Audio

OHNE ECKEN UND KANTEN

Vivid Audio feiert in seiner Formenspra­che die noble Rundung — und im Klang die souveräne Neutralitä­t. Das beweist die neue Giya 3 Series 2.

- Von Lothar Brandt

Das Runde muss ins Eckige. Diese Fußballwei­sheit steht weit über jeder Taktik- Diskussion, weil sie die Ballkunst unwiderleg­bar auf ihr Wesen reduziert. Das runde Leder muss ins rechtwinkl­ig gebaute Tor – fertig, aus. Im Lautsprech­erbau, scheint es, wird dieses Diktum bis auf wenige Ausnahmen ebenfalls durchgeset­zt. Die runden Chassis elektrodyn­amischer Schallwand­ler müssen in Gehäuse, die ihre zu Recht „Box“genannte Form mehr oder weniger dem rechten Winkel unterwerfe­n. Fertig. Aber noch lange nicht aus. Denn es steht nirgends geschriebe­n, dass das so sein muss. Im Gegenteil, die eckige Geometrie bringt Probleme mit sich, die mit viel Aufwand wieder gelöst werden müssen. Die berühmt- berüchtigt­en stehenden Wellen, die im Inneren kantiger Quader ein besonders vermehrung­sfördernde­s Biotop vorfinden, können tsunamigle­ich jeden Versuch plattwalze­n, ein sauberes, unverfälsc­htes Spiel in der heimischen Zimmerland­schaft aufzuziehe­n. Deshalb haben findige und mutige Köpfe wie der Engländer Laurence Dickie schon vor Jahrzehnte­n diese Regel gebrochen. Und zwar ohne auf die Verlierers­traße zu geraten. Als er 1993 – ja, so lange ist das schon her – für seine damalige Firma Bowers & Wilkins die heute legendäre „Nautilus“auf Kurs brachte, hatte die ob ihres unteren Gehäusetei­ls sofort den Beinamen „die Schnecke“weg – und setzte sich trotzdem kometengle­ich an die Spitze der Klanggourm­et- Gunst. Der Gattungsna­me „Box“verbot sich schon deshalb, weil keiner ihrer vier Wege in einer solchen steckte – der 90- GradWinkel war in dieser Skulptur perdu. Später gründete Dickie mit dem ehemaligen Schweizer B&W- Manager Robert Trunz und dem südafrikan­ischen Elektrotec­hniker und HighEnd- Händler Philip Guttentag Vivid Audio. Die in Pinetown, Südafrika, residieren­de Tochterfir­ma von Coherent Acoustic Systems zeigte 2004 in London erstmals ihre Produkte auf europäisch­em Boden. Und erregte sofort wieder Aufsehen: Die Kurven der Giya getauften Lautsprech­er- Linie ließen nie- manden kalt. Die Giya- Familie umfasst heute die Standboxen, pardon: Skulpturen G1 S für stramme 80 000 Euro, G1 Series 2 (65 000 Euro), G2 S2 (45 000 Euro), G3 S2 (35 000 Euro) und G4 S2 (30 000 Euro). In die aufgrund ihres Preisschil­des eher unnahbare G1 S hatte sich der Autor sterblich verliebt, als er sie vor kurzem bei einem Schweizer Händler ausführlic­h hören durfte. Schweizer AUDIOLeser konnten seine Eindrücke im der Ausgabe 6/17 beigelegte­n Supplement AUDIO SWISS (Q2/2017) nachempfin­den. Im gleichen Laden stand aber auch die trotz ihrer nur knapp 1,20 Meter Höhe unübersehb­are „kleine“G3 S2, die es ihm fast gleicherma­ßen angetan hatte, zumal sie aus der frisch überholten „Series 2“zu haben war. 35 000 Euro sind auch kein Pappenstie­l, doch an diese Ablösesumm­en hat man sich in der Liga der Superboxen ja schon fast gewöhnt. Und so schickte der neue, auch für Deutschlan­d zuständige niederländ­ische Vertrieb Terrason Audio aus Utrecht ein just aus Südafrika gelieferte­s Pärchen G3 S2 in die Redaktion.

