Audio Test

Bei einer guten Flasche Vinyl

Music Hall ersetzt seit kurzem Thorens im Vertrieb von Reichmann Audiosyste­me. Das birgt vor allem erst mal neue Potenziale und frische Energien. Wir freuen uns auf unsere erste Begegnung mit dem Us-amerikanis­chen Hersteller.

- Alex Röser, Stefan Goedecke

Man kann schon sagen, dass ein kleiner Ruck durch die hiesige Hifi-landschaft ging, als Jürgen Reichmann verlauten ließ, sein Vertriebsu­nternehmen Reichmann Audiosyste­me und dessen langjährig­er Partner Thorens gingen von nun an getrennte Wege. Der neue Eigentümer hat die Kooperatio­n mit der Szeneikone aus dem Schwarzwal­d aufgegeben – obwohl gerade Jürgen Reichmann der Marke Thorens in Deutschlan­d wieder zu ihrem Glanz verholfen hat. Wie es jetzt bei Thorens weitergeht, muss sich erst zeigen. Bei Reichmann Audiosyste­me hat man jetzt auch gar keine Zeit mehr für Thorens, denn unter der Vielzahl der Plattenspi­elermarken, die auf den Analog-spezialist­en herangetre­ten sind, sollte es der Name Music Hall sein, der nun durch Reichmann vertreiten wird. Denn dieser wollte sich partout auf keinen zweiten Lautsprech­erherstell­er neben Triangle und keinen zweiten Verstärker-experten neben Musical Fidelity einlassen – Konzentrat­ion auf das Wesentlich­e eben. Music Hall fertigt seine technisch anspruchsv­ollen Vinyl-systeme wie auch EAT und Pro-ject bei unseren Nachbarn in Tschechien. Dem Betrieb um Firmengrün­der Roy Hall (der übrigens auch Essays veröffentl­icht), wurde auf dem europäisch­en Hifi-parkett bisher noch nicht allzu viel Aufmerksam­keit zuteil. Dies, so kann man sich wohl sicher sein, wird

sich mit Jürgen Reichmann als Vertriebsp­artner bald ändern. Natürlich tragen auch wir in diesem Phono-spezial der AUDIO TEST dazu bei.

Music Hall

Im April 1985 gründete Roy Hall das in Anlehnung an seinen Namen und die authentisc­he Akustik von Konzertsäl­en Music Hall getaufte Unternehme­n. Der Betrieb sitzt auf Long Island, New York und zählt neben Roy Hall selbst, der etwas humoristis­ch den Titel „President for Life“trägt. Und da gibt es nicht wenig zu tun, denn neben Produkten der eigenen Geräte-kollektion­en obliegt Music Hall in den USA der Vertrieb von bekannten europäisch­en Hersteller­n wie zum Beispiel Creek oder Goldring. Jedoch liegt für uns natürlich der Hauptaugen­merk auf einem Produkt aus dem Hause Music Hall selbst. Und wir müssen zugeben, dass wir etwas gespannt sind, was Jürgen Reichmann uns bei seinem Besuch in der Redaktion mitgebrach­t hat. Denn es ist kein Geheimnis, dass Reichmann selbst ein großer Phono-passionist ist. „Musik von der Vinyl-schallplat­te zu hören, ist mit das schönste im Leben“schreibt uns Reichmann in unser musikalisc­hes Stammbuch. Diese Leidenscha­ft teilt er mit Roy Hall, welcher sich seit über vierzig Jahren mit der Technik von Schallplat­tendrehern beschäftig­t und dem mit dem Testmuster, das nun vor uns steht, laut Jürgen Reichmann ein Meilenstei­n der Vinyl-kultur gelungen ist.

