Bei einer guten Flasche Vinyl
Music Hall ersetzt seit kurzem Thorens im Vertrieb von Reichmann Audiosysteme. Das birgt vor allem erst mal neue Potenziale und frische Energien. Wir freuen uns auf unsere erste Begegnung mit dem Us-amerikanischen Hersteller.
Man kann schon sagen, dass ein kleiner Ruck durch die hiesige Hifi-landschaft ging, als Jürgen Reichmann verlauten ließ, sein Vertriebsunternehmen Reichmann Audiosysteme und dessen langjähriger Partner Thorens gingen von nun an getrennte Wege. Der neue Eigentümer hat die Kooperation mit der Szeneikone aus dem Schwarzwald aufgegeben – obwohl gerade Jürgen Reichmann der Marke Thorens in Deutschland wieder zu ihrem Glanz verholfen hat. Wie es jetzt bei Thorens weitergeht, muss sich erst zeigen. Bei Reichmann Audiosysteme hat man jetzt auch gar keine Zeit mehr für Thorens, denn unter der Vielzahl der Plattenspielermarken, die auf den Analog-spezialisten herangetreten sind, sollte es der Name Music Hall sein, der nun durch Reichmann vertreiten wird. Denn dieser wollte sich partout auf keinen zweiten Lautsprecherhersteller neben Triangle und keinen zweiten Verstärker-experten neben Musical Fidelity einlassen – Konzentration auf das Wesentliche eben. Music Hall fertigt seine technisch anspruchsvollen Vinyl-systeme wie auch EAT und Pro-ject bei unseren Nachbarn in Tschechien. Dem Betrieb um Firmengründer Roy Hall (der übrigens auch Essays veröffentlicht), wurde auf dem europäischen Hifi-parkett bisher noch nicht allzu viel Aufmerksamkeit zuteil. Dies, so kann man sich wohl sicher sein, wird
sich mit Jürgen Reichmann als Vertriebspartner bald ändern. Natürlich tragen auch wir in diesem Phono-spezial der AUDIO TEST dazu bei.
Music Hall
Im April 1985 gründete Roy Hall das in Anlehnung an seinen Namen und die authentische Akustik von Konzertsälen Music Hall getaufte Unternehmen. Der Betrieb sitzt auf Long Island, New York und zählt neben Roy Hall selbst, der etwas humoristisch den Titel „President for Life“trägt. Und da gibt es nicht wenig zu tun, denn neben Produkten der eigenen Geräte-kollektionen obliegt Music Hall in den USA der Vertrieb von bekannten europäischen Herstellern wie zum Beispiel Creek oder Goldring. Jedoch liegt für uns natürlich der Hauptaugenmerk auf einem Produkt aus dem Hause Music Hall selbst. Und wir müssen zugeben, dass wir etwas gespannt sind, was Jürgen Reichmann uns bei seinem Besuch in der Redaktion mitgebracht hat. Denn es ist kein Geheimnis, dass Reichmann selbst ein großer Phono-passionist ist. „Musik von der Vinyl-schallplatte zu hören, ist mit das schönste im Leben“schreibt uns Reichmann in unser musikalisches Stammbuch. Diese Leidenschaft teilt er mit Roy Hall, welcher sich seit über vierzig Jahren mit der Technik von Schallplattendrehern beschäftigt und dem mit dem Testmuster, das nun vor uns steht, laut Jürgen Reichmann ein Meilenstein der Vinyl-kultur gelungen ist.
Der mmf-9.3
Bevor wir den Schallplattenspieler mmf-9.3 von Music Hall jedoch ausprobieren dürfen, erklärt uns Jürgen Reichmann, mit Buntstift und Zettel bewaffnet, erst einmal worauf bei einem Phonosystem zu achten ist und wie Roy Hall die vielen Schwierigkeiten beim Bau eines Plattendrehers zu bewältigen sucht – natürlich am Beispiel des mitgebrachten mmf-9.3. Bei jedem Schallplattenspieler besteht ein großes Risiko für klangliche Verunreinigung in der Einstreuung externer Schwingungen, wie bereits Trittschall sie ausüben kann. Daher hat, neben einem übertragungsarmen Stand auf Spikes, vor allem die Gehäuse-konstruktion des Plattenspielers hohe Priorität. Beim mmf-9.3 finden wir einen Korpus, welcher durch eine dreilagige Bauweise den Plattenteller vom Hifi-rack entkoppelt. Drei Mdf-chassis sind dabei durch dämpfende Sorbothane-teile miteinander verbunden, ohne dass sie miteinander fixiert wurden. Durch das bloße Aufliegen auf Sorbothane dringen Schwingungen somit nicht von den drei Füßen des Plattenspielers zur Platte selbst durch. Die von Roy Hall als Markenzeichen eingetragene Spi-technologie (Split Plinth Isolation Technology) integriert quasi ein Rack in den Plattenspieler, welches durch einen so genannten „Troubleshooter“von der eigentlichen Zarge des Drehers entkoppelt wird. Ebenso wie der Motor, welcher zur Vermeidung Einfluss nehmender Vibrationen ausgelagert ist und elegant auf einer gedämpften Basis in einer Aussparung des Plattenspielers positioniert wird. Eine weitere, den Klang schonende Besonderheit des Motors ist, dass dieser von Netzspannung und Netzfrequenz unabhängig arbeitet, da er durch einen integrierten Sinusgenerator die Versorgungsspannung neu generiert. Ansteu-
