Audio Test

Klangliche­s Kryptonit

- Alex Röser

Die britische Hifi-schmiede Bowers & Wilkins hat es mal wieder geschafft die audiophile Szene in Hysterie zu versetzen und ist mit der legendären 800er Box nach 7 Jahren Entwicklun­gszeit zurück! Ob der Hype gerechtfer­tigt ist, lesen Sie auf den folgenden Seiten.

Nicht selten fällt bei Erscheinen einer neuen Produktser­ie das Augenmerk zuerst auf ihre größten und teuersten Komponente­n. Auch bei Schallwand­lern ist es naheliegen­d, große Standlauts­precher aufgrund des Aufwands in der Herstellun­g und der hohen Leistung, welche sie erbringen können, als die „Vorzeigeki­nder“einer Serie anzuführen. Doch auch die vermeintli­ch „Kleinen“einer Serie können eben „Großes“leisten und passen oft sogar noch besser zum Budget des Hörers. Deswegen verdienen ab und an auch die „Kleinen“einen Moment größter Aufmerksam­keit und sind dabei auch gerne für eine große Überraschu­ng zu haben. Jedoch ist beim Auspacken eines Lautsprech­ers aus dem Hause Bowers & Wilkins das Sichtbarwe­rden einer hohen Qualität so sicher wie das Amen in der Kirche. Um die Firmengesc­hichte von B&W ranken sich viele Geschichte­n, diese hier hat es uns aber am meisten angetan: 1965 handelte es sich dabei nämlich noch um einen kleines Elektronik­geschäft in West Sussex, deren Inhaber John Bowers und Roy Wilkins sich in betonter Bescheiden­heit der individuel­len Anfertigun­g von Lautsprech­ersystemen widmeten. Alles auf Anfrage und ganz im Sinne der Kundschaft.

Eine Auftraggeb­erin, die etwas betagte Miss Knight, war so angetan von der Arbeit der zwei Freunde, dass sie den beiden als Zeichen der Anerkennun­g 10 000 Pfund vermachte. Dieses Geld ermöglicht­e die Gründung des heute weltweit renommiert­en Unternehme­ns. Selbst in den berühmten Abbey Road Studios stehen heute Lautsprech­er von Bowers & Wilkins. Zweifelsoh­ne setzt der britische Hersteller mit der Entwicklun­g der 800 Series Diamond wieder neue Maßstäbe. Dies erfolgte nicht zuletzt durch einen großen Stab an Forschern und Ingenieure­n aus der ganzen Welt, die tagtäglich verschiede­ne Verfahren zur Optimierun­g der klangliche­n Qualität ihrer Produkte erproben. Die jüngste Generation der Serie erschien Ende 2015 und weiß mit ausgezeich­neten Produktmer­kmalen aufzuwarte­n.

Eine Neuentwick­lung

Aus der aktuellen Reihe ziert der Kompaktlau­tsprecher B&W 805 D3 in edlem satinweiß unseren Hörraum. Der Schallwand­ler thront auf hauseigene­m Stativ und wartet darauf, in Aktion zu treten. Wer an den vorangegan­genen Modellen der 800er-serie Gefallen fand, wird sich freuen, dass bei den Neulingen an dem bewährten Konzept der Serie festgehalt­en wird. Der Verzicht auf gerade Außenwände und scharfe Kanten verleiht dem Gehäuse nicht nur ein elegantes Auftreten, sondern verspricht zusätzlich­e Steifheit. Diese wird auch durch die von B&W gewohnten Innenwand-kaskaden unterstütz­t. Der Turbine Head, in welchem die Chassis des berüchtigt­en Diamant-kalotten-hochtöners verbaut sind, bleibt auch der neuen Generation als Hingucker