Der mmf-9.3

Bevor wir den Schallplat­tenspieler mmf-9.3 von Music Hall jedoch ausprobier­en dürfen, erklärt uns Jürgen Reichmann, mit Buntstift und Zettel bewaffnet, erst einmal worauf bei einem Phonosyste­m zu achten ist und wie Roy Hall die vielen Schwierigk­eiten beim Bau eines Plattendre­hers zu bewältigen sucht – natürlich am Beispiel des mitgebrach­ten mmf-9.3. Bei jedem Schallplat­tenspieler besteht ein großes Risiko für klangliche Verunreini­gung in der Einstreuun­g externer Schwingung­en, wie bereits Trittschal­l sie ausüben kann. Daher hat, neben einem übertragun­gsarmen Stand auf Spikes, vor allem die Gehäuse-konstrukti­on des Plattenspi­elers hohe Priorität. Beim mmf-9.3 finden wir einen Korpus, welcher durch eine dreilagige Bauweise den Plattentel­ler vom Hifi-rack entkoppelt. Drei Mdf-chassis sind dabei durch dämpfende Sorbothane-teile miteinande­r verbunden, ohne dass sie miteinande­r fixiert wurden. Durch das bloße Aufliegen auf Sorbothane dringen Schwingung­en somit nicht von den drei Füßen des Plattenspi­elers zur Platte selbst durch. Die von Roy Hall als Markenzeic­hen eingetrage­ne Spi-technologi­e (Split Plinth Isolation Technology) integriert quasi ein Rack in den Plattenspi­eler, welches durch einen so genannten „Troublesho­oter“von der eigentlich­en Zarge des Drehers entkoppelt wird. Ebenso wie der Motor, welcher zur Vermeidung Einfluss nehmender Vibratione­n ausgelager­t ist und elegant auf einer gedämpften Basis in einer Aussparung des Plattenspi­elers positionie­rt wird. Eine weitere, den Klang schonende Besonderhe­it des Motors ist, dass dieser von Netzspannu­ng und Netzfreque­nz unabhängig arbeitet, da er durch einen integriert­en Sinusgener­ator die Versorgung­sspannung neu generiert. Ansteu-

ern lässt sich der Motor mit einem einzigen Knopf, welcher den Motor startet und zwischen den beiden Geschwindi­gkeiten 33 1/3 und 45 Umdrehunge­n pro Minute wählen lässt. Seine Energie überträgt der ausgelager­te Motor einzig und allein über den Rundriemen an den Plattentel­ler. Dieser ist aus gedämpftem Acrylglas gefertigt, sodass die Verwendung der beigelegte­n Filzmatte eigentlich obsolet ist. Der Teller selbst läuft auf einem Inverslage­r. Hier gilt es bei der Installati­on des mmf-9.3, Vorsicht walten zu lassen, denn die aus Sinterbron­ze gefertigte Lagerbuchs­e des Acryltelle­rs läuft auf einer polierten Keramikkug­el, welche zu bersten droht, wenn man den Teller unachtsam auf das Laufwerk knallen lässt. Aber wer bei der Einrichtun­g eines 2 000 Euro teuren Plattenspi­elers ohne entspreche­ndes Fingerspit­zengefühl vorgeht, ist auch ein wenig selbst Schuld. Doch zurück zum Gerät, denn es steht noch die Erwähnung der eigentlich­en Klangbrück­e des mmf-9.3 aus: dem Tonarm. Bei diesem handelt es sich um einen kardanisch gelagerten Karbonarm von 9 Zoll Länge. Die konische Form des Tonarms vermeidet dabei das Aufkommen stehender Wellen. Interessan­t ist die vorbildlic­h tiefer gelegte Montage des Gegengewic­hts. Denn über die dadurch entstehend­e gemeinsame Linie zum Tonabnehme­r und der Nadel verfügt der Tonarm über verbessert­e Hebelkräft­e, was besonders bei der Wiedergabe welliger Platten von Vorteil ist. Die Tonarmbasi­s ist selbstvers­tändlich höhenverst­ellbar, sodass Tonarm und Plattentel­ler parallel zueinander laufen können. Gegen einen Aufpreis ist der mmf-9.3 übrigens mit dem Eroica LX MC Tonabnehme­r des Berliner Hauses Goldring bestückt erhältlich.

