DIE LEGENDÄRE REISE DER „EDIPO RE“
2011 hat die Familie Righetti das historische Schiff des Poeten und Regisseurs Pier Paolo Pasolini gerettet: heute ist es wieder in Betrieb und steht im Mittelpunkt neuer Geschichten
Die „Edipo Re“, ein historisches Schiff, dessen Name schon voller Mythologie und Geschichte steckt, ist schon oft wieder auferstanden: sie lief Gefahr, für immer zu stranden, und hat sich schließlich wieder aufgerappelt, um ein weiteres Mal im Mittelpunkt neuer Geschichten und Abenteuer zu stehen.
Es gibt viele verschiedene Leben, die einen gemeinsamen Ausgangspunkt haben: alles hängt davon ab, eine Reise anzutreten, ständig in Bewegung zu bleiben und schließlich stets einem Impuls zu fogen, um etwas zu verändern. So kann auch ein Holzboot über seine ursprüngliche Funktion hinauswachsen, um sich in eine Legende, einen Katalysator von Geschichten und Emotionen zu verwandeln. Das ist der Fall der „Edipo Re“, einem historischen Schif, dessen Name schon voller Mythologie und Geschichte steckt. Dieses Boot ist schon oft wieder auferstanden, lief Gefahr, für immer zu stranden, und hat sich schließlich wieder aufgerappelt, um ein weiteres Mal im Mittelpunkt neuer Geschichten und Abenteuer zu stehen. Dieser siebzehn Meter lange Fischkutter wurde zwischen 1942 und 1943 in einer Werft in Pola gebaut, und sein erster Name „Rapido“war bezeichnend für sein Schicksal: in Windeseile rettet die „Rapido“Hunderte von Personen, die während des 2. Weltkriegs aus Slowenien, Kroatien, Dalmatien, und Julisch Venetien flüchten. Bei späteren Renovierungsarbeiten kommt der mutige Charakter dieses Schiffs ans Licht, dessen Flanken von Kugeln durchsiebt sind, Kriegsverletzungen, die von Hartnäckigkeit und Hoffnung zeugen. Dies allein würde schon genügen, um die Außergewöhnlichkeit der „Rapido“hervorzuheben, die nach dem Krieg ihre Identität wechselt und zur „Emanuela“wird. Ende der 50er Jahre wird das Boot, das eine heldenhafte Kriegskarriere hinter sich hat und von einer Küste zur anderen gefahren war, um Flüchtlinge zu retten von dem Maler Giuseppe Zigaina, einem engen Freund des Poeten und Regisseurs Pier Paolo Pasolini gekauft. Die beiden Künstler verwandeln das durch viele Abenteuer gezeichnete Schiff in einen magischen Ort, ein pulsierendes Zentrum für Begegnungen, neue Ideen und kreative Eingebungen. Pier Paolo, der am Ufer des Tagliamento aufgewachsen ist, liebte das Meer nicht besonders, aber Zigaina kann ihn überreden, an Bord zu gehen und sich in die Strände von Grado, einer kleinen Lagunenstadt in Friaul-julisch Venetien zu verlieben: als Pasolini von einer Indienreise zurückkehrt, die er in seinem Buch „L’odore dell’india“beschreibt, erfährt er, dass sein Freund Giuseppe „Emanuela“, in Anlehnung an den gleichnamigen Film, den der Regisseur 1967 dreht, in „Edipo Re“umgetauft hat. Traditionsgemäß dürfen nur Schiffe der italienischen Marine einen männlichen Namen tragen, aber die „Edipo Re“verstößt mit ihrem
Kiel aus alter Eiche gegen alle Regeln und wird zu einem Symbol für Freiheit, Schönheit und Synthese vielfältiger Impulse, so dass sogar die göttliche Maria Callas die Yacht Cristina O von Aristoteles Onassis verlässt, um bei Pasolini an Bord zu gehen. Macht, Reichtum und Darstellung einerseits und immense Kreativität andererseits: 1969 kehrt das Schiff von Pasolini und Zigaina für die Dreharbeiten zu dem Film „Medea“an die weißen Stränden Grados zurück, wo die „Göttliche“, die von dem italienischen Dichter und Regisseur über alles geliebte Muse, barfuß die Medea spielt. Eine unmögliche Liebe zwischen Maria Callas und Pier Paolo Pasolini, die sich auf zwei verschiedenen Ebenen abspielt, aber deswegen nicht weniger intensiv, leidenschaftlich, stimulierend und allumfassend ist. Er schenkt ihr einen Ring und sie ihm eine Kette mit einer griechischen Münze als Andenken an diese gemeinsame Reise: eine Reise, die Schicksal, Offenbarung und Suche nach Kreativität ist und die die Geschichte und die Welt verändert und formt. Der Tod Pasolinis und der Callas in den 70er Jahren bedeutet auch den Niedergang und das offensichtliche Ende des Schiffes, das die beiden gemeinsam in einem goldenen Zeitalter erlebt hat, das scheinbar für immer vorbei ist. Die „Edipo Re“wird von einem österreichischen Ehepaar gekauft, dann verlieren sich ihre Spuren, bis 2011 Angelo Righetti, ein Psychiater und Schüler Franco Basaglias, das Wrack in einem kroatischen Hafen entdeckt und es seiner Tochter Sibylle anvertraut, die es gemeinsam mit ihrem Bruder Riccardo und mit Hilfe des „Zimmermanns“Vanni, des Kapitäns Enrico Vianello und der Jugendlichen aus dem Zentrum Don Orione und Marina Fiorita zu neuem Leben erweckt und wieder zu einem Ort macht, an dem Verbindungen geknüpft und Personen, Projekte und Ideen gefördert werden. In Goro, einem Fischereihafen in der Emilia-romagna, hat ein Schiffszimmermann das Lebenselixier der „Edipo Re“, das unter der schmählichen Patina der Zeit verborgen war, wieder hervorgeholt: heute ist der symbolische Wert dieses Schiffes deutlicher als je zuvor und über das Meer vermittelt es wieder erstaunliche Botschaften über die Welt und ihre Möglichkeiten, über die Förderung des Territoriums und eines ethischen und nachhaltigen Tourismus’. Silvia Jop, Nichte Basaglias und Jugendfreundin von Sybille, hat wieder Künstler aller Sparten auf dem Schiff versammelt, Schauspieler, Musiker und Schriftsteller, und so die Atmosphäre wiederaufleben lassen, die zuzeiten Pasolinis geherrscht hat. Das spiegelt sich auch in Initiativen wie „Isola Edipo“wider, einer jährlich stattfindenden Kunst- und Kulturveranstaltung, die in Zusammenarbeit mit den Internationalen Filmfestspielen von Venedig entwickelt wurde – einer Art Social Food Festival im Zeichen der Kunst, des Sozialen und des Umweltschutzes – und in den virtuellen Reisen, um die Geheimnisse, die Aromen und die Traditionen Venedigs zu entdecken. Im Holz der „Edipo Re“schlagen viele Herzen, ein Schatz an Erfahrungen, die den Lauf der Dinge ändern und jeden Tag wieder neu geboren werden, um eine nie endende Leidenschaft zu schüren.