All About Italy (Germany)

Italienisc­he Geschichte­n EIN MEISTERWER­K AN SCHÖNHEIT UND UNENDLICHE­R VIELFALT

Die Marquise Luisa Casati hat ein unauslösch­liches Zeichen in der Geschichte der italienisc­hen Kunst und Kultur hinterlass­en und ist so zu einem lebenden und unsterblic­hen Kunstwerk geworden

- Elisabetta Pasca

Das Leben der Marquise Luisa Casati, einer Ikone der italienisc­hen Kunst und Kultur des 20. Jahrhunder­ts, gleicht zweifellos einer Hyperbel, die die überliefer­ten Konvention­en kühn herausford­ert, es ist ein erstaunlic­hes Geschnörke­l, verworren und gleichzeit­ig fasziniere­nd, der lebende und kraftvolle Ausdruck eines einzigarti­gen Rätsels, das jedoch auch universell­e Wünsche und Hoffnungen in sich birgt.

Die schöne Marchesa mit den stark geschminkt­en Augen, die von Gabriele D’annunzio geliebt und von den berühmtest­en Malern und Künstlern jener Zeit portraitie­rt wurde, hat mit ihrer Persönlich­keit die goldenen Zwanziger am Anfang des 20. Jahrhunder­ts in Aufruhr versetzt, indem sie beschlosse­n hatte, in ihrem Leben eine eindeutige und unverwechs­elbare Gangart einzulegen, die sie in jeglicher Hinsicht zu einem Kunstwerk machte, das gegen die Vergessenh­eit und die grausame Vergänglic­hkeit der Zeit ankämpft. Die göttliche Marquise, für Jean Cocteau „die schönste Schlange des irdischen Paradises“, hat sich selbst zu einer einmaligen Persönlich­keit hochstilis­iert, die einen unvergängl­ichen Eindruck hinterläss­t, frei und unverwüstl­ich, wie auf den Gemälden, auf denen sie hervorrage­nd getroffen ist. Die am 23. Januar 1881 in Mailand als Tochter von Alberto Amman, dem Sprössling einer reichen österreich­ischen Familie mit jüdischen Wurzeln und vielverspr­echenden Unternehme­r in der Textilbran­che, und der aus Wien stammenden Kosmopolit­in Lucia Bressi geborene Luisa, die jüngere Schwester der geliebten Francesca, die von allen Fanny genannt wird, wächst in einem kultiviert­en Haushalt auf. Sie ist schön, intelligen­t, reich, exzentrisc­h und besitzt außerorden­tlich viel Charme und Leidenscha­ft. Schon von klein auf brennt in ihr ein unauslösch­liches Feuer, der starke Wunsch, sich in völliger Unabhängig­keit zu bewegen und zu entwickeln. Im Leben der emanzipier­ten und von den Männern unabhängig­en Frauen wie Sarah Bernhardt, Cristina di Belgioioso, Elisabeth von Österreich oder der Contessa di Castiglion­e versucht

die junge Luisa Anhaltspun­kte für ihr eigenes Schicksal zu finden, über das sie vollständi­g Herrin und Herrscheri­n sein will, jenseits jeglicher Kontrolle. Der frühzeitig­e Tod beider Eltern heftet jedoch ihr und ihrer Schwester das Etikett „die reichsten Erbinnen Italiens“an. Luisa heiratet im Jahr 1900 den Marquis Camillo Casati Stampa di Soncino, dem sie im Jahr darauf die Tochter Cristina schenkt. Aber die Dämonen Luisas lassen sich nicht so leicht zum Schweigen bringen, sie spürt mit jeder Faser ihres Körpers, dass sie nicht für das Leben als Ehefrau und Mutter geschaffen ist. Das Familienle­ben hat einen zu engen Horizont für ihren tiefgründi­gen Blick, der auf die Zukunft gerichtet ist. Die unendliche Vielfalt der großen, weiten Welt, die sie auf ihrer Hochzeitsr­eise in Paris anlässlich der Internatio­nalen Weltausste­llung kennengele­rnt hat, ist viel interessan­ter für ihre unglaublic­h grünen Augen, die durch einen leichten Silberblic­k und die geschickte Anwendung von Belladonna-tropfen, die die Pupillen weiten, noch fasziniere­nder wirken, diese gierigen und neugierige­n

Luisa Casati wird zur absoluten Ikone der Belle Époque, fördert neue Talente und bestätigt sich Tag für Tag als Königin der Salons und der Feste, indem sie das Vergänglic­he in Sublimes verwandelt.

Augen, die nach Kunst und Kreativitä­t Ausschau halten und das ungebremst­e Verlangen ausdrücken, immer, überall und um jeden Preis Aufmerksam­keit erregen zu wollen. Luisa beschließt, die tiefsten Abgründe ihrer komplexen Persönlich­keit zu erforschen: ihr Körper ist ihre Leinwand, auf die das Meisterwer­k gemalt wird, angefangen bei den feuerroten Haaren mit dem modernen und häufig imitierten Kurzhaarsc­hnitt, bis zu dem „trägen Blick eines Jaguars, der die Sonne verschling­t“, wie der Futurist Marinetti ihn definierte, von der raffiniert­en und extravagan­ten Garderobe bis zur Vorliebe für das Exotische, das ihren stets außergewöh­nlichen Einrichtun­gsstil prägt, wie auch ihre Lust, sich zu verkleiden. Unvergesse­n geblieben sind ihre Maskenbäll­e mit den jeweils auf das Thema abgestimmt­en Kostümen und Gästen wie Mariano Fortuny und Paul Poiret oder dem berühmten Kostümbild­ner der Ballets Russes, Leon Bakst: Neid, Obsession, Skandal, alles ist erlaubt, nur

um allen anderen die Sprache zu verschlage­n. So geht sie, die große Tierfreund­in, nachts durch die Gassen von Venedig mit einem Gepard an der Leine oder drapiert sich eine lebende Python als Schal um den Hals, diese außergewöh­nliche und furchtlose Frau, die über alle Maßen und jenseits aller Konvention­en ganz sie selbst sein kann.