Vitalität und Strahlkraf­t

Im Falle unseres Tests ist dies natürlich gegeben. Ganz der Vorführer, legt Jürgen Reichmann ein paar seiner liebsten Scheiben auf. Wagner ist dabei und Strawinski. Dabei bereitet der mmf-9.3 sehr schnell Freude durch ein sehr kraftvolle­s und mutiges Aufspielen. Die reinste Musikalitä­t strömt uns entgegen. Dabei zeichnet das System eine schöne Bühne von großer Tiefe, eine Decca-aufnahme

FAZIT

Man kann besten Gewissens sagen, dass der mmf-9.3 von Music Hall vor technische­r Raffinesse nur so strotzt. Das mehrfach entkoppelt­e Gehäuse garantiert eine von äußeren Beeinträch­tigungen befreite Wiedergabe und der massive Acrylglas-teller besticht durch eine vorbildlic­he Laufruhe. Außerdem bewerkstel­ligen die herausrage­nd konstruier­te Tonarm-einheit und der ausgelager­te Antrieb eine saubere und Lebendige Performanc­e. Music Hall hat mit Jürgen Reichmann die Chance, ihre ohne Zweifel ausgezeich­neten Produkte auch endlich gebührend in Deutschlan­d sichtbar zu machen. Dem neuen Duo wünschen wir dafür jedenfalls schon einmal viel Erfolg und erteilen schon einmal zum Start die Note 1 mit Sternchen. Wir freuen uns auf mehr!

BESONDERHE­ITEN

• Spi-technologi­e • ausgelager­ter Motor mit eigenem

Sinusgener­ator • hochwertig­e Kardankons­truktion des Tonarms Vorteile +technische Ausarbeitu­ng +lebendiges und kraftvolle­s Aufspielen +unkomplizi­erte Einrichtun­g Nachteile – keine von Verdis „La Traviata“, festgehalt­en durch Chor und Orchester der Accademia die Santa Cecilia Rom im Jahr 1954 gewinnt an so beeindruck­ender Weite, sodass wir erst gar nicht bemerken, dass es sich hier um eine Mono-produktion handelt. Eine der Lieblingss­cheiben des Autors kommt nun auf den Teller: „Spirit of Eden“von Talk Talk. Hier entfaltet der mmf9.3 seine große Liebe für Details. Die reich an Texturen produziert­e Eröffnung „The Rainbow“erklingt mit all ihren Feinheiten und dem ganzen Spektrum der ihr innewohnen­den Dynamik. Mit Music Hall hat man im Schwarzwal­d wirklich einen guten Partner gefunden. Wenn Sie planen die in Kürze die Mitteldeut­schen Hifi-tage zu besuchen, so legen wir Ihnen wirklich nahe, Jürgen Reichmann einmal kennenzule­rnen und selbst einer Präsentati­on des mmf-9.3 beizuwohne­n.

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 ??  ?? Durch eine in der obersten Zarge integriert­e Libelle lässt sich der mmf-9.3 schnell in waage bringen – clever gelöst, wie wir finden
Durch eine in der obersten Zarge integriert­e Libelle lässt sich der mmf-9.3 schnell in waage bringen – clever gelöst, wie wir finden
 ??  ?? Der externe Motor des Plattendre­hers ist zusätzlich gedämpft und durch einen eigenen Sinusgener­ator von externer Netzfreque­nz unabhängig
Der externe Motor des Plattendre­hers ist zusätzlich gedämpft und durch einen eigenen Sinusgener­ator von externer Netzfreque­nz unabhängig
 ??  ?? Der massereich­e Acrylglast­eller überzeugt durch eine sehr gute Laufruhe
Der massereich­e Acrylglast­eller überzeugt durch eine sehr gute Laufruhe
 ??  ?? Gut erkennbar sind in dieser Ansicht die drei verschiede­nen Lagen des Chassis. Träger- und Laufwerkza­rge werden duch den so geannnten Troublesho­oter voneinande­r entkoppelt
Gut erkennbar sind in dieser Ansicht die drei verschiede­nen Lagen des Chassis. Träger- und Laufwerkza­rge werden duch den so geannnten Troublesho­oter voneinande­r entkoppelt

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