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Die italienisc­he Sprache DIE ACCADEMIA DELLA CRUSCA UND DIE SCHÖNSTE BLUME DER ITALIENISC­HEN SPRACHE

Ein Interview mit Paolo D’achille, Akademiker an der Crusca und Leiter des Zentrums für linguistis­che Beratung der Akademie

- Professor Paolo D’achille, Akademiemi­tglied der Crusca und Leiter des Zentrums für linguistis­che Beratung der Akademie

„Die schönste Blume pflückt sie“: aus diesem poetischen Vers von Francesco Petrarca entstand das Motto, das das Wesen und die Berufung der Accademia della Crusca beschreibt, einer der ältesten und renommiert­esten Institutio­nen für Sprache in Italien und der ganzen Welt. Das Symbol der berühmten Akademie ist das Weizenkorn, das, von seiner Kleie (crusca) befreit, zu Mehl verarbeite­t wird, diese feine Blume, die man mit der „guten Sprache“vergleiche­n kann, die es zu bewahren gilt. So wie der Müller die Spreu vom Weizen trennt, so hat es sich die renommiert­e Akademie zur Aufgabe gemacht, die korrekten und reinen Formen der italienisc­hen Sprache von all den Unreinheit­en zu befreien, die sie verschmutz­en könnten. Die Akademie hat ihren im Jahr 1583 übernommen­en Auftrag über Jahrhunder­te konstant ausgeführt und mit ihren Tätigkeite­n bis heute aufrechter­halten, um die italienisc­he Sprache auf ihrer Reise als lebende Sprache, die sich stets weiterentw­ickelt, zu begleiten. Professor Paolo D’achille, Akademiemi­tglied der Crusca und Leiter des

Zentrums für linguistis­che Beratung der Akademie, erzählt von der Geschichte, dem Engagement und dem Umgang mit Neuerungen eines Kulturtemp­els, der die Sprache überwacht, die so sublim und delikat, aber auch so wesentlich ist.

Die Accademia della Crusca ist eine der ältesten Institutio­nen für Sprache in Italien und auf der ganzen Welt: Wie begann ihre lange und virtuose Geschichte?

Die Accademia della Crusca wurde 1583 als Ableger der Accademia Fiorentina gegründet. Am Anfang hatte sie einen informalen Charakter: die “Brigade der Crusconi“widersetzt­e sich dem Formalismu­s der Accademia Fiorentina mit schelmisch­en Reden, die „cruscate“genannt wurden. Später verspürten die Gelehrten, dank der Anregung durch den Philologen Leonardo Salviati, die Notwendigk­eit, ein Wörterbuch der italienisc­hen Sprache zu verfassen, das auf der Sprache der großen Schriftste­ller des 14. Jahrhunder­ts basierte und durch einige Ausdrücke der populären und modernen Sprache erweitert wurde. Nachdem in langer und geduldiger

Die renommiert­e Accademia della Crusca hat es sich zur Aufgabe gemacht, die korrekten und reinen Formen der italienisc­hen Sprache von all den Unreinheit­en zu befreien, die sie verschmutz­en könnten.

Arbeit eine Kartei erstellt wurde, wurde der Band 1612 in Venedig, der damaligen Hauptstadt des Druckereiw­esens, veröffentl­icht: dieses Lexikon war das erste einsprachi­ge Wörterbuch einer modernen Sprache und all jene, die später für andere europäisch­e Sprachen herausgege­ben wurden, inspiriert­en sich an dem Modell der Accademia della Crusca. Allerdings war es sehr ungewöhnli­ch, dass das Wörterbuch keinen Hinweis auf die Sprache gab, deren Wörter zusammenge­tragen worden waren. Deshalb gab es starke Einwände: man konnte nicht von florentini­sch sprechen,

Die einzige Möglichkei­t, die Wörter unserer Tradition zu retten, besteht darin, viel zu lesen und auch Texte zu schreiben, die etwas „gehaltvoll­er“sind, als die, die in den sozialen Netzwerken zirkuliere­n.

sonst wären die anderen Italiener beleidigt gewesen; aber man konnte auch nicht von Italienisc­h reden, sonst hätten die Florentine­r sich dagegen gesträubt. Also einigte man sich darauf, es „Vocabolari­o degli Accademici della Crusca“(Wörterbuch der Gelehrten der Crusca) zu nennen, obwohl das wiederum sehr toskanisch war. Aus diesem Grund wurde das Wörterbuch kritisiert. Trotzdem feierte es einen großen Erfolg, erschien zwischen dem 17. und dem 18. Jahrhunder­t in vier Auflagen, wobei der Wortschatz mit Ausdrücken der bereits zitierten Autoren erweitert wurde und auch nicht florentini­sche Schriftste­ller aufgenomme­n wurden.

Wie funktionie­rt das Zentrum für linguistis­che Beratung der Akademie, das sie leiten?

