EINE RECHTSANWÄLTIN MIT EINEM MICHELIN-STERN
Von Cerignola nach San Francisco und zurück. Das ist die Geschichte von Cristina Bowerman, einer der ersten italienischen Chefköchinnen, die einen Michelin-stern erhalten hat.
Ihre Geschichte ist ziemlich ungewöhnlich, denn Cristina werkelte nicht, wie viele andere ihrer Kollegen, seit frühester Kindheit am Herd. Sie studiert Jura, macht ihren Universitätsabschluss und träumt von einer Zukunft als Rechtsanwältin. Um ihren Plan zu verwirklichen, geht sie nach Amerika, aber hier wird sie, statt den vorgezeichneten Weg einzuschlagen, von der Welt der Küche fasziniert. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel, der Cristina dazu veranlasst, Plädoyers und eine Zukunft im Gerichtssaal aufzugeben und einen Weg einzuschlagen, der ihr Jahre später einen Michelin-stern einbringen wird. Und das in Italien, wo sie in Rom die Glass Hostaria und das Romeo –
Chef & Baker eröffnet hat. Anlässlich einer Veranstaltung, die von den „Botschaftern des Geschmacks“organisiert wurde und deren Präsidentin Küchenchefin Bowerman ist, hat uns Cristina die Türen zu ihrer Küche und zu ihrer Welt geöffnet.
Was bedeutet es, die höchste Vertreterin einer Vereinigung wie die „Botschafter des Geschmacks“zu sein? Was wiegt mehr, der Druck oder die Befriedigung? Am meisten wiegt der Wunsch, Teil eines Projekts zu sein, das sich jeden Tag weiterentwickelt und das dieselben Ziele hat wie ich. Ich gehöre zu den Menschen, die vereinigen, Brücken bauen, Personen zusammenbringen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Gerade in Amerika bewegte ich mich in einem Umfeld, das von Natur aus stets versucht, Personen für einen bestimmten Zweck zusammenzuführen. Diese Mentalität habe ich übernommen.
Sie kommen ursprünglich aus Apulien und haben in San Francisco studiert. Wie können sie ihre zwei offensichtlich so entfernten und unterschiedlichen Aspekte in der Küche miteinander kombinieren? Ehrlich gesagt werden sie nicht miteinander kombiniert, sondern umarmt. In Amerika lernt man, dass es außer deiner Welt viele andere gibt, die genauso schön und interessant, tiefgreifend und gut sind. Italien ist da etwas verschlossener, es hängt an seinen Traditionen und vertritt eine Mentalität, die behauptet: „Wir sind die besten… unsere Küche ist die beste…“. Die Kombination aus beidem kann oft ein schönes Zusammenspiel hervorbringen.
Ich gehöre zu den Menschen, die vereinigen, Brücken bauen, Personen zusammenbringen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
Für Sie ist also die italienische Küche nicht die beste auf der ganzen Welt.
Absolut nein. Es gibt nicht DIE beste Küche, es gibt EINE ausgezeichnete Küche, aber im Grunde sind alle Küchen gut. Es ist ein bisschen so wie bei den Menschen: es gibt mehr oder weniger gute Menschen, es gibt Aspekte und Eigenschaften des eigenen Charakters, die hervorstechen, und als Küchenchefs und Unternehmer müssen wir auch verstehen, welcher Teil unseres Gegenübers hervorsticht, und es muss uns gelingen, diesen zu schätzen.
Wie wichtig ist es für einen jungen Menschen, der Koch werden will, zu reisen?
Für mich ist das Reisen unerlässlich. Manchmal sage ich zum Spaß, dass, wie früher der Wehrdienst, heute der Dienst im Ausland Pflicht sein müsste. Nicht wie das Erasmus-programm, sondern dass man in die Kultur des Landes eintaucht, in das man reist. Ich verstehe die jungen Leute nicht, die, kaum haben sie ihren Abschluss an einer Hotelfachschule gemacht, beschließen ins Ausland zu gehen, um dann in einem italienischen Restaurant zu arbeiten. Das macht keinen Sinn. Wenn man ins Ausland geht, nachdem man seine Kenntnisse in der italienischen Kochkunst vertieft hat, sollte man mit der Absicht gehen, eine andere Kultur, eine andere Tradition, eine andere Küche kennenzulernen. Läuft das Kochen Gefahr, inflationiert zu werden angesichts der unzähligen Kochprogramme, die zurzeit im Fernsehen gesendet werden?