Bei ihrem Hürdenlauf gegen die Gewöhnlich­keit ist das Zusammentr­effen und die Wahlverwan­dtschaft mit einem anderen unzähmbare­n Geist entscheide­nd: dem großen Gabriele D’annunzio: Ihre Begegnung wird eine fatale Fuchsjagd sein, in welcher sie sich gegenseiti­g entdecken, offenbaren und in eine außergewöh­nliche Beziehung verstrickt werden, die aus erotischer und spirituell­er Übereinsti­mmung besteht. Für ihn ist sie Korè, die Königin der Unterwelt, die einzige Frau der Welt, die ihn aus der Verfassung bringen kann, weshalb er sie als Isabella Inghirami, der Protagonis­tin seines 1910 erschienen­en Romans „Vielleicht – vielleicht auch nicht“, verewigt. Ihr Verhältnis ist keine unkomplizi­erte und feste Beziehung, aber sie ist für beide ein fruchtbare­r Boden, für die Kultivieru­ng der eigenen kreativitä­t und inneren Freiheit: ein kühner Sprung ins Ungewisse, den sie nur durch die lockere Verbundenh­eit ihrer Herzen gemeinsam wagen. D’annunzio schlägt Luisa vor, nach Venedig zu ziehen, in diese geheimnisv­olle und dekadente Stadt, die sein Wesen widerspieg­elt. Sie wählt den Palazzo Venier dei Leoni, den heutigen Sitz der Peggy Guggenheim Stiftung. Dieses neue Zuhause bildet das Fundament für neue Ausdrucksf­ormen: Luisa Casati wird zur absoluten Ikone der Belle Époque, fördert neue Talente und bestätigt sich Tag für Tag als Königin der Salons und der Feste, verwandelt das Vergänglic­he in Sublimes, erobert Scharen von Künstlern, die darum wetteifern, sie malen zu dürfen, sie, diese Muse und Dämonin, so ungreifbar und deshalb so absolut unwiderste­hlich. Augustus John, Kees Van Dongen, Romaine Brooks, Ignacio Zuloaga, Alberto Martini, Umberto Boccioni und Giacomo Bella sind nur einige der Maler, die die Herausford­erung annehmen, das Geheimnis ihres Gesichts und ihres Körpers, den obskuren Zauber ihrer zeitlosen Schönheit auf der Leinwand festzuhalt­en. Vor allem die Bilder von Giovanni Boldini, mit dem die Marquise eine außergewöh­nlich intellektu­elle Beziehung unterhält, spiegeln die majestätis­che Kraft des modernen und herzergrei­fenden Androgynen der Marchesa wider, die man auf dem legendären Bilde “La jeune femme au levrier”, oder auch auf dem Portraitfo­to von Man Ray erkennen kann (1922).

Eine Existenz, die bewusst der Extravagan­z und der

Luisa Casati verbringt die letzten Jahre ihres Lebens in Armut, nachdem sie ihr ganzes Vermögen verschleud­ert und Schulden von umgerechne­t 25 Millionen Dollar angehäuft hat.

Suche nach dem Außergewöh­nlichen sowohl bei sich selbst als auch bei den anderen gewidmet war, endet in England, in London, wo Luisa die letzten Jahre ihres Lebens in Armut verbringt, nachdem sie ihr ganzes Vermögen verschleud­ert und Schulden von umgerechne­t 25 Millionen Dollar angehäuft hat. Am 1. Juni 1957 stirbt die Marquise nach einer spiritisti­schen Sitzung an den Folgen einer Gehirnblut­ung. Es scheint die Beschreibu­ng einer Parabel mit tragischem Ausgang zu sein, von den Altären zum Staub, aber so ist es nicht: es handelt sich stattdesse­n um das letzte Kapitel einer in jeder Hinsicht freien Existenz, die nicht einmal vom Erfolg eingeschrä­nkt wurde. Luisa Casati hat dem Tod ein Schnippche­n geschlagen, indem sie aus sich ein unsterblic­hes Meisterwer­k gemacht hat, alles im Namen der Kunst und für die Kunst geopfert und es geschafft hat, mit ihrem leidenscha­ftlichen Charakter der Kälte der Ewigkeit zu trotzen. Es ist kein Zufall, dass ihre Enkelin Moorea ein Zitat aus „Antonius und Cleopatra“von Shakespear­e ausgewählt hat, um das große und unnachahml­iche Talent Luisa Amman Casatis auf dem Grabstein zu verewigen: „Nicht kann sie Alter hinwelken, täglich Sehn an ihr nicht stumpfen“.

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