ern lässt sich der Motor mit einem einzigen Knopf, welcher den Motor startet und zwischen den beiden Geschwindigkeiten 33 1/3 und 45 Umdrehungen pro Minute wählen lässt. Seine Energie überträgt der ausgelagerte Motor einzig und allein über den Rundriemen an den Plattenteller. Dieser ist aus gedämpftem Acrylglas gefertigt, sodass die Verwendung der beigelegten Filzmatte eigentlich obsolet ist. Der Teller selbst läuft auf einem Inverslager. Hier gilt es bei der Installation des mmf-9.3, Vorsicht walten zu lassen, denn die aus Sinterbronze gefertigte Lagerbuchse des Acryltellers läuft auf einer polierten Keramikkugel, welche zu bersten droht, wenn man den Teller unachtsam auf das Laufwerk knallen lässt. Aber wer bei der Einrichtung eines 2 000 Euro teuren Plattenspielers ohne entsprechendes Fingerspitzengefühl vorgeht, ist auch ein wenig selbst Schuld. Doch zurück zum Gerät, denn es steht noch die Erwähnung der eigentlichen Klangbrücke des mmf-9.3 aus: dem Tonarm. Bei diesem handelt es sich um einen kardanisch gelagerten Karbonarm von 9 Zoll Länge. Die konische Form des Tonarms vermeidet dabei das Aufkommen stehender Wellen. Interessant ist die vorbildlich tiefer gelegte Montage des Gegengewichts. Denn über die dadurch entstehende gemeinsame Linie zum Tonabnehmer und der Nadel verfügt der Tonarm über verbesserte Hebelkräfte, was besonders bei der Wiedergabe welliger Platten von Vorteil ist. Die Tonarmbasis ist selbstverständlich höhenverstellbar, sodass Tonarm und Plattenteller parallel zueinander laufen können. Gegen einen Aufpreis ist der mmf-9.3 übrigens mit dem Eroica LX MC Tonabnehmer des Berliner Hauses Goldring bestückt erhältlich.
Vitalität und Strahlkraft
Im Falle unseres Tests ist dies natürlich gegeben. Ganz der Vorführer, legt Jürgen Reichmann ein paar seiner liebsten Scheiben auf. Wagner ist dabei und Strawinski. Dabei bereitet der mmf-9.3 sehr schnell Freude durch ein sehr kraftvolles und mutiges Aufspielen. Die reinste Musikalität strömt uns entgegen. Dabei zeichnet das System eine schöne Bühne von großer Tiefe, eine Decca-aufnahme
FAZIT
Man kann besten Gewissens sagen, dass der mmf-9.3 von Music Hall vor technischer Raffinesse nur so strotzt. Das mehrfach entkoppelte Gehäuse garantiert eine von äußeren Beeinträchtigungen befreite Wiedergabe und der massive Acrylglas-teller besticht durch eine vorbildliche Laufruhe. Außerdem bewerkstelligen die herausragend konstruierte Tonarm-einheit und der ausgelagerte Antrieb eine saubere und Lebendige Performance. Music Hall hat mit Jürgen Reichmann die Chance, ihre ohne Zweifel ausgezeichneten Produkte auch endlich gebührend in Deutschland sichtbar zu machen. Dem neuen Duo wünschen wir dafür jedenfalls schon einmal viel Erfolg und erteilen schon einmal zum Start die Note 1 mit Sternchen. Wir freuen uns auf mehr!
BESONDERHEITEN
• Spi-technologie • ausgelagerter Motor mit eigenem
Sinusgenerator • hochwertige Kardankonstruktion des Tonarms Vorteile +technische Ausarbeitung +lebendiges und kraftvolles Aufspielen +unkomplizierte Einrichtung Nachteile – keine von Verdis „La Traviata“, festgehalten durch Chor und Orchester der Accademia die Santa Cecilia Rom im Jahr 1954 gewinnt an so beeindruckender Weite, sodass wir erst gar nicht bemerken, dass es sich hier um eine Mono-produktion handelt. Eine der Lieblingsscheiben des Autors kommt nun auf den Teller: „Spirit of Eden“von Talk Talk. Hier entfaltet der mmf9.3 seine große Liebe für Details. Die reich an Texturen produzierte Eröffnung „The Rainbow“erklingt mit all ihren Feinheiten und dem ganzen Spektrum der ihr innewohnenden Dynamik. Mit Music Hall hat man im Schwarzwald wirklich einen guten Partner gefunden. Wenn Sie planen die in Kürze die Mitteldeutschen Hifi-tage zu besuchen, so legen wir Ihnen wirklich nahe, Jürgen Reichmann einmal kennenzulernen und selbst einer Präsentation des mmf-9.3 beizuwohnen.