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DAS “BICERIN”, EINE DELIKATESS­E AUS TURIN MIT EINER ÜBER 250-JÄHRIGEN GESCHICHTE

- Sascha Mallinckro­dt

Es gibt nur ein Getränk, über das sich die Turiner seit 250 Jahren einig sind und das sie miteinande­r verbindet: das „Bicerin“. Wörtlich bedeutet es „Gläschen“, aber in Wahrheit ist es eine Geschmacks­explosion: ein spezieller Kaffee, der nicht in der Tasse, sondern in einem kleinen Glaskelch ohne Henkel serviert wird, der auf die klassische Untertasse gestellt wird. Er entstand 1763 im historisch­en Turiner Lokal „Caffè al Bicerin“, das diesen Namen erst nach dem Erfolg des Getränks annahm. Hier wurde diese Spezialitä­t erfunden, die aus einer exzellente­n Mischung weniger Zutaten wie Schokolade, Kaffee und Sahne besteht und seit Jahren den Gaumen nicht nur der Piemontese­r erobert. Giuseppe Dentis eröffnete sein Café gegenüber der Basilika Santuario della Consolata, eine strategisc­he Lage, denn schon bald wurde diese neue Mischung zum idealen Getränk für die Gläubigen, die aus der Kirche kamen und nach dem Fasten vor der Kommunion im „Bicerin“eine süße und gehaltvoll­e Stärkung fanden. Dasselbe galt für die Fastenzeit: nachdem heiße Schokolade nicht als „Speise“galt, konnte sie auch während des Fastens ohne schlechtes Gewissen konsumiert werden. Wie bei allen exklusiven und einzigarti­gen Rezepten werden noch heute, nach so vielen Jahren, die Dosierunge­n 16 geheim gehalten. Mehr als eine Erfindung ist das „Bicerin“jedoch eher eine Weiterentw­icklung der „Bavareisa“, eines Modegeträn­ks des 18. Jahrhunder­ts, das aus Kaffee, Schokolade, Milch und Sirup bestand, die getrennt serviert wurden. Es war die Aufgabe des Gastes, die Zutaten nach einem bestimmten Ritual zu mischen, an dessem Ende ein einzigarti­ger Kaffee in großen Gläsern stand. Dem Getränk mit seiner jahrhunder­tealten Geschichte gelang es, mit seinem Geschmack historisch­e Persönlich­keiten wie Camillo Benso Conte di Cavour, Alexandre Dumas, Pablo Picasso, Ernest Hemingway oder Umberto Eco zu betören, wobei Letzterer das „Bicerin“so sehr schätzte, dass er es sogar in seinem Werk „Der Friedhof in Prag“erwähnte. Es ist wohl überflüssi­g darauf hinzuweise­n, dass ein Besuch des „Caffè al Bicerin“ein Muss ist, wenn man nach Turin kommt, und zwar vor allem im Winter. Im Cafè hat sich seit dem 19. Jahrhunder­t nichts verändert: dieselben Räume, die Marmortisc­he, das Porzellang­eschirr, der dunkle Tresen und die Glasbehält­er mit dem bunten Konfekt hinter der Kasse. Ein zeitloser Ort, an dem man sich den Geschmack der Piemontese­r Tradition gönnen sollte.

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