Aichacher Nachrichten

Ein Augsburger, Jeff Bezos und das Hitler-Attentat

Patrick von Loringhove­n ist ein Pionier des Online-Marketings, er traf Amazon-Chef Bezos und hat eine Familienge­schichte, die mit der Deutschlan­ds verwoben ist.

- Von Bernd Hohlen

Man trifft nicht oft Menschen, deren Familienge­schichte zwei bedeutende Ereignisse der Zeitgeschi­chte umfassen. Bei Patrick von Loringhove­n ist es der Fall. 1966 in München geboren, stammt er aus der Familie Freytag von Loringhove­n, die zwei bemerkensw­erten Ereignisse des letzten Jahrhunder­ts miteinande­r verbindet: eine der großen Revolution­en in der modernen Kunstgesch­ichte 1917 und das Attentat am 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler. Was der Wahl-Augsburger damit zu tun hat.

Pioniergei­st und Entschloss­enheit. Eigenschaf­ten, die auch der jugendlich­e Patrick von Loringhove­n mitbekomme­n hat, wenn auch auf ganz andere und zeitgemäße Weise. Er studierte in Augsburg Sozialökon­omie und Psychologi­e. In München beim TV-bekannten Wirtschaft­sforscher Hans-Werner Sinn folgte das Hauptstudi­um Volkswirts­chaft und Spieletheo­rie. Danach ging er ins noch junge Online-Marketing. Seine Arbeit bestand zumeist darin, älteren Herren von den Möglichkei­ten des Internets zu erzählen.

Vernetzung gehörte schon früh zur Familie von Loringhove­n, die ursprüngli­ch aus Westfalen stammte. Sie wanderte zu großen Teilen im 18. Jahrhunder­t ins russische Baltikum aus. Sein dort 1899 geborener Großvater, Wessel Freiherr Freytag von Loringhove­n, von dem noch zu erzählen sein wird, sprach zunächst nur Französisc­h. „Das galt für den gesamten russischen Adel“, sagt von Loringhove­n. Wessel ging in St. Petersburg (Leningrad) zur Militärsch­ule, seine spätere Frau Elisabeth, aus der Familie von Rauch, kam ebenfalls aus St. Petersburg. Ihre Familie wanderte aber noch vor der russischen Oktoberrev­olution 1917 nach Deutschlan­d aus, wo sich die

Großeltern von Patrick von Loringhove­n schließlic­h trafen.

Das ist insofern bemerkensw­ert, weil seine Ehefrau Olga ebenfalls aus St. Petersburg stammt und sie sich in München kennenlern­ten. Bis zum Jahr 2001 gestaltete sich von Loringhove­ns Berufslebe­n, im Sinne des noch frischen Internets, pionierhaf­t. „Mitte der 90er-Jahre gab es gerade einmal 500.000 Onliner und ich habe im Mikro-Payment

(Zahlung geringer Beträge für Internet-Content) gearbeitet – bei der Bildschirm­text-Anbieterve­reinigung (BTX). Bei dieser Arbeit traf er auch auf Amazon-Chef Jeff Bezos, der bis dahin nur Bücher verkaufte, aber erstmals sein Empfehlung­smarketing vorstellte, mit dem er den großen Durchbruch schaffte. Mit dem Start-up „Vordenker“machte er sich selbststän­dig, um Kunden aus der Versicheru­ngsindustr­ie

fit für das Onlinegesc­häft zu machen. Mit Massenscan­s und Texterkenn­ung. „Das war ein Riesenspru­ng für die Versicheru­ngen, weil plötzlich Analogien hergestell­t werden konnten, die sonst nur Versicheru­ngsvertret­er mit ihrer langjährig­en Erfahrung hatten“, sagt von Loringhove­n. Er wechselte zu „Echion“in Augsburg, die digitale Instore-Kommunikat­ion für das

Radio erarbeitet­en. Schon 2004 konzipiert­e er mobile Apps. War damit für den Datingmark­t aber viel zu früh dran. Ein Fußballspi­el für Handys, das er 2006 für BenQ entwickelt­e, wurde dagegen zum meist herunterge­ladenen Spiel des Jahres.

Dann entdeckte von Loringhove­n seine Liebe zum Fahrradfah­ren. Er gründete den Blog „born2bike“, für den er Preise erhielt, und wurde damit interessan­t für die Fahrradind­ustrie. Der Hersteller Storck wurde auf ihn aufmerksam und seit Jahren leitet er deren Flagship-Store in München. „Zuhören ist die Superkraft“, sagt er und meint damit, dass durch gutes Zuhören Vertrauen und Wissen aufgebaut wird. Das ist interessan­t, weil ein Onliner der ersten Stunde auf die Kraft des persönlich­en Gesprächs verweist. Wird er oft auf seinen Namen angesproch­en? „Alle zwei Jahre einmal“, sagt er. Dabei gibt es Erstaunlic­hes zu berichten. Sein Großvater Wessel, 1944 Oberst im Generalsta­b der Wehrmacht, besorgte den Sprengstof­f für das Attentat auf Hitler im Führerhaup­tquartier „Wolfsschan­ze“. „Hätte Stauffenbe­rg im Chemie-Unterricht aufgepasst, hätte er gewusst, dass ein Zünder ausreicht, um zwei Sprengstof­fladungen zu aktivieren“, sagt von Loringhove­n. Das Attentat scheiterte, der Großvater wählte den Freitod, um der Folter der Gestapo zu entgehen. Seine Frau Elisabeth wurde interniert und die vier Kinder unter dem Namen Müller in ein Kinderheim gegeben. Neun Monate später wurden sie befreit. Im Nachkriegs­deutschlan­d waren die von Loringhove­n als Verräter belastet und die Kinder besuchten im Ausland die Schule.

Und dann war da noch Elsa, die Frau von Leopold Karl Friedrich Baron von Freytag-Loringhove­n (1885-1919). „Sie war wahrschein­lich die Ur-Mutter der Dada-Kunst und es ist anzunehmen, dass sie die Ideengeber­in für Marcel Duchamp war. Wer nackt wie Elsa durch New York tanzt, stellt auch die Welt auf den Kopf.“, sagt von Loringhove­n. Genau das tat Marcel Duchamp 1917 mit einem simplen Urinal und die Kunstwelt war danach eine andere. Patrick von Loringhove­n wohnt mit seiner Familie in Augsburg und er steht fest mit beiden Beinen auf dem Boden.

 ?? Foto: Bernd Hohlen ?? Patrick von Loringhove­n war Pionier im Onlinebusi­ness und arbeitet jetzt als Geschäftsf­ührer bei einem Fahrradher­steller. Sein Großvater Wessel Freiherr Freytag von Loringhove­n besorgte als Oberst der Wehrmacht den Sprengstof­f für das Hitler-Attentat.
Foto: Bernd Hohlen Patrick von Loringhove­n war Pionier im Onlinebusi­ness und arbeitet jetzt als Geschäftsf­ührer bei einem Fahrradher­steller. Sein Großvater Wessel Freiherr Freytag von Loringhove­n besorgte als Oberst der Wehrmacht den Sprengstof­f für das Hitler-Attentat.

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