IN DER EINFACHHEIT LIEGT DER GRÖSSTE GENUSS
Anthony Genovese, 2-Sterne-koch und Besitzer des römischen Restaurants “Il Pagliaccio”, philosophiert über seine einzigartige, unverfälschte und aufrichtige Küche
„Ich sage meinen Jungs immer: Bescheidenheit ist alles; wir sind Köche, Handwerker des Geschmacks. Dieses Konzept liegt mir sehr am Herzen, man muss zur Einfachheit zurückfinden. Wir sind Köche, wir machen uns die Hände und die Jacken schmutzig, wir wollen und müssen unsere Gäste mit Liebe behandeln. Das ist meine Philosophie, und wer in Zukunft diesen Weg einschlägt, wird jede Krise bewältigen können“. Dies sind die bekennenden Worte des 2-Sterne-kochs und Besitzers des römischen Restaurants „Il Pagliaccio“Anthony Genovese, der 1968 als Kind kalabrischer Eltern in Frankreich geboren wurde, aber mit einer durch und durch süditalienischen Mentalität aufwuchs. Seine Karriere beginnt also in Frankreich, wo er die Hotelfachschule besucht und in verschiedenen französischen Sternerestaurants arbeitet, doch schon bald zieht es ihn in die weite Welt hinaus insbesondere nach Italien, das er als seine wahre Heimat ansieht. So arbeitet er in Florenz, England, Japan, Malaysia und Thailand, bis er in Ravello Küchenchef des Restaurants „Rosselinis“im Hotel „Palazzo Sasso“wird. Hier erhält er seinen ersten Michelin-stern, bevor er sich 2003 in die Hauptstadt aufmacht und dort sein eigenes Restaurant „Il Pagliaccio“eröffnet. Und nun, da das Restaurant kurz vor seinem 18. Geburtstag steht, bereitet sich Chefkoch Genovese in einer momentan gerade für die Gastronomie sehr schwierigen Zeit zielstrebig auf dieses Ereignis vor. „Mein Restaurant wird bald „volljährig“und benötigt, wie alle Jugendlichen dieses Alters, viel Zuneigung und Aufmerksamkeit, vor allem in Zeiten wie diesen“, erklärt er. „Im Moment ist alles ziemlich schwierig, das Personal muss ständig angespornt werden, und wenn die Arbeit weniger wird, muss man trotzdem höchste Aufmerksamkeit auf die Details legen, denn wir können es uns nicht leisten, Fehler zu begehen. Ich bin immer da, um mein Bestes zu geben, aber in
psychologischer Hinsicht ist das eine sehr schwere Aufgabe“, betont der Küchenchef. Ein starker und entschlossener Charakter waren schon immer die Hauptzutaten des Erfolgsrezepts von Genovese, der hier im 360°-Winkel über sich und seinen unermüdlichen und inspirierten Lebensweg erzählt, der von der Aufwertung und respektvollen Behandlung der einfachsten und authentischsten Produkte der traditionellen italienischen Küche geprägt ist, die er mit einer aus seinen Erfahrungen gewonnenen Kreativität und täglichem Engagement in etwas Sublimes verwandelt.
Frankreich, Italien und Asien sind drei geographische Koordinaten auf einer Landkarte, die einen außergewöhnlich kreativen Weg aufzeigt: welche wertvollen Schätze haben Sie in diesen Ländern gefunden und mitnehmen können?
Ich muss sagen, dass ich die verschiedenen Erfahrungen aus diesen drei unterschiedlichen Regionen sehr gut in Einklang bringen konnte: als ich 1990 aus Frankreich nach Italien kam, habe ich ein Land hinter mir gelassen, das auf kulinarischem Gebiet sehr streng geregelt ist und wo Zutaten wie Butter und Sahne vorherrschen. In Italien dagegen habe ich mich der mediterranen Tradition zugewandt und eine leichtere Küche vorgefunden, in der Produkte wie Olivenöl, Kichererbsen, Stockfisch, Zitronenzeste und Basilikum verwendet werden. Das war für mich eine Offenbarung, so wie auch in Asien, wo ich die geschickte Verwendung von Gewürzen und die Kombinationen aus knackigem Gemüse entdeckt habe, das nicht gekocht, sondern nur kurz in der Pfanne geschwenkt wird. Zusammenfassend könnte ich sagen, dass Frankreich für mich natürlich Technik, die Ausbildung zum Koch und eine generelle Auffassung über die gute Küche bedeutet, während man in Italien mit dem Herzen und besonders mit Liebe kocht. Asien dagegen ist das Verbindungsglied zwischen den beiden anderen Welten, aufgrund der Zubereitungstechniken, der Präsentation und der Eleganz, die, wenn sie richtig angewandt werden, den Grundregeln des Kochens etwas Besonderes verleihen.
Wie weit werden Ihre Recherchen und Ihre Geschmackskreationen von Ihren kalabrischen Wurzeln beeinflusst?
Auf kulinarischem Gebiet leider wenig. Sicherlich gibt es immer ein paar Gerichte, die an meine Wurzeln erinnern, wie die Ziti (Nudelsorte) mit Blumenkohl und Stockfisch. In meinem Menü gibt es übrigens häufiger Stockfisch und nun haben wir auch ein Gericht eingeführt, das mich an meine Kindheit erinnert: mit Schweineragout gefüllte Tortelli mit Caciocavallo (Käsesorte) aus Ciminà. Und dann verwende ich auch Produkte wie ‘nduja (scharfe Wurst), Bergamotte, Peperoncino und Oregano. Das sicherlich kalabrischste an mir ist mein Charakter, denn ich fühle mich zu 100% Kalabrese. Ich habe gesehen, wie sich meine Familie aufgeopfert hat, um uns in Frankreich aufwachsen zu lassen, ohne dabei zu vergessen, woher wir kommen und wer wir wirklich sind, und das habe ich tatsächlich nie vergessen.