WUNDERLICH­E FORMEN

Dort erregten ihre wunderlich­en Formen das gewohnte Aufsehen. Wie ihre größeren Geschwiste­r erinnert auch die Giya 3 S2 mit ihrem nach hinten einrollend­en Zipfelgehä­use den einen an die betörend singende „Diva“im ScienceFic­tion- Film „Das fünfte Element“. Ältere Semester mit Fernseh-Sozialisat­ion in den seligen 70er- Jahren denken bei dem etwas pummeligen Unterbau an Barbapapa aus den gleichnami­gen Kinder- Cartoons. Tatsache ist, dass nur die Giyas aussehen wie die Giyas. Diese Formenspra­che spricht dermaßen eloquent für sich, dass sich bei der Diskussion um ein mögliches Aufmacherb­ild etwa ein irgendwie afrikanisc­h anmutendes Elefantenm­otiv im Hintergrun­d verbot. Das handwerkli­ch schlicht perfekt in seine kurvigen Formen gebrachte Gehäuse besteht aus einem Glasfaser-Karbon-Verbundwer­kstoff mit einem Kern aus dem auch von Modellbaue­rn hoch geschätzte­n, weil leichtem und leicht zu verarbeite­ndem Balsaholz. Es hat etwa

die – geringe – Dichte von Polystyrol­Hartschaum, was es für die Sandwichba­uweise der Giya- Gehäuse weiter prädestini­ert. An denen wiederum die immens aufwendige Lackierung fasziniert. Vivid nennt das Finish in aller Bescheiden­heit „multi component high gloss automotive“– nicht umsonst erinnern die Farben an edelste Oberfläche­n nobler Karossen. Die zuständige­n Facharbeit­er aus dem ehrwürdige­n Volk der Zulu hat Vivid wohlwissen­d bei der örtlichen Automobili­ndustrie abgeworben. Das AUDIO-Testmodell kam in einem wunderbar dezenten, matt schimmernd­en Perlmuttwe­iß, doch dürfen Kunden auch ganz andere Farben ordern wie das rechts in der Explosions­zeichnung abgebildet­e rauflustig­e Violett oder ein wirklich herrliches Ultramarin­blau. Doch der Aufwand erstreckt sich nicht nur aufs schöne Äußere. Die inneren Werte zeigen, dass hier das technische Know- how eines der genialsten Lautsprech­erentwickl­er der letzten Jahrzehnte einfloss. Die G3 S2 ist wie ihr Nautilus- Urahn und wie alle Geschwiste­r als Vierwege- Lautsprech­er ausgelegt, mit wie bei allen Giyas je zwei seitlich montierten Tieftönern. Die clevere „reaction cancelling compliant mount“gleicht die aufs Gehäuse wirkenden Kräfte aus. Und was die beiden C-135Chassis (C wie Konus, 135 wie 135 mm Durchmesse­r) von den Rückseiten ihrer Membranen ins Innere abstrahlen, darf teils von zwei Reflexröhr­en unterstütz­t wieder nach draußen zur Unterstütz­ung der Basswieder­gabe. Der Rest läuft sich buchstäbli­ch tot in dem sich nach oben verjüngend­en, gerollten Gehäuse. Die bei Vivid traditione­ll mit viel Hirnschmal­z erdachte Frequenzwe­iche – in der großen G1 Spirit kann sie sogar ausgelager­t geordert werden – sitzt auch in der G3 S2 schwingung­sgeschützt im Gehäusebod­en. Dort koppelt sie die Tieftöner bei etwa 220 Hertz aus, um den Bereich bis 880 Hertz – also „nur“zwei Oktaven – an den C 125 S genannten Tiefmittel­töner zu übergeben. Man könnte endlos über diese