Ich denke, das Problem besteht darin, dass der Zuschauer kaum in der Lage ist, Kritik zu üben. Das liegt eventuell daran, dass er nicht zur Welt der gehobenen Küche gehört. Oft wird nicht verstanden, dass das, was man im Fernsehen sieht, eine Show ist und nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Ich werde nie gegen Küchensendungen sein, denn sie hat die Klientel vergrößert, an die wir uns wenden. Allerdings sollte der Zuschauer begreifen, dass das, was im Fernsehen gezeigt wird, nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, denn wenn jemand in einer echten Küche die Pfanne auf einen anderen schleudern würde, müsste er ins Gefängnis gehen.
Ist es heute für einen jungen Menschen leichter, sich für das Kochen zu entscheiden, nachdem ihm so viele Vorbilder gezeigt werden? Vor 20 bis 30 Jahren war das eine schwierigere Entscheidung und wahrscheinlich weniger von außen beeinflusst. Leichter ist es nicht. Wahrscheinlich hat ein Jugendlicher heute mehr Konkurrenz, aber auch mehr Mittel als vor ein paar Jahrzehnten. Während man vor 30 Jahren bei dieser Berufswahl mehr Schwierigkeiten, aber weniger Konkurrenz hatte, so hat man heute mehr Konkurrenten, aber auch viel mehr Mittel. Es gibt Schulen, Workshops, Kurse, Bücher, Internet,
Programme: ich glaube, das hält sich die Waage. Unbestritten ist, dass heute, nachdem man von all diesen Vorbildern umgeben ist, dieser Beruf attraktiver geworden ist und die jungen Leute bei ihrer Berufswahl mehr beeinflusst werden. Ich betone es jedoch noch einmal, es hängt von
Die gehobene Küche hat Adern und Formen, die eng mit der Kunst verwoben sind.
der Kritikfähigkeit eines jeden einzelnen ab zu verstehen, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen der Realität und dem, was man im Fernsehen sieht.
Von außen gesehen scheint die gehobene Küche von Männern dominiert zu werden. Ist das wirklich so?
Das stimmt, und die Zahlen sprechen dafür. In der gehobenen Küche sind sie stärker vertreten und sie genießen einen größeren Bekanntheitsgrad als die Frauen. Das heißt nicht, dass das sich in der Zukunft nicht ändern kann, aber im Moment ist es so. Allerdings besteht in allen Arbeitsbereichen ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen, was sowohl die Arbeit als auch die Gehälter betrifft. Auch in den höchsten Etagen von Unternehmen, ich spreche hier vom CEO, verdient eine Frau sicherlich weniger als ein Mann.
Wo hört die Küche auf, falls sie aufhört, und wo fängt die Kunst an?
Das geht nahtlos ineinander über, das kann man nicht unterscheiden. Die gehobene Küche hat Adern und Formen, die eng mit der Kunst verwoben sind. Das sind zwei Welten, die man meiner Meinung nach nicht trennen kann.
Alle großen Künstler zeichneten sich durch einen Hauch von Extravaganz aus. Muss auch ein großer Chefkoch, wie ein Künstler, auf seine Weise extravagant sein?
Man sollte begreifen, dass das, was wir machen, nicht 99% Extravaganz und 1% Arbeit ist, sondern genau umgekehrt. Die Extravaganz ist der Ausdruck für die eigene Andersartigkeit, oder besser, für die unterschiedliche Denkweise eines jeden einzelnen. Es ist sozusagen eine Form der Persönlichkeit, das heißt, wenn man unter Extravaganz die intuitive Fähigkeit versteht, anders zu sein, dann kann ich nur mit Ja antworten.