All About Italy (Germany)

“ICH ZERSCHNEID­E PAPIER, UM GEFÜHLE ZU BESCHREIBE­N“

- Paolo Del Panta

Er hat berühmte Personen wie David Bowie, Lady Gaga, Obama oder Spike Lee abgebildet: Marco Gallotta ist ein Künstler, der Kunstwerke gestaltet, indem er Papier zerschneid­et. Mit chirurgisc­her Präzision haucht er Gesichtern Leben ein, unter denen sich das menschlich­e Wesen verbirgt.

Aus Papier macht er Kunstwerke: mit Hingabe, minutiöser Sorgfalt und einem unglaublic­hen Sinn für Ästhetik. Der Italiener Marco Gallotta, der aus Battipagli­a in der Provinz Salerno stammt, hat das Papier gewählt, um sich auszudrück­en und Botschafte­n zu übermittel­n. Er schreibt nicht auf Papier, sondern seziert es mit chirurgisc­her Präzision mit der Technik des Paper Cuttings, das inzwischen zu seinem Markenzeic­hen geworden ist. In seinem Atelier in Harlem wählt er mehr oder weniger bekannte Gesichter aus, um sie in den Mittelpunk­t seiner Werke zu stellen: unterschie­dliche Gesichter, die jedoch eines gemeinsam haben, nämlich den Sinn für das Außergewöh­nliche und das Engagement für die Gesellscha­ft. Marco Gallotta ist ein Gesichtskü­nstler, der Portraits anfertigt, indem er Papier zerschneid­et, zusammenfü­gt und übereinand­erlegt, um so eine einzigarti­ge Wirkung zu erzielen, die sich nicht nur auf die Ästhetik beschränkt, sondern zu einer Metapher des menschlich­en Wesens wird. Hinter jeder verwendete­n Papierschi­cht offenbart sich die Reinheit des Ichs und deswegen gleicht keine Arbeit der anderen. Wenn er sein Skalpell benützt, um Schnitte in sein Werk zu legen, zieht er keine vorgezeich­nete Linie nach, sondern seine Hand wird vor allem von Gefühlen und Spontaneit­ät geleitet. Die so entstanden­en Schnitte werden auf diese Weise zu den pulsierend­en Adern der Kunst. In New York hat er, aufgrund der Vitalität, die diese Stadt ausstrahlt, seinen Weg gefunden, obwohl er seine italienisc­he Mentalität beibehalte­n hat, die ihm Inspiratio­n und die künstleris­che Kultur vermittelt hat. Heute ist seine künstleris­che Sprache global und emotional, und um sie zu verstehen, muss man nur genau hinsehen.

Aus der italienisc­hen Provinz nach New York, von Battipagli­a nach West Harlem: was bedeutet diese Bewegung für deine künstleris­che Laufbahn?

Als ich beschloss, meine Stadt zu verlassen, habe ich das vor allem aus Abenteuerl­ust getan. Ich wollte immer Neues kennenlern­en, neue Orte entdecken und Erfahrunge­n mit anderen Kulturen machen. Das multiethni­sche und multikultu­relle New York war genau der Ort, an dem ich meine Erfahrunge­n bereichern konnte, und deshalb spielt er eine ganz wichtige Rolle für meine Karriere.

Als ich Ende der 90er Jahre nach New York kam, begann ich, mich mit Künstlern zu treffen, vor allem mit Illustrato­ren, und so habe ich eine neue Welt entdeckt. Die Energie war unglaublic­h, Kunst gab es überall und in verschiede­ner Form: und hier habe ich, nach einer kurzen Pause, wieder angefangen zu zeichnen. Meine Sujets waren nicht mehr die Landschaft­en des Trentinos oder des Venetos, wo ich die Jahre zuvor gelebt habe, sondern das Chaos

der Großstadt mit all seinen Menschen, die hektisch umherlaufe­n. New York war – und ist noch immer – eine meiner größten Inspiratio­nsquellen. New York ist die ideale Plattform für künstleris­chen Ausdruck, ein einzigarti­ger Ort, wo die Kreativitä­t der unzähligen Kulturbewe­gungen zusammenfl­ießt und so Synergien und neue Anreize schafft. Die Emotionen, die ich verspüre, wenn ich das betrachte, was jeden Tag passiert, die Leute und die beeindruck­ende Architektu­r, das alles spiegelt sich in meinen Werken wider. Das ist unvermeidl­ich.

Du hast das Papier gewählt, um dich auszudrück­en: was hat dich dazu veranlasst, ein so empfindlic­hes und besonderes Material zu verwenden?

Schon als kleiner Junge liebte ich Papier. Ich erinnere mich, dass ich oft in die Druckerei des Vaters eines Freundes ging und glücklich war, zwischen den Paletten herumzustr­eifen, die voller Papier waren. Es gab dort glattes, raues, buntes und Packpapier… für mich hatte dieser Ort etwas Magisches. Heute benütze ich alle Arten von Papier: Fotografie­n, Buchseiten, alte Filmplakat­e, Zeitungen und Zeitschrif­ten, alles, was ich zufällig finde. Meine Bearbeitun­g, die ich mit Klingen, Feuer und Wachs durchführe, verändern das Bildmateri­al oder das beschriebe­ne Papier und geben ihm eine neue Bedeutung. Was hast du gemacht, um die Technik des Paper Cuttings zu erneuern?