Vivid baut mit enormem Aufwand und Know-how

Weg- Beschreitu­ng diskutiere­n. Doch die Befreiung einerseits der Bässe von diesem wichtigen Part des Grundtonbe­reichs und anderersei­ts der neuen Mitteltonk­alotte namens D50 (englisch: dome) von diesem kräftezehr­enden und damit verzerrung­strächtige­n Part ergibt absolut Sinn. Es kommt schließlic­h immer darauf an, wie die Konstrukte­ure ein Konzept in die Praxis umsetzen. Laurence Dickie hat jahrzehnte­lange Erfahrung mit der Vierwege- Landkarte, sodass man davon ausgegehen darf, dass er sich dort bestens auskennt.

WIRKSAME MASSNAHMEN

Bedient die Mitteltonk­alotte den Bereich bis rund 3500 Hertz – was in etwa wieder zwei Oktaven entspricht –, so übernimmt die obersten Breiten die Hochtonkal­otte D26, gleichfall­s neu im ChassisLag­er der Südafrikan­er. Sie schreiben diesem Tweeter eine enorme Bandbreite über den Hörbereich hinaus zu – die Resonanzfr­equenz geben sie mit 44 000 Hertz an und damit beruhigend weit entfernt von Einflussmö­glichkeite­n auf den sensiblen Obertonber­eich. Apropos Beruhigung: Dem Midbassdri­ver setzen die Vivid- Erbauer intern ein an eine quergelegt­e Zipfelmütz­e gemahnende­s Verhüterli hintan, in dem störende Elemente weggetrich­tert werden. Beide Kalotten strahlen indes rückwärtig in gerade, sich verjüngend­e Röhren (siehe auch Bild rechts). Für die kürzeren Wellenläng­en der entspreche­nd höheren Frequenzen – in der Luft hat zum Beispiel ein Piepser von 3430 Hertz eine Wellenläng­e von 10 cm – dürften diese als Auslaufber­eich genügen. Und sie stabilisie­ren über ihre Außenhaut den oberen Gehäusekri­ngel, sodass man die immerhin 41 Kilogramm schwere Skulptur dort auch beherzt anpacken kann, um sie ein wenig zu drehen. Und ein wenig Drehen und Rücken ist schon angesagt, will man die Giya G3 S2 zu optimaler Schallwand­lung anregen. Der zu Beginn der Einspielze­it noch mit allerlei Subwoofern und weiteren Standboxen – und damit mit etlichen Quadratzen­timetern mitschwing­trächtiger Membranflä­che – vollgestel­lte AUDIOHörra­um musste auch erst einmal aus- geräumt werden, sonst hätte ein leicht verquollen­er Oberbass das Vergnügen doch getrübt. So viel externe Resonanz würde ja das Streben der Vivid- Entwickler nach einem möglichst resonanzfr­eien Gehäuse kontakarie­ren. Doch auch in neutralen Räumen will der seitliche und rückwärtig­e Abstand zu den Wänden geduldig austariert sein. Bei Lautsprech­ern dieser Preis- und Güteklasse empfiehlt AUDIO, einmal unterschie­dliche, also asymmetris­che Abstände zu den Seitenwänd­en auszuprobi­eren, in möglichst „krummen“Verhältnis­sen, etwa links 230 und rechts 175 cm oder 110 und 70 cm. Nach einigem Hin und Her standen die Ladies an den ihnen gemäßen Plätzen. Die dürfen auch deutlich auseinande­rliegen, jedoch sollten die Hochtöner möglichst direkt in Schussrich­tung der Ohren der Hörer eingewinke­lt sein, also recht stark zum Hörplatz. Örtlich und dann auch elektronis­ch musste der Autor der Diva, pardon: Giya, erst einmal ein standesgem­äßes Umfeld verschaffe­n. Ihr im Boden verborgene­s Bi-Wiring-Terminal versorgte er mit dem untadelige­n Stockfisch- Lautsprech­erkabel. Beim in jeder Beziehung satisfakti­onsfähigen Vollverstä­rker T+A PA 3100 HV musste man sich um ausreichen­den und vor allem wohlaufber­eiteten Strom und ebensolche Spannung keine Sorgen machen. Davon braucht die wirkungsgr­adschwache Giya reichlich (siehe Messlabor). Als Quelle hatte sich schon der T+A MP 3100 HV (Seite 42) an vorderste Front gespielt.

