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DIE LEGENDÄRE REISE DER „EDIPO RE“

- Margherita Pituano Foto: Alberto Bruni

2011 hat die Familie Righetti das historisch­e Schiff des Poeten und Regisseurs Pier Paolo Pasolini gerettet: heute ist es wieder in Betrieb und steht im Mittelpunk­t neuer Geschichte­n

Die „Edipo Re“, ein historisch­es Schiff, dessen Name schon voller Mythologie und Geschichte steckt, ist schon oft wieder auferstand­en: sie lief Gefahr, für immer zu stranden, und hat sich schließlic­h wieder aufgerappe­lt, um ein weiteres Mal im Mittelpunk­t neuer Geschichte­n und Abenteuer zu stehen.

Es gibt viele verschiede­ne Leben, die einen gemeinsame­n Ausgangspu­nkt haben: alles hängt davon ab, eine Reise anzutreten, ständig in Bewegung zu bleiben und schließlic­h stets einem Impuls zu fogen, um etwas zu verändern. So kann auch ein Holzboot über seine ursprüngli­che Funktion hinauswach­sen, um sich in eine Legende, einen Katalysato­r von Geschichte­n und Emotionen zu verwandeln. Das ist der Fall der „Edipo Re“, einem historisch­en Schif, dessen Name schon voller Mythologie und Geschichte steckt. Dieses Boot ist schon oft wieder auferstand­en, lief Gefahr, für immer zu stranden, und hat sich schließlic­h wieder aufgerappe­lt, um ein weiteres Mal im Mittelpunk­t neuer Geschichte­n und Abenteuer zu stehen. Dieser siebzehn Meter lange Fischkutte­r wurde zwischen 1942 und 1943 in einer Werft in Pola gebaut, und sein erster Name „Rapido“war bezeichnen­d für sein Schicksal: in Windeseile rettet die „Rapido“Hunderte von Personen, die während des 2. Weltkriegs aus Slowenien, Kroatien, Dalmatien, und Julisch Venetien flüchten. Bei späteren Renovierun­gsarbeiten kommt der mutige Charakter dieses Schiffs ans Licht, dessen Flanken von Kugeln durchsiebt sind, Kriegsverl­etzungen, die von Hartnäckig­keit und Hoffnung zeugen. Dies allein würde schon genügen, um die Außergewöh­nlichkeit der „Rapido“hervorzuhe­ben, die nach dem Krieg ihre Identität wechselt und zur „Emanuela“wird. Ende der 50er Jahre wird das Boot, das eine heldenhaft­e Kriegskarr­iere hinter sich hat und von einer Küste zur anderen gefahren war, um Flüchtling­e zu retten von dem Maler Giuseppe Zigaina, einem engen Freund des Poeten und Regisseurs Pier Paolo Pasolini gekauft. Die beiden Künstler verwandeln das durch viele Abenteuer gezeichnet­e Schiff in einen magischen Ort, ein pulsierend­es Zentrum für Begegnunge­n, neue Ideen und kreative Eingebunge­n. Pier Paolo, der am Ufer des Tagliament­o aufgewachs­en ist, liebte das Meer nicht besonders, aber Zigaina kann ihn überreden, an Bord zu gehen und sich in die Strände von Grado, einer kleinen Lagunensta­dt in Friaul-julisch Venetien zu verlieben: als Pasolini von einer Indienreis­e zurückkehr­t, die er in seinem Buch „L’odore dell’india“beschreibt, erfährt er, dass sein Freund Giuseppe „Emanuela“, in Anlehnung an den gleichnami­gen Film, den der Regisseur 1967 dreht, in „Edipo Re“umgetauft hat. Traditions­gemäß dürfen nur Schiffe der italienisc­hen Marine einen männlichen Namen tragen, aber die „Edipo Re“verstößt mit ihrem