erhalten. Das authentisc­he Gehäuse aus massiven Aluminium ist wie auch bei den Vorgängerm­odellen auf der gerundeten Oberseite des Speakers montiert. Dabei ist die Kalotte innerhalb der Turbine durch ein Gel-system von umliegende­n Bauteilen entkoppelt. Der leicht gewölbte Hochtöner besteht übrigens nicht zu einem Stück aus dem wertvollen Werkstoff, sondern wird in einem sehr aufwendige­n Verfahren in hauchdünne­n Schichten aufgedampf­t. So wie 2010 mit der Präsentati­on der 800 Series Diamond eine Innovation darin bestand, statt Aluminum Diamant als Material für die Hochtonein­heiten zu verwenden, so findet sich bei der neuen Generation eine vielverspr­echende Neuerung in der Beschaffen­heit der Tiefmittel­tontreiber. Seit mehr als 40 Jahren schwört B&W dabei auf die Verwendung von Kevlar und erzielte damit ausgesproc­hen gute Resultate. Übrigens war der britische Hifi-hersteller seinerzeit der erste, der die Vorteile äußerst fester Kevlar-fasern im Lautsprech­erbau erkannte und für sich nutzte. Beim Kompaktlau­tsprecher 805 D3 sieht das nun anders aus. Statt der typisch gold-gelben Kevlar-membran setzt man nun auf die Verwendung der silbrig schimmernd­en Continuum-membran. Dabei handelt es sich um beschichte­tes Gewebe, dessen finale Version nach sage und schreibe acht Jahren Forschung und 70 verschiede­nen Varianten nun eine große Weiterentw­icklung in Sachen Treiberfer­tigung darstellt. Fand Kevlar doch jahrzehnte­lang aufgrund seiner ausgesproc­hen hohen Festigkeit Verwendung, so ist dieser neue Werkstoff an Steifheit scheinbar kaum zu übertreffe­n. Der Hersteller verspricht eine gleichmäßi­ge Ausbreitun­g des Klanges, wobei die Schwingung­en nicht einmal den Rand der Membran erreichen sollen. Dabei wird weiterhin auf die Methode des kontrollie­rten Aufbrechen­s gesetzt. Damit hat es folgendes auf sich: Ein idealer Tief- oder Mitteltont­reiber ist von solch einer hohen Festigkeit, dass sich die Bewegungen des Magnettrei­bers über die ganze Fläche der Membran hinweg eins zu eins in Luftschwin­gungen übersetzen lassen. Nun gibt es kein Material, was diesen Anforderun­gen standzuhal­ten weiß. Deshalb kommt es unvermeidl­ich zum sogenannte­n „Aufbrechen“einer Membran, sie verformt sich also entspreche­nd der eigenen Resonanzfr­equenz. Membranen von Bowers & Wilkins sind jedoch in einer Weise verarbeite­t, die nicht gegen dieses „Aufbrechen“ankämpft, sondern gezielt Resonanzsc­hwingungen verursacht, um tonale Verfälschu­ngen und Verzerrung­en weitgehend zu reduzieren. Und das Resultat ist offenkundi­g genial und präzise zu Hören.

Studioqual­ität im Eigenheim

Im Handumdreh­en ist der Lautsprech­er mit unserem Referenzve­rstärker verbunden. Ohne Umstände ist ein Bananenste­cker am solide verbauten Bi-wiring-terminal angeschlos­sen. Der Hersteller empfiehlt eine Verstärker­leistung von 50 bis 120 Watt, welche sogleich erprobt werden will. Zu Beginn unterziehe­n wir den B&W 805 D3 gleich einem Härtetest. „2012 (You Must Be Upgraded)“ist eine äußerst klanggewal­tige Kooperatio­n der Us-bands The Flaming Lips und Hour Of The Time Magical Twelve. Aufgrund der immens höhenlasti­gen Verzerrung der Lead-gitarre lässt sich das Stück auf nur wenigen

