„NENNT MICH BLOSS NICHT PIZZABÄCKER“
Wenn es sich Pier Daniele Seu aussuchen dürfte, dann würde er den Begriff „Pizza-meister” bevorzugen, denn diese Bezeichnung würde am besten seinen intelligenten und kreativen Ansatz widerspiegeln. Ein Interview mit einem der talentiertesten Pizzakünstler
Das Arbeitsleben von Pier Daniele Seu scheint so hektisch zu sein wie von jemandem, der bereits seit vielen Jahren seinem Job nachgeht. Ursprünglich aus Ostia stammend, Jahrgang 1987, ist Pier Daniele einer der römischen Pizzabäcker - oder besser gesagt Pizzameister - von denen momentan am Meisten in seiner Branche gesprochen wird. Zwar ist seine Erfahrung in diesem Gebiet zeitlich begrenzt und er wird noch als „aufsteigend“bezeichnet, dennoch kann er zweifelsfrei nicht der Anfänger-kategorie zugeordnet werden. Denn seine Pizza ist im Sommer 2017 regelrecht zu einem Hit geworden. Gewinner von „Bester Aufsteigender Pizza-meister 2016“, einem Preis, der von Luigi Cremona und Witaly verliehen wird, und des „Mangiaebevi – Kulinarik in Rom und Lazio 2017“. Vergangenen Februar eröffnete Pier Daniele seine eigene Pizzeria im Mercato Centrale, am Hauptbahnhof Termini in Rom, die kurz darauf mit Wertschätzung und Lob überhäuft wurde. Wann immer er Zeit hat, fährt er nach Florenz, wo er an den Ständen des Zentralmarktes im Einkaufszentrum I Gigli arbeitet. Als wäre das nicht schon genug, eröffnete er zudem während der Sommersaison eine Pop-up-pizzeria in der Pliniusbadeanlage in seinem Heimatort Ostia, die, wie man wahrscheinlich nicht erwähnen muss, eine mehr als positive Resonanz hatte. Trotz der zahlreichen Verpflichtungen scheint dieser „junge Experte“keinerlei Intentionen zu haben, ein bisschen langsamer zu machen. Ganz im Gegenteil ist er entschlossener denn je, der ganzen Welt zu zeigen, wie die Pizza zu einem wahren Meisterwerk werden kann, für die es, wie für alle anderen Meisterwerke, Kunst und Kreativität benötigt.
Pier Daniele, was stand am Anfang dieser Leidenschaft von dir?
Alles hat mit der Suche nach Herausforderung begonnen: ich arbeitete in dem Hausverwaltungsunternehmen von meinem Vater, aber da mich dieser Sektor überhaupt nicht interessierte, habe ich nach ein paar Diskussionen die Arbeit dort niedergelegt. Ich habe mich auf diese Reise begeben und mir autodidaktisch alles beigebracht, um Teil von der Welt des Kochens zu werden. Also habe ich angefangen, zunächst in meinem Geburtsort Ostia dann hier und dort, Erfahrungen zu sammeln.
Das war also der Anfang von deinem Weg, auf dem du später Erfahrungen bei ein paar bedeutenden Namen der Pizzawelt Roms gemacht hast. Welche waren die wichtigsten Etappen deiner Ausbildung?
Sicherlich war Mastro Titta, wo ich mit 22 Jahren gearbeitet habe, eine fundamentale Etappe auf meinem Weg: es handelt sich dabei um ein Lokal in Rom, das bis um 5 Uhr Morgens geöffnet hat, einen Ort, der oft von anderen Personen aus dem Gastronomiegewerbe, nach ihrem Schichtende, besucht wird. Dadurch habe ich Köche und Pizza-meister wie Stefano Callegari, Gabriele Bonci und Giancarlo Casa kennen gelernt. Ich hatte die Möglichkeit, mein Netzwerk zu erweitern, da ich mit den bekanntesten Gastronomen von Rom und darüber hinaus zu tun hatte.
Und von diesen sind einige sogar deine Mentoren geworden.
Ganz genau. Stefano Callegari war der erste der an mich geglaubt hat, der darauf bestanden hat, dass ich bei Anfänger-wettbewerben teilnehme. Gabriele Bonci war derjenige, der mich bedeutend unterstützt hat, um hier beim Mercato Centrale arbeiten zu können.
Und welche dieser Schulen ist für dich am bedeutendsten gewesen?
Als ich beim Gazometro 38 gearbeitet habe, hatte ich mit Dino De Bellis zu tun, einer der renommiertesten Köche der Hauptstadt. Seine Küche ist klassisch römisch mit vielen neu interpretierten Elementen. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass ein guter Pizza-meister heutzutage Kenntnisse der allgemeinen Kochkunst besitzen muss, darunter beispielsweise auch das Mischen verschiedener Zutaten und die unterschiedlichen Kochzeiten. Er hat meine Sicht auf den Beruf des Pizzabäckers verändert und auch auf die Kunst des Pizzabackens, denn die Pizza ist nicht nur eine Teigmasse mit ein bisschen Belag oben drauf. Mit ihm habe ich viele verschiedene Belagsvariationen ausprobiert, die ich vielleicht sonst überhaupt nicht kennen gelernt hätte.
Trotz deines jungen Alters ist es dir gelungen, bereits verschiedene bedeutende Auszeichnungen für deine Arbeit zu erhalten. Was ist die Charakteristik deiner Pizza, die deiner Meinung nach zu dem Erfolg beigetragen hat?