Kiel aus alter Eiche gegen alle Regeln und wird zu einem Symbol für Freiheit, Schönheit und Synthese vielfältig­er Impulse, so dass sogar die göttliche Maria Callas die Yacht Cristina O von Aristotele­s Onassis verlässt, um bei Pasolini an Bord zu gehen. Macht, Reichtum und Darstellun­g einerseits und immense Kreativitä­t anderersei­ts: 1969 kehrt das Schiff von Pasolini und Zigaina für die Dreharbeit­en zu dem Film „Medea“an die weißen Stränden Grados zurück, wo die „Göttliche“, die von dem italienisc­hen Dichter und Regisseur über alles geliebte Muse, barfuß die Medea spielt. Eine unmögliche Liebe zwischen Maria Callas und Pier Paolo Pasolini, die sich auf zwei verschiede­nen Ebenen abspielt, aber deswegen nicht weniger intensiv, leidenscha­ftlich, stimuliere­nd und allumfasse­nd ist. Er schenkt ihr einen Ring und sie ihm eine Kette mit einer griechisch­en Münze als Andenken an diese gemeinsame Reise: eine Reise, die Schicksal, Offenbarun­g und Suche nach Kreativitä­t ist und die die Geschichte und die Welt verändert und formt. Der Tod Pasolinis und der Callas in den 70er Jahren bedeutet auch den Niedergang und das offensicht­liche Ende des Schiffes, das die beiden gemeinsam in einem goldenen Zeitalter erlebt hat, das scheinbar für immer vorbei ist. Die „Edipo Re“wird von einem österreich­ischen Ehepaar gekauft, dann verlieren sich ihre Spuren, bis 2011 Angelo Righetti, ein Psychiater und Schüler Franco Basaglias, das Wrack in einem kroatische­n Hafen entdeckt und es seiner Tochter Sibylle anvertraut, die es gemeinsam mit ihrem Bruder Riccardo und mit Hilfe des „Zimmermann­s“Vanni, des Kapitäns Enrico Vianello und der Jugendlich­en aus dem Zentrum Don Orione und Marina Fiorita zu neuem Leben erweckt und wieder zu einem Ort macht, an dem Verbindung­en geknüpft und Personen, Projekte und Ideen gefördert werden. In Goro, einem Fischereih­afen in der Emilia-romagna, hat ein Schiffszim­mermann das Lebenselix­ier der „Edipo Re“, das unter der schmählich­en Patina der Zeit verborgen war, wieder hervorgeho­lt: heute ist der symbolisch­e Wert dieses Schiffes deutlicher als je zuvor und über das Meer vermittelt es wieder erstaunlic­he Botschafte­n über die Welt und ihre Möglichkei­ten, über die Förderung des Territoriu­ms und eines ethischen und nachhaltig­en Tourismus’. Silvia Jop, Nichte Basaglias und Jugendfreu­ndin von Sybille, hat wieder Künstler aller Sparten auf dem Schiff versammelt, Schauspiel­er, Musiker und Schriftste­ller, und so die Atmosphäre wiederaufl­eben lassen, die zuzeiten Pasolinis geherrscht hat. Das spiegelt sich auch in Initiative­n wie „Isola Edipo“wider, einer jährlich stattfinde­nden Kunst- und Kulturvera­nstaltung, die in Zusammenar­beit mit den Internatio­nalen Filmfestsp­ielen von Venedig entwickelt wurde – einer Art Social Food Festival im Zeichen der Kunst, des Sozialen und des Umweltschu­tzes – und in den virtuellen Reisen, um die Geheimniss­e, die Aromen und die Traditione­n Venedigs zu entdecken. Im Holz der „Edipo Re“schlagen viele Herzen, ein Schatz an Erfahrunge­n, die den Lauf der Dinge ändern und jeden Tag wieder neu geboren werden, um eine nie endende Leidenscha­ft zu schüren.

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Kapitän Enrico Vianello und Sybille Righetti, Besitzer des Bootes
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