„Ich kann mir keine Gesichter mehr merken“
Mal jemanden nicht wiederzuerkennen, ist jedem schon passiert. Aber für diese Amerikanerin ist das Alltag …
Eines Nachts sitzt Tara Fall im Wohnzimmer ihres Hauses in Kalifornien. Sie kann nicht schlafen. Als sie das Handy ihres Mannes auf dem Couchtisch entdeckt, öffnet sie seine Foto-Galerie. Und erschrickt: Auf einem Bild posiert ihr Mann mit einer sehr jungen blonden Frau, Arm in Arm, beide lachen, wirken vertraut. Betrügt Ron sie mit einer anderen?
Sie merkt, dass sie ihr eigenes Kind nicht mehr erkennt
Dann schließlich erkennt Tara das Kleid der Fremden. So eins hatte sie auch mal … Und ihr wird klar: Das Kleid hatte sie ihrer älteren Tochter Ana geschenkt. Rückblick: Im Januar 2003 hat die Amerikanerin mit gerade mal 28 Jahren einen Schlaganfall – die Folge eines epileptischen Anfalls, unter denen sie schon als Kind litt. Sie erholt sich schnell, kommt bald wieder aus dem Krankenhaus. Doch etwas ist anders. Immer wieder gerät Tara in seltsame Situationen. „Zum ersten Mal fiel mir im Supermarkt auf, dass ich ein Problem habe, Menschen wiederzuerkennen“, erzählt sie. Damals stellt sich eine Frau vor sie und grüßt sie freundlich. „Um höflich zu sein, grüßte ich sie natürlich auch“, erinnert sich Tara. Erst als die Frau ein Gespräch beginnt und Tara die Stimme erkennt, macht es klick. Es war ihre Chefin!
„Es war egal, wie gut ich die Leute kannte. Einmal war ich mit meiner besten Freundin zum Essen verabredet. Aber ich entdeckte sie erst, als sie mir zuwinkte“, erzählt Tara. Schließlich geht sie zum Arzt. Der stellt schließlich die Diagnose: Prosopagnosie – auch Gesichtsblindheit genannt. Laut einer aktuellen Studie der Uni Münster leiden weltweit fast drei Prozent aller Männer und Frauen unter einer angeborenen Gesichtserkennungsschwäche, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann.
Gesichter zuzuordnen, fällt Tara immer schwerer
Taras Schwäche ist extrem und wird immer schlimmer. Heute erkennt sie kaum noch eine Person anhand ihres Gesichts. Weder Nachbarn noch Freunde, nicht mal ihre eigenen Töchter Ana und Kylee. „Aber ich habe gelernt, damit zu leben“, sagt Tara. „Mein Mann zieht sich zum Beispiel immer auffällig bunte Oberteile an, damit er aus der Menge hervorsticht.“
Außerdem hat Tara gelernt, auf Stimmfarben und Körpersprache zu achten. „So weiß ich oft schon von Weitem, ob ich die Person kenne oder nicht.“Und wenn das alles nicht hilft? „Dann einfach immer freundlich grüßen“, sagt Tara und muss lächeln. „Ein ,Hallo‘ geht immer, auch bei Fremden.“Am Ende kann Tara ihrer Schwäche daher auch etwas Positives abgewinnen: „Sie hat mich zu einem freundlicheren Menschen gemacht.“