Wie gelingt es Ihnen, beim Kochen stets neue Inspirationen zu haben?
Vor allem muss man immer neugierig bleiben und sich diese spielerische und kindliche Seite bewahren, die es einem ermöglicht, den anderen besser zuzuhören, keine Angst zu haben, der Welt die Türen zu öffnen, und neue Trends, neue Ideen und neue Sichtweisen zu entdecken. Ganz wichtig ist es, auf seine Mitarbeiter in der Küche zu hören: wenn du heute nicht mit deinem ganzen Team an dem Entwurf eines neuen Gerichts oder eines neuen Menüs arbeitest, kann das Ganze nicht funktionieren. Ich sporne sie an und sie spornen mich an, deshalb bleiben der Wunsch und die Energie, Neues zu kreieren und Frische auf den Tisch zu bringen, stets konstant und intakt.
Wie ist also Ihre Beziehung zu den jungen Talenten, die in Ihrer Küche ausgebildet werden, und worin liegen die größten Schwierigkeiten, die man vor allem am Anfang bewältigen muss, wenn man in diesem Beruf Erfolg haben möchte.
Der Küchenchef darf sich nicht mehr, wie es in den 80er Jahren üblich war, als Padre-padrone aufführen, sonst würde er sehr bald alleine dastehen. Der gegenseitige Respekt steht an erster Stelle: meine Mitarbeiter siezen mich immer und ich versuche stets, sie anzuspornen, denn oft sind sie zu sehr in der virtualen Welt versunken. Ich versuche meinen Jungs beizubringen, dass Kochen eine Gesamtheit aus Erfahrungen ist, die von Mensch zu Mensch weitergegeben werden und nicht vom Bildschirm zum Mensch. Danach wird jeder seinen eigenen Weg wählen und seine eigene Philosophie finden, aber ich muss sagen, dass gerade eine große Generation an Köchen heranwächst, die sehr bewusst mit der Natur und den Lebensmitteln umgeht und nicht nur eine Vorliebe für die sogenannten edlen Produkte wie Hummer, Kaviar und Foie gras hat, sondern auch ein feines Gespür besitzt, das positive Zukunftsaussichten erahnen lässt.
Was halten Sie von den vielen Kochsendungen, die in den letzten Jahren die Fernsehsender überschwemmen?
Die andere Seite der Medaille besteht aus vielen jungen Leuten, die vom Weg abkommen, weil sie glauben, dass das Kochen nur eine große Tv-show ist. Die Kocherei im Fernsehen ist inzwischen wirklich unerträglich geworden und viele Sendungen banalisieren das Thema. Ich würde Programme vorziehen, in denen man über die Kochkunst und die Gastronomie berichtet, wie sie in Wirklichkeit sind, mit all ihren Problemen, dem Stress und der Angst. Es reicht mit diesen dummen Spielchen, die aus der Küche eine simple Beilage machen.
Das „Pagliaccio“, ein 2-Sterne-restaurant in Rom: wie führt man ein erfolgreiches Projekt an einem so komplexen Standort wie der Hauptstadt durch?
Am Anfang war es sehr, sehr schwierig, in einer Stadt wie Rom Fuß zu fassen. Ich wurde nicht verstanden und man begegnete mir fast mit Feindseligkeit. Rom hat sich schwergetan, mich zu akzeptieren; ich dagegen habe einen starken Charakter, ich lasse mich nicht leicht unterkriegen und bestehe darauf, so genommen zu werden, wie ich bin. Diese Entschlossenheit war ausschlaggebend für mich: sich Kritiken anzuhören ist in Ordnung, aber man darf sich nicht von ihnen in die Knie zwingen lassen. Dasselbe gilt auch für den Umgang mit den Kunden. Man sollte immer seinen Kurs und seine Philosophie beibehalten. Viele Profis gehen nach der gerade angesagten Mode und riskieren dabei, sich einander zu ähneln, während man den Mut haben sollte, unabhängig von den Umständen sich selbst treu zu bleiben.
Wie ist ihr Verhältnis zu Preisen, Anerkennungen und Feierlichkeiten?
Natürlich schätze ich Anerkennungen sehr und die zwei Sterne sind ein tolles Resultat, aber ich wünsche mir immer, über mich selbst hinauszuwachsen, etwas noch Größeres zu erreichen. Die Preise spornen mich an, obwohl ich auch diejenigen verstehe, die an einem gewissen Punkt kürzer treten und sich etwas Ruhe gönnen wollen: ich dagegen habe das Gefühl, noch etwas zu Sagen zu haben und deswegen verfolge ich meinen Weg mit dem größten Engagement.
Welche Zutaten würden Sie wählen, um nach dieser weltweiten Krise ein Gericht zu kreieren, das die Hoffnung auf einen neuen Anfang am besten ausdrückt?
Das ist die schwierigste aller Fragen. Ich würde wohl zwei Zutaten wählen, die aus der süditalienischen Tradition, aus meinem Kalabrien stammen: Brot und Öl. Solange es Brot und Öl gibt, kann man sich ernähren.