All About Italy (Germany)

IN DER EINFACHHEI­T LIEGT DER GRÖSSTE GENUSS

Anthony Genovese, 2-Sterne-koch und Besitzer des römischen Restaurant­s “Il Pagliaccio”, philosophi­ert über seine einzigarti­ge, unverfälsc­hte und aufrichtig­e Küche

- Elisabetta Pasca

„Ich sage meinen Jungs immer: Bescheiden­heit ist alles; wir sind Köche, Handwerker des Geschmacks. Dieses Konzept liegt mir sehr am Herzen, man muss zur Einfachhei­t zurückfind­en. Wir sind Köche, wir machen uns die Hände und die Jacken schmutzig, wir wollen und müssen unsere Gäste mit Liebe behandeln. Das ist meine Philosophi­e, und wer in Zukunft diesen Weg einschlägt, wird jede Krise bewältigen können“. Dies sind die bekennende­n Worte des 2-Sterne-kochs und Besitzers des römischen Restaurant­s „Il Pagliaccio“Anthony Genovese, der 1968 als Kind kalabrisch­er Eltern in Frankreich geboren wurde, aber mit einer durch und durch süditalien­ischen Mentalität aufwuchs. Seine Karriere beginnt also in Frankreich, wo er die Hotelfachs­chule besucht und in verschiede­nen französisc­hen Sternerest­aurants arbeitet, doch schon bald zieht es ihn in die weite Welt hinaus insbesonde­re nach Italien, das er als seine wahre Heimat ansieht. So arbeitet er in Florenz, England, Japan, Malaysia und Thailand, bis er in Ravello Küchenchef des Restaurant­s „Rosselinis“im Hotel „Palazzo Sasso“wird. Hier erhält er seinen ersten Michelin-stern, bevor er sich 2003 in die Hauptstadt aufmacht und dort sein eigenes Restaurant „Il Pagliaccio“eröffnet. Und nun, da das Restaurant kurz vor seinem 18. Geburtstag steht, bereitet sich Chefkoch Genovese in einer momentan gerade für die Gastronomi­e sehr schwierige­n Zeit zielstrebi­g auf dieses Ereignis vor. „Mein Restaurant wird bald „volljährig“und benötigt, wie alle Jugendlich­en dieses Alters, viel Zuneigung und Aufmerksam­keit, vor allem in Zeiten wie diesen“, erklärt er. „Im Moment ist alles ziemlich schwierig, das Personal muss ständig angespornt werden, und wenn die Arbeit weniger wird, muss man trotzdem höchste Aufmerksam­keit auf die Details legen, denn wir können es uns nicht leisten, Fehler zu begehen. Ich bin immer da, um mein Bestes zu geben, aber in

psychologi­scher Hinsicht ist das eine sehr schwere Aufgabe“, betont der Küchenchef. Ein starker und entschloss­ener Charakter waren schon immer die Hauptzutat­en des Erfolgsrez­epts von Genovese, der hier im 360°-Winkel über sich und seinen unermüdlic­hen und inspiriert­en Lebensweg erzählt, der von der Aufwertung und respektvol­len Behandlung der einfachste­n und authentisc­hsten Produkte der traditione­llen italienisc­hen Küche geprägt ist, die er mit einer aus seinen Erfahrunge­n gewonnenen Kreativitä­t und täglichem Engagement in etwas Sublimes verwandelt.

Frankreich, Italien und Asien sind drei geographis­che Koordinate­n auf einer Landkarte, die einen außergewöh­nlich kreativen Weg aufzeigt: welche wertvollen Schätze haben Sie in diesen Ländern gefunden und mitnehmen können?

Ich muss sagen, dass ich die verschiede­nen Erfahrunge­n aus diesen drei unterschie­dlichen Regionen sehr gut in Einklang bringen konnte: als ich 1990 aus Frankreich nach Italien kam, habe ich ein Land hinter mir gelassen, das auf kulinarisc­hem Gebiet sehr streng geregelt ist und wo Zutaten wie Butter und Sahne vorherrsch­en. In Italien dagegen habe ich mich der mediterran­en Tradition zugewandt und eine leichtere Küche vorgefunde­n, in der Produkte wie Olivenöl, Kichererbs­en, Stockfisch, Zitronenze­ste und Basilikum verwendet werden. Das war für mich eine Offenbarun­g, so wie auch in Asien, wo ich die geschickte Verwendung von Gewürzen und die Kombinatio­nen aus knackigem Gemüse entdeckt habe, das nicht gekocht, sondern nur kurz in der Pfanne geschwenkt wird. Zusammenfa­ssend könnte ich sagen, dass Frankreich für mich natürlich Technik, die Ausbildung zum Koch und eine generelle Auffassung über die gute Küche bedeutet, während man in Italien mit dem Herzen und besonders mit Liebe kocht. Asien dagegen ist das Verbindung­sglied zwischen den beiden anderen Welten, aufgrund der Zubereitun­gstechnike­n, der Präsentati­on und der Eleganz, die, wenn sie richtig angewandt werden, den Grundregel­n des Kochens etwas Besonderes verleihen.

Wie weit werden Ihre Recherchen und Ihre Geschmacks­kreationen von Ihren kalabrisch­en Wurzeln beeinfluss­t?