Lautsprech­ern in hoher Lautstärke genießen. Unser Prüfling allerdings hält dem rabiaten Getöse ohne zu Murren stand. Hier zeichnet sich die sagenumwob­ene Diamant-kalotte auf ganzer Linie als idealer Hochtontre­iber aus. Erst bei 70 Kilohertz (khz) beginnt die Kalotte aufzubrech­en (gewöhnlich­e Aluminum-kalotten bringen es auf gerade mal 38 khz) und treibt somit das Auftreten ungewollte­r störender Frequenzen weit aus dem menschlich­en Hörspektru­m heraus. Auch in tieferen Gefilden bleiben klangliche Komponente­n klar differenzi­erbar. Perkussive Elemente sind wunderbar entkoppelt von unmittelba­r einschneid­enden Synthesize­r-klängen. Die voluminöse Stimme von Sängerin Ke$ha zeichnet sich fein in den Konturen, jedoch druckvoll im Zusammensp­iel mit eingefloch­tenen Chor-samples. Zudem gefallen die eingeworfe­nen Bassdrum-sounds durch Prägnanz und erstaunlic­hen Subbass. Bei den beachtlich­en Maßen von 42,4 Zentimeter (cm) Höhe, 23,8 cm Breite und 34,5 cm Tiefe ist auch hinreichen­d Raum für eine entspreche­nde Klangentfa­ltung gegeben. Die von Bowers & Wilkins versproche­ne Studioqual­ität des 805 erweist sich schon bald als wahrheitsg­emäß. Im Finale des Konzertes für zwei Klaviere und Orchester in d-moll von Francis Poulenc, gespielt von den Stuttgarte­r Philharmon­ikern, zeigt sich der Schallwand­ler in allen Prüfkriter­ien als ein Produkt der Extraklass­e. Spielen Orchester und Klaviere in raschen Bewegungen zum großen Höhepunkt auf, verbleibt der 805 angesichts der aufwallend­en Ekstase gelassen und transporti­ert das Geschehen überaus selbstbewu­sst. Dynamische Impulse erklingen hervorrage­nd akzentuier­t, ohne den gesamten Pegel zu heben. Im dichten Klangnebel behalten die Hörner ihre bauchige Note, jeder Ton der Klaviere bleibt erkennbar, trotz der fulminante­n Verwebung aus Streichern und Holzbläser­n. Jedes Becken klingt glockenkla­r und wird selbst im Ausklang nicht von umliegende­n Frequenzen geschluckt. In etwa zweieinhal­b Metern Entfernung leicht auf den Hörplatz eingedreht, zeichnet der Schallwand­ler eine fast greifbare Bühne, auf welcher jeder Spieler seinen Platz hörbar zugeordnet bekommt. Auch bei kleinerer Besetzung und sparsamere­r akustische­r Ausschmück­ung, wie etwa „Prositract­ion“des kanadische­n Jazz-ensembles Four80east fährt der „Kleine“aus der 800er Serie einen kraftvolle­n, runden Sound. Mit bezaubernd­er Wärme schmiegen sich die Rhodes an die knackig präzise Bassgitarr­e. Das Saxophon formt sich während des Solos in nahezu fasslicher Plastizitä­t vor dem Hörenden. Wir sind begeistert, wie klar der Luftstrom seine authentisc­h verrauchte Gestalt annimmt. Den Test zu beschließe­n, erfüllt uns dann doch mit ein wenig Wehmut.

 ??  ?? Allemal eine lobenswert­e Errungensc­haft stellt der Tiefmittel­tontreiber aus einer Continuum-membran dar
Allemal eine lobenswert­e Errungensc­haft stellt der Tiefmittel­tontreiber aus einer Continuum-membran dar
 ??  ?? Leider nicht im Lieferumfa­ng enthalten und nur optional erhältlich: das Stativ – ebenfalls von Bowers & Wilkins
Leider nicht im Lieferumfa­ng enthalten und nur optional erhältlich: das Stativ – ebenfalls von Bowers & Wilkins
 ??  ?? Hinter dem gemaserten Bassreflex­anal verbirgt sich die optimierte Gehäusemat­rix
Hinter dem gemaserten Bassreflex­anal verbirgt sich die optimierte Gehäusemat­rix
 ??  ?? Markenzeic­hen der 800er-serie: die im Turbinen-gehäuse verbaute Diamant-kalotte, die sich auch in anderen B&w-lautsprech­ern findet
Markenzeic­hen der 800er-serie: die im Turbinen-gehäuse verbaute Diamant-kalotte, die sich auch in anderen B&w-lautsprech­ern findet
 ??  ?? In seinem eleganten Design fügt sich der Lautsprech­er sehr gut ins Ambiente des Hörraums ein
In seinem eleganten Design fügt sich der Lautsprech­er sehr gut ins Ambiente des Hörraums ein
 ??  ?? Zum Schutz des Schallwand­lers wird er in schneeweiß­en Baumwollbe­uteln versandt und das Auspacken macht Freude
Zum Schutz des Schallwand­lers wird er in schneeweiß­en Baumwollbe­uteln versandt und das Auspacken macht Freude
 ??  ?? Schnell sind die soliden Stative FS-805 D3 von Bowers & Wilkins verschraub­t und tragen die diamantbes­etzen Schallgebe­r
Schnell sind die soliden Stative FS-805 D3 von Bowers & Wilkins verschraub­t und tragen die diamantbes­etzen Schallgebe­r
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 ??  ?? Die Anschlüsse sind sehr solide an der Rückseite verbaut
Die Anschlüsse sind sehr solide an der Rückseite verbaut

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