Mehr Mut wagen
▶ Ende Oktober waren Cem Özdemir und Claudia Roth an der Reihe. Den gleichermaßen mutigen Grünen-politikern gingen E-mails zu. Der mutmaßlich deutsche Ableger der rechtsextremistischen Gruppe „Atomwaffen Division“teilte darin mit, ihre Namen stünden an vorderster Stelle auf einer Todesliste. So weit, so erschreckend.
Das wirklich Erschreckende ist, dass derlei Todesdrohungen längst an der Tagesordnung sind und so auch die Gewöhnung daran. Im thüringischen Landtagswahlkampf richteten sie sich gegen die Spitzenkandidaten von CDU und Grünen, Mike Mohring und Dirk Adams. Auch die beiden waren nur die bis dahin Letzten auf einer langen Liste. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wurde mit einem Messer attackiert, so wie ihr Kollege im westfälischen Altena, Andreas Hollstein. Sie hatten Glück – anders als der Regierungspräsident von Kassel, Walter Lübcke. Der Bürgermeister der sachsen-anhaltinischen Gemeinde Tröglitz, Markus Nierth, nahm unter dem Druck von Drohungen seinen Hut.
Die Ziele der Rechtsextremisten sind klar. Zunächst geht es darum, den politisch aktiven linken und liberalen Teil des Spektrums einzuschüchtern. Aus Sicht der Angreifer reicht er bis in die CDU hinein. Der Politik soll der Mut genommen werden, weiter Stellung zu beziehen. Überdies sollen jene Bürger, die erwägen, sich über die Beteiligung an Wahlen hinaus einzubringen, davon abgehalten werden. Gelingt dies, ist die Demokratie am Ende. Das darf nicht sein. Vielmehr ist eine paradoxe Reaktion nötig. Es sollten sich viel mehr Menschen zu politischem Engagement herausgefordert fühlen. Dann haben die wenigen Extremisten keine Chance.