machtergreifung im Jahr 1933 zahlreiche Zwangssterilisationen vorgenommen worden waren.
Der Bürgermeister rief dazu auf, vehement denen entgegenzutreten, die heute faschistisches und rechtsextremistisches Gedankengut verbreiteten: „Gerade heute, aus Anlass des Internationalen Frauentages, gilt es daran zu erinnern, welches Frauenbild der Nationalsozialismus vertreten hat. Denn wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern“, so Habermann, der damit ein Zitat des französischen Schriftstellers, Filmregisseurs und Politikers André Malraux aufgriff. Habermann sagte mit Verweis auf die Freiheit, den Wohlstand sowie die Möglichkeiten zu Bildung und Selbstentfaltung der heutigen
Zeit: „Es liegt an uns, dies alles zu verteidigen – zu verteidigen gegen die Ewiggestrigen oder neuen Nazis, gegen all diejenigen, die uns ins Elend zurückstoßen wollen.“
Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Aichacher Stadtrat, Kristina Kolb-Djoka, sagte, am Internationalen Frauentag würden die unendliche Stärke, Schönheit und Vielfalt von Frauen auf der ganzen Welt gewürdigt. Der Tag erinnere daran, dass Frauen überall auf der Welt für ihre Rechte kämpften und sich für Gleichberechtigung einsetzten. Kolb-Djoka sagte, eine Demokratie könne nur funktionieren, wenn alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen Rechte und Chancen hätten. Daher sei es wichtig, für die Gleichberechtigung zu kämpfen und sich für eine gerechte und inklusive Gesellschaft einzusetzen.
Die Stadträtin sagte über die Frauen, die während des Naziregimes in den Zuchthäusern inhaftiert waren: „Diese Frauen wurden oft unsichtbar gemacht und vergessen. Doch wir erheben unsere Stimmen, um ihre Geschichten ans Licht zu bringen und ihre Leiden zu erkennen. Sie wurden ihrer Würde und ihrer Menschenrechte beraubt.“Kolb-Djoka forderte „Gleichberechtigung und Freiheit für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sozialer Stellung“.
Die Leiterin der Aichacher Museen und des Stadtarchivs, Sarah Schormair, berichtete, was über die erschütternden Schicksale der sogenannten „vergessenen Frauen von Aichach“bekannt ist. Ihre Schilderungen machten deutlich, welche Willkür zwischen 1933 und 1945 in Deutschland vorherrschte. Auch der Aichacher Raum blieb von Rassenwahn und Willkür nicht verschont.
So wurden im ehemaligen städtischen Krankenhaus während der Naziherrschaft über 100 Zwangssterilisationen an Frauen durchgeführt. Der Aichacher Anstaltsarzt Ludwig Schemmel begründete eine Sterilisation der Frauen folgendermaßen: „Als Erbkrankheit wird zumeist angeborener Schwachsinn festgestellt, der ja häufig die Entwicklung von Gewohnheitsdiebinnen, von Kindsmörderinnen, Meineidigen sowie Arbeitsscheuen begünstigt.“
Als Beispiele für die Opfer von Zwangssterilisation in der näheren Umgebung nannte Sarah Schormair etwa Anna Lammer aus dem Aichacher Stadtteil Klingen und Christine Rauch aus dem Schiltberger Ortsteil Ruppertszell. Die Hausierersehefrau Anna Lammer hatte vier Kinder. Ihr Mann befand sich im Konzentrationslager Dachau, die vier Kinder im Waisenhaus. Die Landwirtswitwe Christine Rauch hatte zwei Kinder. Ihre sechs Geschwister lebten in bedürftigen Verhältnissen. Beide 1898 geborenen Frauen wurden 1937 zwangssterilisiert. Insgesamt wurden 362 Frauen von Aichach nach Auschwitz gebracht. Nur von zweien von ihnen ist bekannt, dass sie überlebten.
Zwangssterilisationen im ehemaligen Krankenhaus.