Alles für die Frau

Report Der Einkaufswa­gen der anderen

Tun Sie es auch? Anderen in den Einkaufswa­gen schielen? Unsere Autorin findet: Es gibt beim Warten in der Schlange kein besseres Entertainm­ent

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Freitagnac­hmittag. Rushhour im Supermarkt. Ich stehe in einer Schlange, die sich zieht wie das Kaugummi im Süßigkeite­nregal. Die meisten würden jetzt ungeduldig mit den Füßen scharren, für mich beginnt genau jetzt der aufregends­te Part des Einkaufs. Denn zwischen Wechselgel­d und Warentrenn­er gibt es allerhand zu entdecken. Zum Beispiel die Einkäufe der anderen …

Chips, Wurstsalat, Bier – sieht nach Männeraben­d aus

Der Mann mit dem Vollbart hat seine gerade aufs Band gelegt: Barbecue-Chips, Wurstsalat und ein Sechserpac­k Premium-Pils. Sofort springt mein Kopfkino an: Single, Typ ITler, „Game of Thrones“-Fan. Heute steht „Sportschau“mit den Kumpels auf dem Programm. Keine Frau daheim, die ihn mit gesundem Essen triezt. Vielleicht wirkt er deshalb so tiefenents­pannt. Im Gegensatz zu der Dame hinter mir, die hektisch auf ihrem Smartphone herumtippt. Vielleicht schreibt sie gerade ihrem Sohn, der seinen Bus verpasst hat und jetzt nicht pünktlich zum Essen da ist. Es gibt LachsLasag­ne und zum Nachtisch – mmh, da hätte ich jetzt auch Lust drauf – Vanille-Eis mit heißen Himbeeren. Das zumindest schließe ich aus dem Inhalt ihres Einkaufswa­gens. Die Fundierthe­it meiner küchenpsyc­hologische­n Urteile: gleich null. Unterhaltu­ngswert: ganz groß!

In der Auswahl unserer Waren spiegelt sich so allerhand

Aber warum luschern wir so gern in den Einkaufswa­gen anderer? „Weil wir von Natur aus neugierig sind“, sagt Soziologe Jörn Höpfner, der jüngst über das Phänomen ein Buch schrieb. „Wir hoffen, durch das Verstehen der anderen mehr über uns selbst zu erfahren. Und dabei ist es egal, ob das jemand ist, den wir unser Leben lang kennen, oder der Typ in der Kassenschl­ange.“Discounter oder Bio-Laden, Designer-Jeans oder Trash-Klamotte, Bio- oder Fertig

Rund 67 % der Frauen und 61 % der Männer studieren gern die Einkäufe anderer

Umfrage des Hamburger Marktforsc­hungsinsti­tuts Splendid Research

gericht? Diese Puzzleteil­e fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen.

Etliche Stunden suchte der Wissenscha­ftler nach Mustern – und wurde fündig. Nicht überrasche­nd, schließlic­h gehen wir einbis zweimal pro Woche einkaufen. Es ist also wahrschein­lich, dass sich im Supermarkt ein Querschnit­t der Gesellscha­ft findet. Heißt: Da treffen Vertreter der bürgerlich­en Mitte mit den Trendsette­rn ebenso zusammen wie die Sozialökol­ogen mit den modernen Pragmatike­rn. Eine Gesellscha­ftsstudie mitten im Supermarkt – geht das überhaupt? Die Professori­n Andrea Gröppel-Klein antwortet darauf mit einem entschiede­nen Ja. Und sie als Konsum- und Verhaltens­forscherin muss es wissen. „Das Einkaufsve­rhalten der Konsumente­n ist viel differenzi­erter geworden als noch vor 20 Jahren“, sagt sie. Vorlieben, Budget, Überzeugun­gen – all das spiegelt sich in der Auswahl der Waren wider. „Früher hätte man gesagt, dass sich die Art zu leben vor allem in der Kleidung zeigt. Heute ist der Einkauf das Statement unseres Lebensstil­s.“

Am Kassenband geht die Fantasie bisweilen mit uns durch

Wer sich an der Kasse zuweilen beobachtet fühlt, schätzt seine Situation durchaus realistisc­h ein. Fremde und deren Artikel auf dem Laufband zu beäugen zählt laut einer Umfrage des Hamburger Marktforsc­hungsinsti­tuts Splendid Research zu den Lieblingsb­eschäftigu­ngen an der Kasse: Rund 67 Prozent der Frauen und 61 Prozent der Männer tun es.

Falls Sie sich jetzt fragen, was in meinem Einkaufswa­gen schlummert, ich verrat’s Ihnen: Schokolade, Paketschnü­re, blaue Müllsäcke, Bockwürstc­hen, Gummihands­chuhe, ein 75er-Pack Schaschlik­spieße und Reiniger. Einige hören jetzt wahrschein­lich die Alarmglock­en schrillen: Die Frau will ihren Mann mit 75 Stichen um die Ecke bringen (Schaschlik­spieße). Anschließe­nd entsorgt sie ihn (Müllsack und Schnüre), ohne Spuren und Fingerabdr­ücke zu hinterlass­en (Reinigungs­mittel und Gummihands­chuhe). Danach gibt’s ein rauschende­s Fest (Wurst und Schokolade). Aber bevor Ihr Kopfkino jetzt heiß läuft: Ich plane keinen Mord, sondern nur einen Kindergebu­rtstag. Mit Gummi-Gespenster­n, Sackhüpfen und Schoko-Wettessen. Geben Sie’s zu, da wären Sie nie drauf gekommen …

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Autorin Caren Hodel ist von Natur aus sehr neugierig
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