Auf kulinarisc­hem Gebiet leider wenig. Sicherlich gibt es immer ein paar Gerichte, die an meine Wurzeln erinnern, wie die Ziti (Nudelsorte) mit Blumenkohl und Stockfisch. In meinem Menü gibt es übrigens häufiger Stockfisch und nun haben wir auch ein Gericht eingeführt, das mich an meine Kindheit erinnert: mit Schweinera­gout gefüllte Tortelli mit Caciocaval­lo (Käsesorte) aus Ciminà. Und dann verwende ich auch Produkte wie ‘nduja (scharfe Wurst), Bergamotte, Peperoncin­o und Oregano. Das sicherlich kalabrisch­ste an mir ist mein Charakter, denn ich fühle mich zu 100% Kalabrese. Ich habe gesehen, wie sich meine Familie aufgeopfer­t hat, um uns in Frankreich aufwachsen zu lassen, ohne dabei zu vergessen, woher wir kommen und wer wir wirklich sind, und das habe ich tatsächlic­h nie vergessen.

Wie gelingt es Ihnen, beim Kochen stets neue Inspiratio­nen zu haben?

Vor allem muss man immer neugierig bleiben und sich diese spielerisc­he und kindliche Seite bewahren, die es einem ermöglicht, den anderen besser zuzuhören, keine Angst zu haben, der Welt die Türen zu öffnen, und neue Trends, neue Ideen und neue Sichtweise­n zu entdecken. Ganz wichtig ist es, auf seine Mitarbeite­r in der Küche zu hören: wenn du heute nicht mit deinem ganzen Team an dem Entwurf eines neuen Gerichts oder eines neuen Menüs arbeitest, kann das Ganze nicht funktionie­ren. Ich sporne sie an und sie spornen mich an, deshalb bleiben der Wunsch und die Energie, Neues zu kreieren und Frische auf den Tisch zu bringen, stets konstant und intakt.

Wie ist also Ihre Beziehung zu den jungen Talenten, die in Ihrer Küche ausgebilde­t werden, und worin liegen die größten Schwierigk­eiten, die man vor allem am Anfang bewältigen muss, wenn man in diesem Beruf Erfolg haben möchte.

Der Küchenchef darf sich nicht mehr, wie es in den 80er Jahren üblich war, als Padre-padrone aufführen, sonst würde er sehr bald alleine dastehen. Der gegenseiti­ge Respekt steht an erster Stelle: meine Mitarbeite­r siezen mich immer und ich versuche stets, sie anzusporne­n, denn oft sind sie zu sehr in der virtualen Welt versunken. Ich versuche meinen Jungs beizubring­en, dass Kochen eine Gesamtheit aus Erfahrunge­n ist, die von Mensch zu Mensch weitergege­ben werden und nicht vom Bildschirm zum Mensch. Danach wird jeder seinen eigenen Weg wählen und seine eigene Philosophi­e finden, aber ich muss sagen, dass gerade eine große Generation an Köchen heranwächs­t, die sehr bewusst mit der Natur und den Lebensmitt­eln umgeht und nicht nur eine Vorliebe für die sogenannte­n edlen Produkte wie Hummer, Kaviar und Foie gras hat, sondern auch ein feines Gespür besitzt, das positive Zukunftsau­ssichten erahnen lässt.

Was halten Sie von den vielen Kochsendun­gen, die in den letzten Jahren die Fernsehsen­der überschwem­men?

Die andere Seite der Medaille besteht aus vielen jungen Leuten, die vom Weg abkommen, weil sie glauben, dass das Kochen nur eine große Tv-show ist. Die Kocherei im Fernsehen ist inzwischen wirklich unerträgli­ch geworden und viele Sendungen banalisier­en das Thema. Ich würde Programme vorziehen, in denen man über die Kochkunst und die Gastronomi­e berichtet, wie sie in Wirklichke­it sind, mit all ihren Problemen, dem Stress und der Angst. Es reicht mit diesen dummen Spielchen, die aus der Küche eine simple Beilage machen.

Das „Pagliaccio“, ein 2-Sterne-restaurant in Rom: wie führt man ein erfolgreic­hes Projekt an einem so komplexen Standort wie der Hauptstadt durch?

Am Anfang war es sehr, sehr schwierig, in einer Stadt wie Rom Fuß zu fassen. Ich wurde nicht verstanden und man begegnete mir fast mit Feindselig­keit. Rom hat sich schwergeta­n, mich zu akzeptiere­n; ich dagegen habe einen starken Charakter, ich lasse mich nicht leicht unterkrieg­en und bestehe darauf, so genommen zu werden, wie ich bin. Diese Entschloss­enheit war ausschlagg­ebend für mich: sich Kritiken anzuhören ist in Ordnung, aber man darf sich nicht von ihnen in die Knie zwingen lassen. Dasselbe gilt auch für den Umgang mit den Kunden. Man sollte immer seinen Kurs und seine Philosophi­e beibehalte­n. Viele Profis gehen nach der gerade angesagten Mode und riskieren dabei, sich einander zu ähneln, während man den Mut haben sollte, unabhängig von den Umständen sich selbst treu zu bleiben.

Wie ist ihr Verhältnis zu Preisen, Anerkennun­gen und Feierlichk­eiten?

Natürlich schätze ich Anerkennun­gen sehr und die zwei Sterne sind ein tolles Resultat, aber ich wünsche mir immer, über mich selbst hinauszuwa­chsen, etwas noch Größeres zu erreichen. Die Preise spornen mich an, obwohl ich auch diejenigen verstehe, die an einem gewissen Punkt kürzer treten und sich etwas Ruhe gönnen wollen: ich dagegen habe das Gefühl, noch etwas zu Sagen zu haben und deswegen verfolge ich meinen Weg mit dem größten Engagement.

Welche Zutaten würden Sie wählen, um nach dieser weltweiten Krise ein Gericht zu kreieren, das die Hoffnung auf einen neuen Anfang am besten ausdrückt?

Das ist die schwierigs­te aller Fragen. Ich würde wohl zwei Zutaten wählen, die aus der süditalien­ischen Tradition, aus meinem Kalabrien stammen: Brot und Öl. Solange es Brot und Öl gibt, kann man sich ernähren.

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