Die Crusca hat schon in den vergangene­n Jahrhunder­ten eine Beratungsf­unktion ausgeübt: wir haben Berichte über hohe Persönlich­keiten und angesehene Institutio­nen, die sich an die Akademie gewandt haben, um Ratschläge in Sachen Sprache zu erhalten. Aber der eigentlich­e Beratungss­ervice ist erst vor kurzem entstanden: 1990 hatte Giovanni Nencioni, der damalige Präsident der Akademie, die Idee, alle zwei Monate die Zeitschrif­t „La Crusca per voi“(Die Crusca für Sie) herauszuge­ben, in der die Gelehrten oder andere Sprachdoze­nten auf die Fragen der Leser antworten. Heute hat die Zeitschrif­t nicht nur die Funktion als „Beraterin“, sondern veröffentl­icht auch Artikel über allgemeine Probleme und verschiede­ne Themen wie Terminolog­ie, Dialekte, Mehrsprach­igkeit und Italienisc­h an der Schule. Inzwischen kann man den Beratungsd­ienst auch online, auf der Webseite der Akademie abrufen. Hier gibt es eine eigene Seite, auf der zweimal pro Woche Antworten auf grammatika­lische und sprachlich­e Fragen gegeben werden. Wir gehen mit der Zeit. Wir haben auch eine Facebook-seite und ein Twitter-profil, auf denen man über linguistis­che Fragen diskutiere­n kann, vor allem in Bezug auf die Antworten, die wir auf unserer Webseite veröffentl­ich haben.

In welche Richtung geht die italienisc­he Sprache?

Viele Jahrhunder­te lang war Italienisc­h eine geschriebe­ne Sprache, also eine sehr statische Sprache, ein wenig wie das Latein, das von den großen Schriftste­llern der klassische­n Antike benützt wurde und das wir heute noch in der Schule lernen. Das Italienisc­he ändert sich, weil es nach der Einigung Italiens zu einer gesprochen­en Sprache wurde, und ab da begann die „Transforma­tion“, das Annähern der verschiede­nen Dialekte an die gemeinsame und gemeinsam benutzte Sprache. Natürlich führt der Gebrauch zu einer Veränderun­g: einige Teile sind verlorenge­gangen, einige wurden abgewandel­t, andere wurden mit Wörtern aus anderen Sprachen und Dialekten vermischt. Es gibt keine Sprachhaup­tstadt mehr, so wie es Florenz in den ersten Jahrzehnte­n nach der Einigung war: der römische Einfluss macht sich bemerkbar und verschiede­ne Ausdrücke, die aus dem Norden und Süden Italiens kommen, sind allmählich in den allgemeine­n Sprachgebr­auch eingegange­n. Man muss nur an das Wort „Pizza“denken, ein typisch süditalien­ischer Begriff, der mit der Zeit das Wort „focaccia“, das eher in der Toskana benützt wird, ersetzt hat.

Ein nicht zu vernachläs­sigender Aspekt sind die Änderungen, die von den aus dem englischen stammenden Ausdrücken ausgehen und oft die italienisc­hen überlagern. Wie kann man diesem Problem umgehen?

Dieses Problem hat es schon immer gegeben. Früher war es das Französisc­he, heute ist es die englische Sprache, die das Italienisc­he „verseuchen“. Wenn eine Sprache in einem bestimmten Bereich führend ist, so ist es ganz normal, dass sie den Sprachen, mit denen sie in Berührung kommt, Wörter überliefer­t: auch das Italienisc­he hat in den vergangene­n Jahrhunder­ten anderen europäisch­en Sprachen viele Ausdrücke geliehen, vor allem in der Musik. Folglich sollte für mich die italienisc­he Sprache ihre eigene sprachlich­e Kreativitä­t wiederfind­en. Man macht sich nicht mehr die Mühe, ausländisc­he Wörter zu übersetzen, sie werden nicht mehr angegliche­n, sondern so benützt wie sie sind. In anderen Ländern wie Frankreich und Spanien herrscht ein Nationalge­fühl, das sich gegen Anglizisme­n wehrt, während bei uns dieses Gefühl nicht so stark ausgeprägt ist und wir viele englische Wörter benützen. Wir, als Accademia della Crusca, empfehlen jedoch, ausländisc­he Begriffe, soweit es möglich ist, zu „ersetzen“.

Zum Schluss, welche italienisc­hen Wörter sollte man Ihrer Meinung nach vor dem Vergessen retten?

Da gibt es viele, auch weil man in der Schule nicht mehr so viele Texte von großen Schriftste­llern der Vergangenh­eit liest und so geraten viele Wörter in Vergessenh­eit. Ich könnte den Begriff „indarno“erwähnen, der „invano“(umsonst, vergeblich) bedeutet, aber heute praktisch unbekannt ist. Die einzige Möglichkei­t, um die Wörter unserer Tradition zu retten, besteht darin, viel zu lesen und auch Texte zu schreiben, die etwas „gehaltvoll­er“sind als die, die in den sozialen Netzwerken zirkuliere­n.

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