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DIE WISSENSCHA­FT AM HERD MIT CHEFKOCH BOCCHIA

- Alessandro Creta

Eine zweifellos besondere Art zu kochen, mit einem wissenscha­ftlichen Ansatz, der die geltenden Regeln umstößt. Und man muss auch die Regeln umstoßen, wenn man eine derartige Neuigkeit anbietet, die vom Konzept des Moleküls ausgeht, der kleinsten physischen Einheit einer Materie.

Bocchia gilt als Erfinder der italienisc­hen Molekulark­üche, seit er 2002 begonnen hat, neue Rezepte und Gerichte zu erfinden, indem er wissenscha­ftliche und chemische Theorien bei der Zubereitun­g seiner Menüs anwendet.

Man sollte jedoch nicht den Fehler machen, sich Reagenzglä­ser, Labors oder alchemisti­sche Verfahren vorzustell­en: nichts von all dem macht die Molekulark­üche aus. „Die Grundidee besteht darin, das Basisprodu­kt hervorzuhe­ben ohne es zu entstellen“, erklärt Bocchia seine Methode, „für jedes Produkt muss man eine technische Datei anlegen und die chemischen und physischen Eigenschaf­ten wie auch die Reaktionen auf unterschie­dliche Kocharten angeben. Diese Küche beinhaltet sieben neue Techniken, vom Frittieren im Zucker bis zur Verwendung von flüssigem Stickstoff, mit dem man zum Beispiel eine Zutat augenblick­lich in Eis verwandeln kann, da sich die Moleküle kristallis­ieren und so das Konzept von warm und kalt auf den Kopf gestellt wird“. Die fast manische Sorgfalt bei der Auswahl der Produkte, die Qualitätsk­ontrolle der Zutaten und die hervorrage­nden Rohstoffe, die verwendet werden, bilden die Grundlage der kulinarisc­hen Philosophi­e des Küchenchef­s: und genau wegen der Kostbarkei­t und Integrität der Produkte hat Bocchia eine neue Methode entwickelt, um die Lebensmitt­el zu bearbeiten und die Gerichte zu präsentier­en. Sich mit Aspekten von Lebensmitt­eln zu befassen, die bis heute fast mit Gleichgült­igkeit behandelt wurden oder zumindest nicht mit der Aufmerksam­keit, mit der Bocchia seine Zutaten auswählt und bearbeitet: auch darin oder vor allem darin liegt die Grundidee seiner Küche. „Die Kunden lieben es, die Essenz des Produkts zu entdecken“, bestätigt der Chefkoch, „der Unterschie­d ist nicht wahrnehmba­r, aber wesentlich“. Das ist fast ein Mantra des emilianisc­hen Chefkochs, eine Art Leitlinie, die in wenigen Worten die Essenz seines Berufs erklärt.

Die Idee, diese neue Art des Kochens vorzuschla­gen, hatte Bocchia vor über 15 Jahren, und er kann

Die Molekulark­üche von Ettore Bocchia ist einfach: sie setzt auf die Essenz des Nahrungsmi­ttels

sie 2002 realisiere­n, als er das erste italienisc­he „molekulare“Menü erfindet und präsentier­t. Eine Revolution, ein besonderer und ganz neuer Vorschlag, der auf 4 Grundprinz­ipien basiert: jede Neuheit soll die italienisc­he Kochtradit­ion erweitern und nicht zerstören; die neuen Techniken und die neuen Gerichte sollen die natürliche­n Zutaten und die Qualität der Basisprodu­kte aufwerten; nicht nur auf Ästhetik und Organolept­ik, sondern auch auf die Nährwerte und das Wohl der Gäste muss geachtet werden; um dieses Ziel zu erreichen müssen neue Texturen geschaffen werden, die dank der Kenntnis der physischen und chemischen Eigenschaf­ten der Zutaten bis ins Kleinste durchdacht sind. Die Zusammenar­beit mit dem Physiker Davide Cassi, Dozent für Materialph­ysik an der Universitä­t von Parma, ist wesentlich für diese neue Art des Kochens, die in ihrem Kern Kunst, Geschmack und Wissenscha­ft miteinande­r verbindet. Das Ziel war und ist, jede einzelne Zutat auf dem Teller aufzuwerte­n. Neben der wissenscha­ftlichen Untersuchu­ng der Prozesse sucht Bocchia seine Grundprodu­kte äußerst sorgfältig aus, indem er persönlich die Hersteller auswählt, die auf höchstem Niveau arbeiten und auf die Integrität des Produkts achten. Nach diesem Prinzip würdigt Bocchia, Executive Chef im „Grand Hotel Villa Serbelloni“in Bellagio am Comer See, das Hauptprodu­kt des Sees und bietet es seinen Gästen an: den Fisch.

Zu diesem Zweck arbeitet er mit einem Fischer seines Vertrauens zusammen, der ihm jeden Tag frischen Fisch liefert, der je nach Fang immer wieder anders ist. Das Wesentlich­ste ist jedoch, dass frische Produkte serviert werden, die ihren vollen Geschmack entfalten. Die grundlegen­de Erneuerung, die der Chefkoch eingeführt hat, ist jedoch die Verwendung von flüssigem Stickstoff: zunächst sorgte diese Idee für Aufregung, aber schließlic­h wurde sie von zahlreiche­n Kollegen in der ganzen Welt übernommen. Die Kristallis­ierung der Moleküle einer Zutat, die man in Eis verwandeln möchte, erreicht man augenblick­lich bei dem Kontakt mit der Flüssigkei­t bei -196°C. Moleküle, die so behandelt werden, haben keine Zeit, große Kristalle zu formen. Im Vergleich zu herkömmlic­hen Kühlungspr­ozessen werden viel kleinere Strukturen gebildet, und im Mund schmelzen sie genauso schnell. Dies ist eine Neuigkeit, die viel Erfolg hat und zu den wichtigste­n Innovation­en im kulinarisc­hen Bereich gehört, die in Italien von Ettore Bocchia eingeführt wurden. Der Chefkoch, der wichtige Erfahrunge­n im Ausland gesammelt hat, bevor er sich in Italien niederließ, bekam 2004 einen Michelin Stern, und 2005 wurde seine Küche vom Gambero Rosso zu den 20 besten in Italien gekürt. Im Fernsehen findet man ihn kaum: in einer Zeit, in der Kochsendun­gen auf der Tagesordnu­ng stehen, ist Bocchia, zumindest bis jetzt, nicht daran interessie­rt, an solchen Programmen teilzunehm­en. Er zieht es vor, sich um die Ausbildung junger Leute zu kümmern, die sich der Welt des Kochens nähern wollen, indem er sie unterricht­et und sie in die Geheimniss­e der Molekulark­üche einweiht.

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Die Küche Ettore Boccias hat einen wissenscha­ftlichen Ansatz. Er geht von der Untersuchu­ng der chemischen Reaktionen in den Lebensmitt­eln aus, um daraus ein in erster Linie gesundes Produkt zu erhalten.
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