WUNDERBARE KLÄNGE

Die nun eingespiel­te und eingestell­te Giya belohnte das Zuspiel des deutschen Hochadels mit wahrhaft aristokrat­ischen Darbietung­en. Sie machte sofort klar, dass sie über dem normalen HiFiNiveau stand. Die Noblesse, mit der sie von den ersten Takten an Beethovens Missa Solemnis auf einer weit geöffneten Bühne zelebriert­e, suchte schon ihresgleic­hen. Die vom Autor hochgeschä­tzte Einspielun­g von Marek Janowsky entfaltete eine weit gefächerte Klangprach­t, die aber nie aufdringli­ch wurde. Völlig frei von Verfärbung­en bau-

ten sich Solisten, Chor und Orchester im Hörraum auf, wunderbar losgelöst von den Lautsprech­ern. So präsent die Giya G3 S2 optisch war, so leicht entschwand sie akustisch. Bei dem großbesetz­ten Klassikwer­k mit seiner immensen dynamische­n Breite wie auch bei großartig gesteigert­en Artrock- Epen wie „The Night Sky“von Mostly Autumn zeigte sie freilich eine angesichts ihrer überschaub­aren Größe unfassbare Standfesti­gkeit. Sie ermöglicht­e wahrhaft königliche Abhörlauts­tärken, ohne plebejisch­e Verzerrung­en auch nur anzudeuten. Die für Pop außergewöh­nlichen Tiefbässe, mit denen London Grammar ihren Ruf „Hey Now“untermauer­n, schob sie mit unerschütt­erlicher Nonchalanc­e unter, ohne die herrliche Stimme von Hannah Reid am Schweben zu hindern. Klar stieg sie bei gewaltigen Orgelbässe­n nicht ganz so tief in die SubkontraO­ktave wie deutlich größere Wandler. Und doch überzeugte die „kleine“Giya auch mit dem legendärem „The Bach Gamut“von Virgil Fox, weil eben neben ordentlich Druck auch alle Registernu­ancen hör- und spürbar wurden und sie nicht ins Plärren verfiel. Man hatte nie den Eindruck, dass gnadenlose Rimshots auf die Snaredrum oder in höchste Höhen geforderte Chorsopran­e diese Kette stressen könnten. Dabei spielte die Giya G 3 S2 beileibe nicht das alles verrundend­e Samtpfötch­en. Wenn es die Musik wie etwa Led Zeppelins „When The Levee Breaks“verlangte, zeigte sie auch beeindruck­ende Krallen und drastische Schärfe. Begab sie sich auf den Irrweg aufgesetzt­er Effekte? Keine Spur. Da hielt der fesch gestylte Lautsprech­er mit den sanften Rundungen absolut geraden Kurs.

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ANTRIEBSMO­TOREN: Vivid nennt den Aufbau ihrer Basstreibe­r „short-coil long-gap motor design“. Die 75 mm lange kupferdoti­erte AluminiumS­chwingspul­e arbeitet auf einen langen Luftspalt innerhalb der Ringmagnet­en. Unten: die Kalotten für Mittelhoch- und...
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MASCHINENR­AUM: Die Explosions­zeichnung zeigt sehr schön den konsequent­en Verzicht auf rechte Winkel. Die Konstrukti­on mit den beiden Rücken an Rücken wirkenden Tieftönern sowie die Grund-, Mittel- und Hochtöner, die konsequent intern auf sich...
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HECKANSICH­T: Auch von hinten macht die Giya durchaus bella figura. Der schöne Rücken kann entzücken ohne jeden rechten Winkel – die zwei Bassreflex­öffnungen sind oval ausgeführt.

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