Die wichtigste Eigenschaft meiner Pizza ist sicherlich der intelligente Ansatz, den ich wie gesagt von den Bekanntschaften mit wichtigen Köchen gelernt habe, denen ich auf meinem Weg begegnet bin: eine offenere Mentalität, durch Gespräche über das Kochen mit Personen, die mehr als du davon verstehen, wie Köche, Bäcker, Konditoren und so weiter. Ich habe versucht alles so gut es ging aufzusaugen, um zu lernen, richtig viel zu lernen. Darüber hinaus muss ich mich immer wieder bei meinem Team bedanken: ohne sie, ohne ihren fundamentalen Beitrag, könnte ich niemals dort sein, wo ich heute bin und dafür haben sie es mehr als
verdient, richtig geschätzt zu werden. Natürlich muss ich auch meiner Freundin danken, die mich mit der Leitung des Lokals unterstützt und die sogar in naher Zukunft ihren Job aufgeben wird, um dieses Abenteuer gemeinsam zu beschreiten.
Wie ist die Herangehensweise an deine Pizzen, die du dir ausdenkst? Gehörst du auch jener Denkrichtung an, die die neapolitanische Pizza als die einzig wahre Pizza betrachtet?
Ich glaube tatsächlich, so wie fast alle, dass die ursprüngliche Pizza aus Neapel stammt. Aber ich denke auch, dass jede Region, jede italienische Stadt ihre eigenen Traditionen betrachten sollte: in Neapel beispielsweise würde die knusprige römische Pizza fast wie ein Fehler bemängelt werden, aber bei uns ist das eben anders. Ich habe mich von der neapolitanischen Tradition eher abgewandt und alles auf die römische Gastronomiekultur gesetzt: hoher Rand, ohne dabei auf den Hauch eines knusprigen Teiges zu verzichten.
Die Arbeit beim Mercato Centrale gibt dir die Möglichkeit, eine internationale Klientel zu haben, Touristen, die gerade am Termini Bahnhof vorbei kommen. Hast du einen Unterschied im Ansatz an deine Küche bemerkt wenn du italienische Kunden und ausländische vergleichst?
Ausländer sind offener, vor allem auch was den höheren Preis angeht. Italiener sind natürlich seit jeher die Pizza gewohnt und bedenken vielleicht nicht die Tatsache, dass wir Qualitätsprodukte benutzen, was den Preis ein wenig ansteigen lässt. Ich glaube, dass sehr oft ignoriert wird, was hinter einer Arbeit steckt. Auch in der allgemeinen Wahrnehmung dieses Berufs gibt es Unterschiede zwischen Italien und dem Ausland: hier bist du ein gewöhnlicher „Pizzabäcker“, in anderen Ländern bist du vielmehr ein „Pizza-meister“.
Oft wird gesagt, dass Köche die neuen Rockstars von heute sind. Was hältst du von all dem Ruhm, der fast schon seit zwanzig Jahren Personen aus diesem Bereich entgegengebracht wird?
Die Medienaufmerksamkeit unserem Sektor gegenüber hat sicherlich positive Aspekte, da einige Berufe neu betrachtet wurden, wie auch jener des Pizzabackens zum Beispiel. Aber andererseits geht das oft mit einer großen Portion Ignoranz einher, vor allen von Seiten der Zuschauer, beziehungsweise der potenziellen
Kunden. Sobald die Kochsendung Masterchef angeschaut wird, denken alle, dass sie urteilen können. Auch Tripadvisor ist oftmals eines der größten Übel: eine Person, die nicht einmal weiß, was genau hinter dem Kochen steckt, ohne minimales Wissen dieses Fachgebiets, erlaubt es sich, scharf und überhaupt nicht konstruktiv zu kritisieren. Heute gibt es auch so viele Food Blogger, während die Journalisten, die wirklich was vom Kochen verstehen immer weniger werden.
Was ist dein nächstes Ziel im Hinblick auf die Arbeit?
Bis zum Winter würde ich gerne ganz alleine eine Pizzeria aufmachen, ein schönes Lokal mit einer erlesenen Weinkarte, um dem klassischen Pizzeria-konzept, ein wenig Glanz zu verleihen.
Denkst du darüber nach deinen Aktivitäten auch außerhalb Italiens nachzugehen?
Auf jeden Fall, auch weil die Steuerlast in Italien wirklich unmenschliche Ausmaße angenommen hat. Viele renommierte Köche peilen Ibiza an, den Ort des Vergnügens schlechthin, wo aber auch gerne gut gegessen wird. Und natürlich träume ich von Amerika. Dabei müsste man das Angebot des Lokals natürlich speziell an das Land anpassen, in das man sich begeben möchte. Auch wenn du einen offenen Ansatz vertrittst, was die Kunst des Pizzabackens anbelangt, musst du zugeben, dass es auch dich schaudern lässt, wenn du eine Pizza mit Ananas-belag siehst, stimmt’s?
Ich würde sagen: es handelt sich um eine Herausforderung, die ich annehmen würde. Natürlich hat es keinen Sinn, irgendwie drei Stücke Ananas auf eine Pizza zu werfen, aber ich würde gerne ein Rezept kreieren, das den Gebrauch dieser Frucht auf leckerer Art und Weise vorsieht, vielleicht wenn man sich in Richtung der asiatischen Küche bewegen würde und mit süßsaueren Geschmacksrichtungen spielt.
Empfiehl uns doch bitte eine deiner Pizzen. Ich würde euch die Neuinterpretation der klassischen Margherita empfehlen, mit gelben Tomaten, geräuchertem Provolakäse und Minze. Eine Pizza die sehr mit Kontrasten spielt.