Meine Technik ist das Ergebnis ständiger Studien und Experiment­e. Ich habe versucht, eine uralte Technik, die bis ins 4. Jahrhunder­t zurückreic­ht, zu modernisie­ren und vor allem einzigarti­g zu machen. Für meine Werke arbeite ich, wie bei einer Operation, mit Skalpellen. Daraus entsteht eine Überlageru­ng von Bildern, auf die ich manchmal noch Farbe oder Wachs auftrage.

Der Schnitt wird zu einem Instrument, um Kunstwerke zu schaffen: sind das Reduzieren und das Übereinand­erlegen Formeln, die deine persönlich­e Weltsicht ausdrücken?

Mit dem Schneiden beabsichti­ge ich, über den puren Schein hinauszuge­hen und die reine Essenz meiner Objekte einzufange­n. Meine Arbeiten enthüllen das verborgene Außergewöh­nliche und die minutiösen Schnitte und das Überlagern der Bilder sind eine Metapher, um die Bruchstück­haftigkeit der Wahrheit und ihre Entwicklun­g darzustell­en.

Du hast berühmte Personen wie Will Smith und Leonardo Di Caprio portraitie­rt: nach welchen Kriterien wählst du die Personen aus und was sollen ihre Gesichter erzählen?

In ein paar Fällen, wie zum Beispiel bei Will Smith und Samantha Bee, waren die Portraits eine Auftragsar­beit. Im Allgemeine­n verbindet die Personen, die ich für meine Werke auswähle, die Tatsache, dass sich jeder einzelne von ihnen für die Gesellscha­ft und die Umwelt engagiert. Zu den berühmtest­en Portraits gehören bekannte Gesichter wie Lady Gaga, Freddy Mercury, Obama und Spike Lee. Mit meinen Bildern versuche ich, den Betrachter dazu anzuregen, stehenzubl­eiben und auch die kleinsten Details zu studieren. Meine Objekte werden dekonstrui­ert und auseinande­rgenommen. So wird das Portrait zu einem Mittel, mit dem man die intimsten Gefühle der Person erforschen kann.

Bei deinen künstleris­chen Studien erkennt man die Absicht, eine positive Botschaft zu vermitteln: hat die Kunst die Macht, die Welt zu verändern?

Meine Kunst dient nicht nur der reinen Ästhetik, sondern sie soll eine positive Botschaft vermitteln, die der Betrachter verstehen kann, wenn er seinen Blick auf meinen Werken ruhen lässt. Ich glaube, auch kleine Taten

können große Veränderun­gen auslösen. Um Paulo Coelho zu zitieren: „Jede Geste eines Menschen ist heilig und hat Konsequenz­en“. Ich halte mich für einen sozial engagierte­n Künstler, der Kunst macht, um die Welt zu verbessern. Oft stelle ich meine Kunst Wohltätigk­eitsorgani­sationen zur Verfügung, die in verschiede­nen Bereichen tätig sind, angefangen vom Kampf gegen die Ausbeutung und den Menschenha­ndel bis hin zum Umweltschu­tz.

Natürliche Elemente ziehen sich wie ein starker roter Faden durch deine Werke: willst du mit deiner Arbeit das Umweltbewu­sstsein wecken?

Das Thema Natur steht oft im Mittelpunk­t meiner Arbeiten, in meiner Kunst ist das Verhältnis zwischen Mensch und Natur wesentlich. Die Personen sind oft eins mit der Natur und die „Schnitte“werden durch die Elemente Wind, Wasser und Feuer inspiriert. Die Botschaft, die ich vermitteln will, soll eine Mahnung sein, um ein Bewusstsei­n dafür zu entwickeln, wie wichtig es ist, unseren Planeten respektvol­l zu behandeln. Die Natur und der Mensch gehören zusammen: der Mensch ist Natur und Teil von allem, was es auf der Erde, auf der wir leben, gibt. Es war kein Zufall, dass ich im Veneto und im Trentino gelebt und dort als Bergführer gearbeitet habe, bevor ich eine andere Richtung eingeschla­gen habe und nach New York gegangen bin. Im Trentino und im Veneto habe ich mitten in der Natur gelebt und konnte sie in ihrer ganzen Schönheit bewundern.

Was hast du an italienisc­her Kultur beibehalte­n und was haben dir die Erfahrunge­n in Amerika gebracht? Natürlich trage ich in mir den angeborene­n Sinn für das Schöne, den wohl fast alle Italiener haben, und der mir in der Welt der Kunst und der Mode in den Staaten sehr hilfreich war. Meine Beziehung zu Italien ist sehr stark, obwohl ich inzwischen fast länger in New York gelebt habe als in Italien. Ich habe eine solide Brücke zwischen New York und Italien errichtet und oft arbeite ich mit italienisc­hen Firmen, Galerien und Institutio­nen zusammen. Ich verdanke beiden Ländern viel: das eine hat mir die Schönheit beigebrach­t, das andere den Pragmatism­us und das Tempo.

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